Wie viel Hass darf Facebook dulden?

Matthias Schüssler

Facebook lässt auch extreme Ansichten zu. Doch nun wird es manchen zu viel – sie rufen zur sozialen Ächtung derjenigen auf, die gegen Ausländer und Flüchtlinge hetzen.

Der Chefredaktor des deutschen Online-Medienmagazins DWDL.de hatte sich letzte Woche in Rage geschrieben: «Das grösste soziale Netzwerk der Welt agiert gänzlich verantwortungslos und toleriert trotz Kenntnis gewaltverherrlichende und/oder fremdenfeindliche Postings auf seinen Seiten», schrieb Thomas Lückerath unter dem Titel «Facebook, das Netzwerk mit dem Herz für Hass».

Es ist in der Tat stossend: Während eine unverhüllte Brustwarze bei Facebook zu Sperrungen von Benutzerkonten führt – siehe Abschnitt «Nacktheit» in den Gemeinschaftsstandards von Facebook –, haben herabwürdigende Kommentare über Flüchtlinge, Ausländer oder Andersdenkende Hochkonjunktur. Selbst unter voller Namensnennung wird auf Facebook gehetzt, wie die ARD-Journalistin Anja Reschke letzthin in einem vielbeachteten Statement in den «Tagesthemen» anprangerte. Sogar offene Gewaltaufrufe erscheinen als salonfähig, wenn Gleichgesinnte sie mit einem «Like» belohnen.

Dabei bietet Facebook die Funktion, Bilder oder Kommentare zu melden. In einem mehrstufigen Verfahren wird nach dem Grund der Meldung gefragt, wobei man den Inhalt als «unangemessen oder geschmacklos», als übergriffig bezüglich «Religion, Volkszugehörigkeit oder sexueller Orientierung» oder aufgrund einer Verletzung der Privatsphäre als löschungswürdig einstufen kann. DWDL-Chefredaktor Thomas Lückerath hatte einen Beitrag der Gruppierung «Gegen Asylanten in Deutschland» als Hassbotschaft gemeldet, der als impliziter Gewaltaufruf gewertet werden muss: «Mit einem Loch im Hinterkopf wären manche Leute zumindest noch als Nistkasten zu gebrauchen.» Für Facebook war er kein Problem – der Löschaufruf wurde abgeschmettert. Facebook teilte mit, dass der Beitrag «nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstösst».

Ist der Melden-Knopf bloss ein Feigenblatt?

Die gleiche Erfahrung haben auch andere Nutzer gemacht. Ich hatte Ende letzten Jahres mehrere Beiträge einer Facebook-Gruppe mit offen nationalsozialistischer Propaganda gemeldet. Mit dem gleichen Resultat – kein Verstoss gegen die Standards. Nun kann man vermuten, dass Facebook das Recht auf die freie Meinungsäusserung nach US-amerikanischer Manier viel grosszügiger auslegt, als man sich das hierzulande gewohnt ist. Es könnte sogar die Vermutung aufkommen, dass der «Melden»-Knopf bei Facebook eine reine Feigenblattfunktion hat und die Beschwerden ungeprüft ins Leere laufen. Facebook hält bei dieser Verschwörungstheorie dagegen und zeigt in einem Beitrag auf, dass Hunderte von Facebook-Mitarbeitern weltweit damit beschäftigt seien, «sicherzustellen, dass alle Berichte von unseren Nutzern jederzeit bearbeitet werden». Die «Zeit» berichtete Anfang Juli aus der Europazentrale von Facebook in Dublin, wo Beiträge gesichtet und gegebenenfalls gelöscht werden. Die porträtierte Content-Moderatorin sieht sich die IS-Enthauptungsvideos an, um die von der Plattform zu verbannen.

Es mag tatsächlich sein, dass sich die Schmerzschwelle massiv erhöht, wenn man von Berufes wegen tagtäglich terroristische Gräuelvideos anschauen muss. Womöglich erscheint in diesem Licht der ganz normale Stammtischrassismus in einem Facebook-Kommentar nicht mehr als so gravierend. Vielleicht ist auch der Anspruch überrissen, dass sich die Nutzer eines weltumspannenden Netzes durch Content-Moderatoren zähmen lassen. Denn was können «Hunderte von Facebook-Mitarbeitern» ausrichten, die einer Nutzerschar von inzwischen 1,4 Milliarden Leuten gegenüberstehen?

Der Widerstand formiert sich

In meinem Facebook-Bekanntenkreis hat sich in den letzten Wochen Widerstand formiert. Viele fühlen sich unwohl dabei, dass manche ihrer Freunde sich durch die fehlenden Sanktionen darin bestärkt fühlen, dumpfe Vorurteile zu zelebrieren, sich durch die Likes zu radikalisieren – und das gesellschaftliche Klima so weit zu vergiften, bis den bösen Worten irgendwann die bösen Taten folgen. Da gibt es den Aufruf, die «Fremdenfeinde zu adoptieren» und sie in einem Eintrag auf der persönlichen Facebook-Wall mit ihren Aussagen zu konfrontieren, zu fragen, aus welcher Quelle sich dieser sozialmediale Hass denn speist – und mit der Botschaft dagegenzuhalten, dass man «sich auch gut fühlen kann, ohne andere abzuwerten».

Andere sind dazu übergegangen, hetzende Kommentatoren an den Pranger zu stellen – inklusive den Klarnamen, mit denen sie ihre Kommentare ursprünglich abgesetzt haben. Einer, der das tut, schreibt: «Ich kann einfach nicht anders. Meine Angst vor solchen Menschen ist grösser als die vor einer möglichen Klage», schreibt er zur Begründung in seinem Beitrag, der inzwischen mehr als 500-mal geteilt worden ist. «Ich möchte jeden bitten, nicht deren Briefkästen zu sprengen oder Autoreifen aufzuschlitzen. Aber ich hoffe, ihr gemässigteres Umfeld kriegt dies mit und kann sie zur Rede stellen.»

Auf Facebook scheint es besonders einfach zu sein, sich zu Ausbrüchen der Unzivilisation hinreissen zu lassen. Doch auch das Gegenteil ist online ganz einfach – nämlich Zivilcourage zu üben und nüchtern, sachlich und mit klarem Kopf dagegenzuhalten. Denn während im richtigen Leben die Zivilcourage fast immer mit einem Risiko für die eigene Person einhergeht, ist das Schlimmste, was einem auf Facebook passieren kann, entfreundet zu werden. Und das lässt sich dann doch recht gut verkraften.

Menschenverachtung, mit Klarnamen bei Facebook gepostet. Bild: Screenshot: Facebook

Flüchtlingshetze auf Facebook

Können sich nicht gegen Hasskommentare auf Facebook wehren – Flüchtlinge in Mazedonien. (Bild: Keystone Dalton Bennett)

Quelle: Newsnetz, Montag, 10. August 2015

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