Leselust für Nerds und Technikfreaks

Computerfans haben bei der literarischen Unterhaltung spezielle Vorlieben: Sie zelebrieren die Realitätsflucht, tauchen in virtuelle Sphären ab und sprengen irdische Grenzen. Acht statusgerechte Lesetipps von Matthias Schüssler.

Scott Meyer: Off to Be the Wizard

Ein Nerd-Refugium, wie es im Buch steht

Scott Meyer erfüllt die allergeheimsten Wünsche seiner Leserschaft. Er macht die Computer-Nerds zu dem, was alle insgeheim so gerne wären. Nämlich so omnipotent wie die Helden aus den Videospielen. Und Meyer lässt seine Figuren nach Lust und Laune an der Wirklichkeit herummanipulieren, als ob die Welt eine Simulation wäre, die nur ­darauf wartet, von neugierigen Tech-Kiddies untertan gemacht zu werden.

Die Welt lässt sich in «Off to Be the ­Wizard» – warum auch immer – über eine geheimnisvolle Datei auf einem schlecht geschützten Server nach Belieben manipulieren. Sie enthält, so scheint es, die Parameter, nach denen sich die Wirklichkeit richtet. Martin Banks, der ein trostloses Leben als Datenanalyst fristet, findet die Datei, frisiert mit deren Möglichkeiten sein Bankkonto auf. Und zieht damit sogleich die Aufmerksamkeit einer Behörde auf sich, die seit längerer Zeit jenem aus dem Nichts auftauchenden Geld nachforscht.

Von den Agenten verfolgt, flüchtet Martin ins mittelalterliche England – Zeitreisen und Teleportation sind dank der Datei kein Problem. Dort findet er ein fröhliches Grüppchen von Seinesgleichen vor. Die Leute haben ein ähnliches Schicksal hinter sich. Alle haben das gleiche Buch gelesen, das behauptet, im 15. Jahrhundert würde es sich bei den Kreidefelsen von Dover ausgezeichnet leben lassen.

Dort geben sie sich vor den ahnungslosen Dorfbewohnern als Zauberer aus, wobei der unverzichtbare Fast Food dann doch aus der Gegenwart herbeigeschafft wird. In diesem Nerd-Refugium liesse es sich ausgezeichnet leben, wenn James Sadler es mit der Zauberei nicht übertreiben und die Dorfbewohner zu Hobbits und Orks umgestalten würde. Weil es ihm Mittelerde so angetan hat.

«Off to Be the Wizard» kreiert den Genre-Mix des Tech-Fantasy-Abenteuerromans. Das Buch zelebriert respektlose Realitätsflucht und führt Zauberei à la Harry Potter und die Computerbegeisterung wie selbstverständlich ineinander über. Verträglich ist das nur für Leute, die mit den Memes ihrer Subkultur vertraut sind und diese nicht tierisch ernst nehmen.

47 North 2014. Englisch, 373 Seiten, ca. 18 Fr.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 5. Januar 2015

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