Der Virenscanner ist selbst ein Risiko

Harsche Kritik an den Sicherheitsprogrammen: Sie seien nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Zeit, sie über Bord zu werfen?

Von Matthias Schüssler

Robert O’Callahan hat sich letzte Woche so richtig in Rage geschrieben. «Antivirenprogramme sind einfach schrecklich», empörte er sich in seinem Blog: «Es gibt allenfalls vernachlässigbare Hinweise, dass diese Programme die Sicherheit erhöhen. Es ist aber wahrscheinlich, dass sie die Sicherheit markant beeinträchtigen.» Anwender sollten diese Programme schleunigst löschen – und nur noch das in Windows eingebaute Programm Defender verwenden.

Robert O’Callahan hat bis im März 2016 als Entwickler bei der Mozilla-Stiftung gearbeitet, die für den Firefox-Browser verantwortlich ist. Dort hat er schlechte Erfahrungen gemacht: Die Hersteller der Antivirenprogramme halten Standard-Sicherheitspraktiken nicht ein. Sie sind an Leistungsproblemen und Abstürzen in den Anwendungsprogrammen schuld, für die deren Hersteller den Kopf hinhalten müssen. Und sie verhindern, dass Softwarehersteller wie Mozilla ihre eigenen Ideen für sicherere Programme umsetzen können.

O’Callahan ist nicht der Einzige, der solche happigen Vorwürfe äusserst. Kritik kommt auch aus dem Project Zero. Das ist Googles Sicherheitsteam, das Sicherheitslücken nicht nur in den Produkten aus dem eigenen Haus, sondern auch bei den Softwareerzeugnissen Dritter aufspürt. In der öffentlich durchsuchbaren Fehlerdatenbank sind viele der gängigen Antivirenprodukte mit diversen Einträgen vertreten.

Riesige Schwachstellen

Ende Juni letzten Jahres haben die Forscher von Project Zero diverse Fehler in der zentralen Komponente von Symantecs Sicherheitsprodukten gefunden. ZD Net hat damals Tavis Ormandy, einen der Experten, wie folgt zitiert: «Die Schwachstellen können schlimmer nicht sein.» Sie lassen sich hinter dem Rücken des Nutzers ausbeuten. Sie betreffen die Standardkonfiguration, und Software kann auf dem Rechner nach Belieben schalten und walten. In manchen Fällen kann der Schadcode bis in den Kern des Systems gelangen, erklärt Ormandy.

Justin Schuh lässt kein gutes Haar an den Herstellern, die versprechen, Computer und Daten vor Angriffen zu schützen: «Die Antivirenprogramme sind das grösste Hindernis, das uns beim Ausliefern eines sicheren Browsers im Weg steht», schrieb er auf Twitter. Justin Schuh ist für die Sicherheit von Googles Chrome-Browser zuständig und laut «Ars Technica» einer der weltweit besten Sicherheits-«Fuzzis». Er hat auch grundsätzliche Einwände gegen die Funktionsweise der Antivirenprogramme. Sie hinken der Bedrohungslage immer hinterher, da sie reagieren und nicht agieren. Sicherheit müsse von Anfang an eingebaut und nicht nachträglich übergestülpt werden.

Aufgestauter Frust

In der Entwicklergemeinschaft hat sich einiges an Frust aufgestaut. Sie kann, so sagt es Ex-Mozilla-Mitarbeiter Robert O’Callahan, Probleme mit Antivirenlösungen noch nicht einmal öffentlich machen. Wer eine Software vertreibt, ist auf die Gunst der Hersteller angewiesen. Denn wenn die Antivirenhersteller ihrerseits Sicherheitsbedenken äussern, ist das verheerend für den eigenen Ruf.

Die Kritik an den Antivirenherstellern ist nicht neu. Manche Produkte machen durch aggressive Werbung in eigener Sache auf sich aufmerksam, andere rufen sich dem Benutzer mit ständigen Hinweisen auf abgewehrte Gefahren in Erinnerung. Immer wieder werden Sicherheitsprodukte mit anderen Programmen gebündelt ausgeliefert und den Anwendern so quasi hinterrücks untergejubelt.

Typischerweise sind es Browser-Erweiterungen wie Extra-Symbolleisten, die man sich ungefragt einhandelt. Avira hat 2011 die Ask-Toolbar unter die Leute gebracht, die für eine alternative Suchmaschine Werbung machte. AVG hat 2015 die eigene Browsererweiterung Web TuneUp in Chrome installiert, die aber eine riesige Hintertür für Cyberkriminelle öffnete. Google Sicherheitsexperte Tavis Ormandy hat die damals als «Müll» bezeichnet.

Weg mit dem Virenscanner

Ist es angesichts all der Probleme spätestens jetzt an der Zeit, das Antivirenprogramm über Bord zu werfen und sich ganz auf die Sicherheitsfunktionen des Betriebssystems zu verlassen? Denn wie Ex-Mozilla-Entwickler Robert O’Callahan sagt, ist Windows Defender völlig ausreichend und Microsoft «im Allgemeinen kompetent».

