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Liebesdienst am Handy

Von Matthias Schüssler

Wenn Menschen Zuneigung empfinden, dann sind sie überaus spendabel. Das gilt auch, wenn die Gunst einem Gegenstand gilt – und das eröffnet Möglichkeiten. Geschäftstüchtige Leute haben rasch erkannt, welch grosse Affektionen das Mobiltelefon weckt. Als persönlicher Begleiter darf es in die Handtasche seiner Besitzerin und wird in anderen Fällen auf dem Körper getragen. Bei einem Grossteil der Bevölkerung ist das kleine Telefon immer mit dabei, stellt den Kontakt zu Freunden her oder nimmt intime SMS entgegen. Da ist es der Handygeneration ein Bedürfnis, dass auch das Gerätchen selbst der ganzen Welt zeigt, zu wem es eigentlich gehört. Darum ist das «Personalisieren» eine rentable Sache: Klingeltöne, Betreiberlogos, Täschchen, Kleber, «Anhängsel» oder Design-Covers verleihen dem ordinärsten Jedermannshandy Stallgeruch.

Dutzende von Websites machen sich das zu Nutze und stellen kleine Bildchen und Piepsmelodien bereit. Nirgendwo ist die Auswahl sonderlich originell, doch auch grobschlächtige Logos erfüllen ihren Zweck. Und weils um die Zusammengehörigkeit von Telefon und Telefonierer geht, finden auch Angebote Zulauf, welche über eine sauteure 0900-Nummer abrechnen.

Das Geschäft mit den Logos steht auf tönernen Füssen, und lang werden auch Klingeltöne die Kasse nicht mehr zum Klingeln bringen. Die neuen Handys mit den Farbbildschirmchen benötigen keine speziellen Formate mehr, denn sie verstehen die Sprache des Internets. Wer glaubt, sein Wesen werde durch diesen oder jenen Musik-, Sport- oder Filmstar am besten repräsentiert, sucht dessen Konterfei im Internet und schickts per Datenkabel, E-Mail oder Bluetooth aufs Display. Oder setzt auf maximale Individualität, wählt ein Bild aus dem digitalen Fotoalbum oder wird gar selber kreativ. Und weil sich kein Handyhersteller mehr erlauben kann, ein Modell ohne polyfone Klingeltöne auf den Markt zu werfen, kann sich jeder bei den Tausenden von Sounds im Midi-Format bedienen, die im Web zum Nulltarif zu finden sind. In jedem Fall ist das komplizierte Bestellprozedere, das bei manchen Anbietern 4.30 Franken die Minute kostet, hinfällig.

Es wird auch weiterhin Leute geben, die für den Liebesdienst am Handy den einfachsten Weg wählen und Handylogo-Klingelton-Websites nutzen. Das Internet als Gratisalternative wird den fairen Angeboten Auftrieb geben, auf ein originelles Angebot setzen und nicht zuletzt auch die Urheberrechte achten. Die Abzocker haben künftig einen schweren Stand.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 20. Januar 2003

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