Subversives Geld aus dem Cyberspace

Ob Linden-Dollars, Schlumpfbeeren oder Facebook-Credits: Digital existieren eine Reihe von Währungen – die meisten nur als Spielgeld. Doch mit den Bitcoins soll eine echte Alternative zum herkömmlichen Geldsystem entstehen.

Von Matthias Schüssler

Der Umsatz mit virtuellen Gütern steigt rasant. Eine Studie des Bezahldienstes Moneybookers besagt, dass das Volumen sich in Europa von 723  Millionen Euro im Jahr 2010 bis auf 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2014 vervierfachen soll. Diese virtuellen Güter existieren in Games wie «World of Warcraft», wo ein teures Schwert dem Spieler echte Vorteile sichert. In iPhone-Titeln von Zynga, Playfish oder Playdom erwirbt man als In-App-Kauf Dünger für den simulierten Bauernhof oder präsupponierte Zutaten für eine digitale Bäckerei.

Diese Gegenstände kauft man meist nicht direkt, sondern über eine virtuelle Währung, die man für sein reales Geld erhält. Zu trauriger Berühmtheit kamen die Schlumpfbeeren in «Smurfs’ Village», weil einige der jungen Spieler sie im Gegenwert von Tausenden von Euro erworben hatten. 2003 machten die Linden-Dollars Furore, die man in einer Parallelwelt namens «Second Life» fürs Shopping nutzte.

Bei diesen Spielwährungen handelt es sich nicht um echtes Geld, sondern um eine Art Coupon, der sich nur im Spiel einlösen lässt. Es existiert aber auch eine echte virtuelle Währung, die handelbar ist und wiederum für den Kauf realer Güter verwenden werden kann. Sie heisst Bitcoin und stammt aus der sogenannten Cypherpunk-Bewegung. Diese Gruppe hat sich in den späten 1980er-Jahren formiert und legt starken Wert auf die private Nutzung von Verschlüsselungstechniken. Das Chiffrieren dient dem Schutz der Privatsphäre und erfolgt aus tiefem Misstrauen gegenüber dem Staat heraus.

Gewappnet für den Crash

Die Währung kommt ohne Notenbank aus und könnte die Geschäftsbanken zumindest theoretisch überflüssig machen. Oliver Flaskämper, der den Handelsplatz Bitcoin.de betreibt, sieht wegen der Schuldenkrise das Ende des herkömmlichen Geldsystems gekommen: «Politiker sind immer geneigt, mehr Geld auszugeben, als sie haben, und gewinnen Wahlen in den seltensten Fällen mit der vorherigen Ankündigung von Sparmassnahmen und Steuererhöhungen.» Es sei nur eine Zeitfrage, bis das derzeitige Geldsystem zusammenbrechen werde.

Bitcoins, die gepriesene Alternative, wird als «freies Geld» nach einem mathematischen Verfahren aus dem Nichts geschaffen. Das nennt sich «Mining». Es erfolgt anhand kryptografischer Verfahren, die so rechenintensiv sind, dass Geld nicht in beliebiger Menge geschaffen werden kann. Der Algorithmus limitiert die Geldmenge auf knapp 21 Millionen Bitcoins. Diese Menge sollte ungefähr im Jahr 2140 erreicht sein. Im Moment sind 8,3 Millionen Bitcoins (die ihrerseits auf 8 Dezimalstellen teilbar sind) bei Hackern, Computerfreaks und Kryptografie-Aktivisten im Umlauf.

Gehandelt werden Bitcoins über ein Peer-to-Peer-Netz ohne zentralen Server, das nach dem Tauschbörsen-Prinzip funktioniert. Die Transaktionen werden in der ewigen Logdatei verwaltet, die komplett bei jedem einzelnen Nutzer gespeichert ist. Um Geld zu übertragen, wird die Transaktion mit dem öffentlichen Schlüssel des Empfängers verschlüsselt. Dieser kann sie nur mit seinem privaten Schlüssel dechiffrieren. Der öffentliche Schlüssel dient gleichzeitig als Kontonummer, der private eröffnet den Zugang zum eigenen digitalen Vermögen – wer den privaten Schlüssel besitzt, ist Inhaber des Geldes.

