Vorsprung für die Tauschbörsen

Im TA-Test schneiden die legalen Musikdienste schlecht ab. Neue Angebote hingegen können den illegalen Tauschbörsen das Wasser reichen.

Von Matthias Schüssler

Gut ein halbes Dutzend Websites bieten Musik gegen Bezahlung zum Download. Rund 300 000 Leute benützen sie – eine kleine Zahl, wenn man bedenkt, dass allein die die Tauschbörse Kazaa 60 Millionen Benützer hat. Das liegt nicht allein daran, dass die Songs auf illegalem Weg zum Nulltarif zu haben sind. Die Bezahldienste haben eine kleine Auswahl und sind unpraktisch zu bedienen. «Bestehende Dienste behandeln ihre Kunden wie Kriminelle», behauptet Steve Jobs, der mit Apple einen eigenen Dienst lanciert.

Dabei steckt im Verkauf von Onlinemusik ein riesiges Potenzial. «Als physischer Musikträger hat die CD den Zenit überschritten», sagt Joachim Kirschstein von Popfile.de. Downloads hingegen würden zum Massenmarkt, der pro Jahr um 30 bis 40 Prozent wächst: Musik ist perfekter Content für das Internet. Kompakte Audioformate wie MP3 und seine Nachfolger erlauben im Zusammenspiel mit einer Breitbandverbindung blitzschnelle Downloads. Der Musikladen im Cyberspace könnte ein gigantisches Sortiment bieten und auch rares, im Plattenhandel vergriffenes Material liefern.

Doch gerade die Auswahl ist ein grosser Schwachpunkt bestehender Angebote. Im TA-Test hatten die Bezahldienste keine Oldies und Goldies vorrätig. Unsere Testkandidaten – alles Stücke aus der Schweizer Hitparade oder den US-Billboard-Charts – waren eindeutig zu exotisch und zu ausgefallen für E-Music, Liquid.com oder Listen.com.

Kein Musik-Schlaraffenland

Wer sucht, der findet nicht, lautet das Fazit auch bei den aktuellen Hitparadenstürmern, wenn man nicht den richtigen Dienst gewählt hat. Die Betreiber der Onlineshops sind die Plattenfirmen selbst. Hinter Popfile.de steht beispielsweise Universal Music. Auf Popfile.de sind somit nur die Werke von Universal-Künstlern abzurufen: Ronan Keating oder Mary J. Blige, nicht jedoch Madonna, Linkin Park oder Shakira. Im Fall von Ace of Base ist die Sache noch komplizierter: Obwohl auf Popfile.de als Vertragskünstler gelistet, sucht man erfolglos nach dem 1993er-Hit «All that she wants». Der Grund: Die schwedische Gruppe hat zweimal die Plattenfirma gewechselt.

Wer sich nicht um Urheberrechte kümmert, findet per Kazaa oder Gnutella, was er in Bezahldiensten vergeblich sucht. Die Tauschbörsen machen per Internet aus Millionen von privaten Musiksammlungen ein einziges virtuelles Songarchiv. In diesem waren alle neun Titel des TA-Vergleichstests aufzufinden. Nicht einmal die allererste Schweizer Nummer eins vom 2. Januar 1968, «Monja» von Roland W., bot ein nennenswertes Problem. Natürlich haben auch die Tauschbörsen ihre Tücken: Drei Songs waren von so schlechter Qualität, dass auch gratis noch zu teuer ist.

Auch bei der Benutzerfreundlichkeit müssen die Bezahldienste aufholen, um die Tauschbörsenbenutzer aus der Illegalität zu locken. Während Kazaa und Gnutella mittels einfacher Programme zu benützen sind, muss man sich bei den Musikshops mit langsamen Websites und nicht funktionierenden Anmeldeformularen herumschlagen, um schliesslich – wie im Fall von LiquidAudio und Shania Twain – den lapidaren Bescheid zu erhalten, dass Europäer diesen Song nicht herunterladen dürfen. Die Zahlungsmodalitäten sind nicht immer kundenfreundlich: Eine monatliche Abogebühr ist auch zu bezahlen, wenn der Kunde keine Songs herunterlädt. Will der Käufer seinen Song auf CD brennen, kostet es etwa bei Listen.com eine Extragebühr. Auch bei der Information haperts. Nur technisch Versierte können beurteilen, ob sie den online gekauften Song auf CD brennen können oder nur am PC anhören dürfen.

Doch auch wenn er oder sie bezahlt, darf der Kunde sich nicht auf der Seite des Gesetzes wähnen. Der deutsche Phonoverband bezeichnet Weblisten.com aus Spanien als illegal, die Songs seien nicht zum Download lizenziert. Weblisten.com hat in unserem Test, abgesehen von der unverschlüsselt abgefragten Kreditkartennummer, am besten abgeschnitten.

Ernst zu nehmendes Geschäftsfeld

Bei diesem Fazit kann Musik aus dem Internet nur bedeuten, bei Amazon CDs zu bestellen. Geschäftsführer von Popfile.de, Joachim Kirschstein, versteht die Ernüchterung: «Die Angebotssituation gerade bei den amerikanischen Diensten ist jenseits aller Attraktivität.» Universal, so Kirschstein, hätte «lieber heute als morgen» eine nationale Branchenlösung, bei der die Künstler verschiedener Labels traut nebeneinander im (virtuellen) Regal zu finden sind. Bis es so weit ist, sei ein kleines Angebot besser als gar keins: «Es ist eine schreckliche Situation, dass eine Trendzielgruppe in die Illegalität gezwungen wird.» Die Erfahrungen mit Popfile.de als Pilotprojekt bewertet Kirschstein als positiv: Es sei gelungen, ein Zeichen zu setzen. «Die Branche beginnt, den Download als Geschäftsfeld ernst zu nehmen.»

Neue Dienste in den Startlöchern

Auch Apple macht Druck: Das Unternehmen hat letzte Woche einen eigenen, Dienst vorgestellt. Im iTunes Musics Store sind alle fünf grossen Musikverlage Sony, Warner, Universal, Emi und Bertelsmann beteiligt. Mac-Benützer starten ihren Download direkt aus der Musiksoftware iTunes. Die Musikdateien enthalten digitale Rechte (DRM) und sind nicht unbeschränkt kopierbar. Bei den Beschränkungen ist Apple zurückhaltend: Songs lassen sich unlimitiert auf CD brennen oder den iPod übertragen und auf bis zu drei Macs anhören. Beim Start ist der Dienst nur für amerikanische Mac-Anwender verfügbar.

Ein zweites Angebot soll in Europa gegen Ende des Jahres anlaufen. Anbieter des Dienstes Music over the Air (OTA) werden die Mobilfunkbetreiber sein. O2 führt in England von Mai bis Juni einen Testversuch durch. Music OTA funktioniert ohne Computer. Der Benutzer lädt die Tracks per GPRS-Handy auf einen von Siemens Schweiz produzierten Digital Music Player herunter. Anschliessend kann er die Musik hören, auf den PC übertragen, jedoch nicht auf CD brennen. Die Bezahlung erfolgt über die Telefonrechnung. Damit die angepeilte Zielgruppe der 14- bis 24-Jährigen auch die richtigen Titel vorfindet, stellt Musiksender MTV das «Sortiment» zusammen.

Michael Bornhäusser, der mit der Basler SDC AG das Digital Rights Management liefert, hat keinen Zweifel an der Zahlungsbereitschaft der Handydownloader: «Mit 1 bis 2 Euro pro Song wird die Musik günstiger sein als mancher Klingelton.»

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 5. Mai 2003

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