Freevee ist werbefinanziert

Amazon greift Netflix mit einem Gratis-Streamingdienst an

Das Angebot ist kostenlos, zeigt Filme und Serien mit Werbeunterbrechung. Freevee ist in der Schweiz offiziell bislang nicht zu empfangen, aber mit einem Trick klappt es trotzdem.

Matthias Schüssler

Bei Amazons Gratis-Streamingdienst Freevee gibt es auch einige Originalproduktionen; namentlich die Krimi-Comedy-Serie «Sprung» mit Martha Plimpton.

Das lineare Fernsehen wird in fünf bis zehn Jahren tot sein – zumindest, wenn Reed Hastings recht behält. Diese mutige Prognose hat der Netflix-Chef während einer Telefonkonferenz mit Investoren Ende Juli abgegeben – und zwar, obwohl sein eigener Dienst Abonnenten verloren hat und von der Konkurrenz bedrängt wird. Denn letzte Woche ist bekannt geworden, dass Disney+ nach einem hervorragenden Geschäftsquartal zu Netflix aufschliessen konnte und zum Überholen ansetzt. Beide Dienste haben rund 221 Millionen Abonnenten.

Doch selbst wenn Reed Hastings recht haben sollte und das lineare Fernsehen kurz vor dem Ende steht, wird eine seiner charakteristischen Eigenschaften überleben: die Fernsehwerbung. Denn mit zunehmender Konkurrenz sinkt die Zahlungsbereitschaft der Kunden. Als Ausweg haben mehrere Streamingdienste kostenlose Zugänge angekündigt, die über Werbung finanziert werden. Netflix will 2023 in einigen Ländern mit einem kleineren, werbefinanzierten Angebot starten. Auch Disney+ will eine solche Option einführen; sie soll Ende dieses Jahres in den USA erhältlich sein.

Wie schlimm ist die Werbung? Ein Selbstversuch

Mit Freevee gibt es bereits einen Streamingdienst, der sich über Werbung finanziert. Er startete 2019 als Imdb Freedive und wurde über Amazons Film-Website Imdb vermarktet. Seit April 2022 trägt der Dienst den neuen Namen, und seit Anfang August ist er auch in Deutschland erhältlich. Hierzulande ist Freevee offiziell nicht zugänglich. Doch mithilfe einer VPN-App, mit der sich ein Standort in den USA auswählen lässt, haben sowohl das Log-in mit den Amazon-Zugangsdaten als auch die Wiedergabe geklappt.

Selbst die «Best of»-Auswahl von Freevee enthält viel Angestaubtes wie die Sitcom «2 Broke Girls».

Für den Augenschein musste der Film «Ghostbusters» von 2016 herhalten. An der Bildqualität (drei Stufen sind auswählbar) gibt es nichts auszusetzen; allerdings gibt es den Streifen via US-Server nur in der Originalsprache und mit optionalen Untertiteln in Englisch, beim Zugriff aufs Angebot aus Deutschland kann man bei unseren Stichproben (so bei der Science-Fiction-Serie«Falling Skies») zwischen Deutsch und Englisch wählen. Während des knapp zweistündigen «Ghostbusters»-Films gibt es fünf Unterbrechungen. Bei den ersten beiden gibt es bloss einen sehr kurzen Spot zu sehen. Im Verlauf des Films werden die Pausen länger; gegen Ende laufen vier bis fünf Spots.

Im Vergleich zum Privatfernsehen moderat

Im Vergleich zum Privatfernsehen sind sie aber deutlich kürzer und gut zu verkraften. Die Wiedergabesoftware zeigt an, an welchen Stellen die Werbeeinblendungen erfolgen, sodass man seine WC-Pausen entsprechend planen kann. Allerdings: Wenn man die Wiedergabe stoppt und neu startet, gibt es zu Beginn der Vorführung eine ausserplanmässige Werbeeinblendung, die bei unserem Test mit neunzig Sekunden relativ lang ausfällt.

In der Zeitleiste am unteren Rand sind die Werbepausen weiss markiert. Beim Zugriff über einen VPN-Server aus Deutschland kann man zwischen Originaltonspur und Synchronisation wählen.
Foto: Matthias Schüssler (Screenshot)

Um auf Freevee zuzugreifen, muss man sich per VPN in die USA, nach Deutschland oder ins Vereinigte Königreich versetzen, wo der Dienst angeboten wird.

Fazit: Es ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, wie viel Werbung man zu tolerieren bereit ist. Bei unserem Test waren sowohl Zahl als auch Länge der Unterbrechungen moderat und weit unter den maximal neun Minuten Werbung pro Stunde, die gemäss diesem Bericht möglich wären. Allerdings ist denkbar, dass die Spotdichte mit zunehmender Nutzung und Gewöhnung steigt – denn anders als beim Privatfernsehen lässt sich die nicht nur personalisieren, sondern auch individuell dosieren.

Die meisten Streamingkunden dürften auch in Zukunft gewillt sein, für Werbefreiheit eine Abogebühr zu bezahlen. Für gelegentliche Nutzung könnte aber auch ein Dienst wie Freevee zum Zug kommen – allerdings ist anzunehmen, dass die grossen Produktionen weiterhin auf den Premium-Kanälen laufen.

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 17. August 2022

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