Theoretisch anonym

Geldbesitz ist, natürlich ganz im Sinn der Cypherpunks, eine anonyme Angelegenheit – zumindest, wenn man für jede Transaktion einen neuen Schlüssel nutzt. Denn da Transaktionen in der ewigen Logdatei festgehalten sind, bleiben sie für alle nachvollziehbar, denen es gelingt, einen öffentlichen Schlüssel mit einer Person in Verbindung zu bringen.

Bitcoins lassen sich inzwischen für eine ganze Reihe von realen Gütern ausgeben. Es gibt Internet-Dienstleistungen gegen virtuelles Geld. Bei der Enthüllungsplattform Wikileaks kann man Spenden mit Bitcoins tätigen. Grosser Beliebtheit erfreut sich das digitale Zahlungsmittel aber auch auf Plattformen wie dem «Silk Road»-Portal, bei dem es Drogen aller Art zu erwerben gibt. Und Hackergruppen wie LulSec finanzieren sich teilweise über Bitcoins.

10 Minuten warten aufs Geld

Für den täglichen Gebrauch eignen sie sich allerdings nicht. Das liegt an der Verzögerung bei jeder Transaktion. Um sicherzustellen, dass eine bestimmte Geldeinheit nicht mehrfach ausgegeben werden kann, werden Transaktionen zeitlich zu Blöcken zusammengefasst, verschlüsselt an alle Teilnehmer verteilt, gegengeprüft und erst genehmigt, wenn keine widersprüchlichen Transaktionen vorliegen. Das dauert um die zehn Minuten – was im Supermarkt oder an der Kinokasse nicht hinnehmbar ist.

Propagiert werden die Bitcoins jedoch als Geldanlage. Durch die von vornherein festgelegte Beschränkung der Geldmenge sind Bitcoins theoretisch sicher vor Inflation, weswegen Rick Falkvinge, der Gründer der schwedischen Piratenpartei, sein ganzes Vermögen in Bitcoins angelegt hat. Diesen Vorteil nennt auch Oliver Flaskämper: «Ich sehe Bitcoins als eine Art digitales Gold – weniger geeignet für Zahlungsvorgänge im täglichen Leben, sondern eher als Wertaufbewahrungsmöglichkeit.»

Wer diese Sparform wählt, braucht starke Nerven. Der Wert der Bitcoins ist grossen Schwankungen unterworfen. Auf Handelsplätzen wie Bitcoin.de von Flaskämpers Unternehmen oder Mt. Gox kann man gegen Dollar oder Euro kaufen und verkaufen. Der Kurs steht aktuell bei 4,95 US-Dollar, mit einem Höchststand von 23,17 Dollar im Juni 2011; die gehandelten Volumen betragen zwischen wenigen Hundert und bis zu knapp 100’000 Bitcoins pro Tag.

Der starke Rückgang seit Juni deuten manche als Scheitern des Experiments, und manche Beobachter erwarten nichts weniger als ein Verbot. Der deutsche Bundesverband Digitale Wirtschaft hat ein solches Verbot gefordert, weil Bitcoins das Potenzial hätten, der «ganzen Gesellschaft nachhaltig zu schaden». Ein Verbot liesse sich schwerlich durchsetzen, weil das System ohne zentrale Infrastruktur arbeitet, sagt Flaskämper. Verboten werden könnten aber Handelsplätze wie Bitcoin.de. «Doch auch während des Goldverbots in den USA Anfang der 30er-Jahre wurde weiter munter mit Gold gehandelt», so Flaskämper.

Die WIR-Schecks der Nerds

Von der Nationalbank war keine offizielle Stellungnahme zu erhalten. «Das gefährlichste Experiment, das wir je gesehen haben» (Star-Blogger Jason Calacanis) sind die Bitcoins aber definitiv nicht – sondern vielmehr eine technisch elaborierte Variante von WIR-Geld oder von Talentscheinen, wie man sie bei Tauschnetzen verwendet. Sie funktionieren in der Subkultur der Nerds, aber eignen sich noch lange nicht fürs Shopping, fürs Abstottern der Autoleasingschuld oder das Zahlen der Miete.

Die «physical bitcoins» von Casascius sind eine fassbare Repräsentation der ansonsten rein digitalen Währung. Foto: PD

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 27. Februar 2012

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