Kommentar Matthias Schüssler, Digitalredaktor, über Googles neue Unternehmensstruktur.
Die Alpha-Nerds bleiben anders
Matthias Schüssler
Aus rationaler Sicht ist die neue Struktur des Google-Konzerns richtig: Unter dem Namen der Suchmaschine haben sich Unternehmungen zusammengefunden, die mit dem Kerngeschäft nichts mehr zu tun haben. Diese vielfältigen Aktivitäten separat zu gliedern, erhöht die Beweglichkeit und erschliesst steuerliches Optimierungspotenzial. Auch aus Sicht der Risikoverteilung ist die neue Struktur eine Notwendigkeit: Beim Geschäft mit den selbstfahrenden Autos kann bereits ein kleiner Fehler zu astronomisch hohen Schadenersatzforderungen führen. Mit der neuen Aufstellung wird das Internetgeschäft, das weiterhin die Haupteinnahmequelle des Konzerns bildet, von den experimentellen Geschäftsfeldern isoliert.
Was den emotionalen Aspekt angeht, fällt die Beurteilung weniger positiv aus. Der neue Name befeuert eine alte Angst: die vom Kraken, der sich nicht nur im Internet alle Daten schnappt, sondern die ganze Welt in den Würgegriff nimmt: «Hat Google etwa das Alphabet gekauft?», wurde auf Twitter gefragt. Auch die neue Internetadresse abc.xyz impliziert, dass Google eine Dominanz von A bis Z, von Alpha bis Omega anstrebt. Es scheint kein Lebensbereich mehr vor den umtriebigen Herren Page und Brin sicher.
Die diffusen Ängste bei den Nutzern (und der übrigen Menschheit) beeindrucken die Google-Gründer nicht. Für die Alpha-Nerds zählen nur der Fortschritt und das Anderssein: «Google ist kein konventionelles Unternehmen», schrieb Larry Page gestern. «Und wir haben nicht die Absicht, eines zu werden.»
Die neue Struktur erinnert an traditionelle Wirtschaftskolosse wie Siemens oder General Electric. Bei Alphabet hat sie den Zweck, den Gründern ihren fast kindlichen Spass an der Sache zu bewahren. Sie ziehen sich aus dem Tagesgeschäft bei Google Inc. zurück und haben als Chefs bei der Alphabet-Holding Zeit und Gelegenheit, weiterhin die Zukunft der Menschheit zu prägen – indem sie an jenen technischen Errungenschaften tüfteln, die den selbstfahrenden Autos, den Internetballonen und den smarten Kontaktlinsen nachfolgen sollen. Ob sie Erfolg haben werden, hängt von der Güte dieser Ideen ab.