Hannes Lubich ist Informatikprofessor an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Sicherheitsexperte. Seiner Meinung nach sind Virenscanner nicht obsolet. «Aber sie müssen gut in das Gesamt-Management der Informationssicherheit integriert sein.» Es gibt seiner Meinung nach ein gutes Argument, auch weiterhin mehrere Produkte zu berücksichtigen. «Die Vielfalt der Anbieter stellt sicher, dass ich nicht in die Risiken einer Monokultur hineingerate.»

Auch die Cloud sorgt dafür, dass die herkömmlichen Antivirenprogramme an Bedeutung verlieren. Denn wenn die Daten nicht mehr auf dem eigenen Computer, sondern im Netz lagern, braucht dieser Computer weniger Schutz. Deswegen sollten die Anwender das Thema aber nicht ignorieren. Auch in der Cloud muss jemand für Sicherheit sorgen: «Aus den Augen, aus dem Sinn mag für naive Endanwender schön klingen, aber es ist ein sehr dummes Konzept.» Darum muss man als Kunde zumindest kontrollieren, dass die eigenen Daten sicher sind. Und im Firmenumfeld haben die Kunden keine andere Wahl, als sich selbst um die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften zu kümmern.

«Antivirus ist tot»

Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» konnten oder wollten Symantec und Kaspersky bis zum Redaktionsschluss keine Stellung nehmen. Es scheint aber so zu sein, dass auch die Hersteller nicht davon ausgehen, dass der klassische Virenscanner noch viel Zukunft hat. 2014 hat das «Wall Street Journal» den damaligen Chef für Informationssicherheit mit den Worten zitiert: «Antivirus ist tot.»

Die exakt gleiche Formulierung hat 2015 auch ein Pionier der Branche, John McAfee verwendet. Der in den letzten Jahren etwas exzentrische Ex-Chef von McAfee Associates sagte in einem Internetchat: «Ich habe ein Klapphandy ohne GPS. Wenn ich Internet benötige, nutze ich mein Samsung-Telefon, und ich kaufe alle zwei Wochen ein neues.»

Das Jigsaw-Erpresservirus löscht jede Stunde Dateien, wenn der Benutzer nicht zahlt. Wie schützt man sich vor dieser Gefahr? Bild: PD


Viren und Cybergefahren

Wie Sie sich wirkungsvoll schützen

Windows
Um ausreichend geschützt zu sein, braucht es dreierlei: Erstens eine regelmässige Sicherung aller Daten und Dokumente auf mindestens einem externen Datenspeicher, die am besten ausser Haus erfolgt. Zweitens müssen Betriebssystem und Anwendungsprogramme aktuell gehalten werden. Speziell wichtig ist das beim Browser und den Hilfsprogrammen wie Adobe Flash, PDF und Java. Ein Virenscanner ist nach wie vor unverzichtbar, aber es darf Windows Defender sein. Dieses Programm ist in Windows 8 und 10 vorhanden. Falls Sie das Antivirenprogramm eines Drittherstellers nutzen und damit zufrieden sind, behalten Sie es.

Mac OS X
Viren existieren nur in der Windows-Welt, Apple-Computer sind von Haus aus sicher. Das ist noch heute die gängige Meinung, und lange Zeit hat es auch gestimmt. Inzwischen sind auch Schadprogramme für den Mac aufgetaucht, sodass sicherheitsbewusste Anwender nicht auf eine Antivirensoftware verzichten. Es gibt diverse Kaufprodukte zur Auswahl, zum Beispiel von Eset, Kaspersky, Symantec und Sophos. Auch Gratisprogramme sind greifbar, namentlich von Sophos (bit.ly/macav-sophos).
Sie erhöhen die Sicherheit, wenn Sie Software nur aus dem Mac App Store beziehen und System und Software aktuell halten.

iPhone/iPad
Die Mobilgeräte von Apple gelten als sicher, weil die Apps nur aus dem überwachten Store bezogen werden dürfen. Sie werden vom Betriebssystem isoliert in einer sogenannten Sandbox ausgeführt. Das macht klassische Vireninfektionen unmöglich, zumindest solange keine Sicherheitslücke einer Schadsoftware einen Ausbruch aus der Sandbox ermöglicht. Zum Schutz gegen solche Sicherheitslücken sollten Updates möglichst zeitnah installiert werden. Es gibt aber auch beim iPhone Angriffspunkte, zum Beispiel über geknackte iCloud-Accounts: Verwenden Sie sichere Passworte und lassen Sie sich diese nicht stehlen (bit.ly/sicherekonten).

Android
Android hat Sicherheitsprobleme vor allem, weil sich die Hersteller beim Aktualisieren oft sehr lange Zeit lassen. Am schnellsten erhalten Sie Updates natürlich von Google selbst bei den Pixel- bzw. Nexus-Modellen. Auch Motorola, LG und HTC haben einen vergleichsweise guten Ruf.
Darüber hinaus sollten Sie Apps nur aus dem offiziellen Store installieren. Prüfen Sie die Berechtigungen, die eine App anfordert, und meiden Sie Apps, die aus unerfindlichen Gründen auf sensible Daten zugreifen wollen. Auch die Zahl der Installationen, die Bewertungen und die Kommentare geben einen Hinweis auf die Vertrauenswürdigkeit.

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 1. Februar 2017

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