Spiele und PC-Software aus der Cloud

Datenwolke Google und Sunrise haben je einen Streamingdienst für Gamer lanciert. Das sei eine Revolution, sagen die Unternehmen. Die Idee gibt es aber schon lange, und abseits der Videospiele ist das Software-Streaming im Alltag angekommen.

Matthias Schüssler

Sunrise sprach am Montag von einer Weltneuheit, Google von der Zukunft des Gamings. Beide Unternehmen haben fast zeitgleich Dienste für Videospieler angekündigt, mit denen sie den Zugang zu Spielen massiv vereinfachen wollen. Mit ihnen braucht es keine leistungsfähigen Konsolen oder hochgezüchtete Game-PC mehr. Die Spiele müssen nicht heruntergeladen und installiert werden. Die Spiele laufen im Rechenzentrum beim Betreiber. Via Internet gelangt das Videosignal zum Spieler und die Steuerbefehle seines Controllers zurück zum Server.

Das nennt sich Spiele-Streaming oder auch Cloud-Gaming, und es hat den Vorteil, dass der Nutzer seine Titel auf fast jedem Gerät zur Verfügung hat: am Fernseher, am Laptop, am Handy oder am Tablet. Googles Dienst heisst Stadia. Google will mit ihm Milliarden von Menschen zum Videospielen bringen. Im Sommer hatte Google-Manager Jack Buser an der Spielemesse Gamescom gesagt, wenn «wir nur 100 oder 200 Millionen Menschen erreichen, haben wir etwas falsch gemacht». Stadia ist seit Montag in 14 Ländern erhältlich, nicht jedoch in der Schweiz.

Sunrise kooperiert für seine Game Cloud mit dem Pariser Unternehmen Gamestream, das die Infrastruktur bereitstellt. Der Clou bei Sunrise ist, dass der Nutzer für die Abonnementsgebühr von 9.90 Franken pro Monat (die ersten drei Monate sind gratis) alle Spiele aus dem Katalog nutzen kann. Er umfasst bislang rund 50 teils auch etwas ältere Titel. Google Stadia geht mit 22 Titeln an den Start und kostet 10 Franken im Monat. Die meisten Titel müssen separat erworben werden. Eine Flatrate gibt es nicht.

Bei Sunrise ist die Game Cloud auch ein Promotionsvehikel für 5G. Um sie zu nutzen, braucht man entweder ein Smartphone oder einen Router für die neueste Mobilfunkgeneration. Eine der Stärken von 5G ist die niedrige Latenzzeit des Netzwerks, was Datenübertragungen mit sehr kurzen Verzögerungen möglich macht. Das wiederum ist eine entscheidende Voraussetzung für flüssiges Spielen.

Bereits 2003 lanciert

Die Idee des Game-Streamings ist nicht neu. Die Gründer des kalifornischen Unternehmen On Live hatten schon 2003 die Idee, Software via Internet zu streamen. Nebst dem Game-Angebot konnte man auch Zugang zu einem virtuellen Windows-PC mieten. Das hat dem Unternehmen 2012 böse Post von Microsoft eingetragen: Der Konzern drohte mit einer Klage, weil das Streaming die Nutzungsbestimmungen von Windows 7 verletze. On Live wechselte daraufhin zur Serverversion von Windows, die gestreamt werden durfte.

On Live hat vor zehn Jahren vorgeführt, dass es technisch möglich ist, Spiele auch aufs Handy zu bringen. Das war aber nur mit Kompromissen möglich: Die Bildqualität musste für die Übertragung per Internet reduziert werden, und die Verzögerungen waren je nach Spiel spürbar bis störend. Ausserdem konnte ein Verbindungsunterbruch schon damals dazu führen, dass der Fortschritt verloren war und man seine Spielesession von vorn beginnen musste.

Der On-Live-Dienst wurde im April 2015 eingestellt und die Technologie an Sony verkauft. Sony hat mit Gaikai auch einen anderen Pionier des Streaminggeschäfts gekauft und 2014 Playstation Now lanciert. Ein Jahr später ging der kalifornische Grafikkartenhersteller Nvidia mit Ge Force Now an den Start. Andere Grössen der Spielebranche haben eigene Projekte in Arbeit: Microsoft führt bereits bei seinem Project xCloud Betatests durch und wird es mutmasslich nächstes Jahr für das Publikum öffnen. Auch Electronic Arts, einer der ganz grossen Spielehersteller, arbeitet seit Herbst an einem eigenen Streamingdienst. Für Project Atlas gibt es keinen offiziellen Starttermin. Aber es wird vermutet, dass es wie bei Microsoft 2020 losgehen wird.

Der Pionier On Live zeigte es schon: Wenn man Videospiele streamen kann, dann ist das genauso gut mit normalen Anwendungen möglich. Seit Windows 2000 hat Microsofts Betriebssystem den Remotedesktop eingebaut. Mit dieser Systemfunktion kann man seinen PC per Internet fernsteuern. Dazu verwendet man entweder einen anderen PC oder aber ein Tablet oder ein Smartphone; die Remote Desktop-App gibt es sowohl für Androidgeräte als auch für iPhone und iPad. Eine für Privatanwender kostenlose Alternative ist Teamviewer. Sie ist einfacher zu bedienen und auch für den Mac verfügbar.

Virtuelle PC mieten

Schliesslich gibt es auch die Möglichkeit, via Internet nicht auf einen eigenen Computer zuzugreifen, sondern bei einem Dienstleister einen virtuellen Desktop zu mieten. Das hat unbestreitbare Vorteile: Als Nutzer kauft man nicht Leistungsreserven auf Vorrat, sondern mietet sie je nach Bedarf. Als Endgerät erfüllt auch ein alter, leistungsschwacher Computer seinen Zweck, selbst wenn man aufwendige Aufgaben wie Videoschnitt oder 3-D-Modelling zu bewältigen hat. Und der Nutzer ist nicht an ein Betriebssystem gebunden, sondern bucht Windows, Mac oder Linux nach Bedarf.

Dieses Geschäft wird auch «Desktop as a Service» genannt, und es soll bis 2023 auf 2,6 Milliarden Dollar Umsatz anwachsen, prognostiziert der US-Marktanalyst Gartner Inc. Es würden aber nur weniger als fünf Prozent der Unternehmens-PC auf die virtuelle Arbeitsweise umgerüstet.

Die Fachzeitschrift «c’t» führte Anfang Jahr Tests durch und kam zum Schluss, dass diese Form des Cloud-Computings auch für Privatanwender interessant ist. Der Unterschied zwischen dem lokalen Desktop und dem Cloud-Desktop sei «nicht spürbar». Getestet wurden Shadow.tech (ab 15 Franken pro Monat), Parsecgaming.com (Preis je nach Konfiguration) und Liquidsky.com (Abrechnung per Credits).

Cloud-Gaming erlaubt den Zugriff von fastjedem Gerät aus. Dank guten Internetverbindungen werden leistungsfähige Konsolen oder hochgezüchtete Game-PC unnötig. Foto: Getty Images

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 20. November 2019

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