Göttliche Schwarzweissmalerei

«Black & White» ist ein PC-Spiel, das Massstäbe setzt.

Von Matthias Schüssler

Ein gutes Computerspiel ist nicht von dieser Welt. Ein gutes Computerspiel öffnet dem Spieler die Tür in eine Parallel- oder Gegenrealität, in der andere Gesetze herrschen. Zum Beispiel: Die Welt ist eine Insel, und deren Gott bist du, der Spieler.

Dies ist das Naturgesetz des neuen PC-Spiels «Black & White» und der Hauptgrund, dass sich menschliche Gottesaspiranten noch so gern nach Eden entführen lassen. Wer «Black & White» gekauft hat, besitzt sein eigenes Reich: Eine farbenprächtige, durch tolle 3-D-Grafik zum Leben erweckte Insel mit Bergen, Tälern, wechselnden Tages- und Jahreszeiten und gottesfürchtig ergebenen Untertanen. Wie es sich für eine «Göttersimulation» geziemt, besitzt der Spieler mächtig viel Macht: Drückt er die Taste F3, schwebt er hoch über Eden, um im nächsten Augenblick durch einen Mausklick auf jeden beliebigen Ort der Insel herunterzustechen.

Wüten wie Gott in Eden

Gott kann Bäume ausreissen und wieder einpflanzen, den Bewohnern von Eden die mühselig errichteten Häuser zertrümmern oder aber seiner Gefolgschaft bei der Ernte oder dem Bau von Schiffen helfen. Per Maus gesteuert, kann die Hand Gottes die kleinen Menschlein zu Bauern oder Zimmermeistern machen, sie zwecks Vergrösserung der Anhängerschaft untereinander verkuppeln oder, zur Steigerung ihrer Religiosität, an die nächste Felswand klatschen. Ob er als Herrscher gut oder böse zu den Anvertrauten ist, muss der Spieler allein mit seiner eigenen – schwarzen oder weissen – Seele ausmachen. Erlaubt ist auch, sich von Fall zu Fall zu entscheiden und eine Gottheit von sprunghafter Natur zu sein.

Grundsätzlich lohnt es sich, das eigene Volk gut zu behandeln. Es ist für den Spielverlauf wichtig, dass Wohlstand und Wachstum ins kleine Dorf Einzug halten. Analog zu Strategiespielen à la «Age of Empires» muss der Spieler eine arbeitsteilige Wirtschaft in Gang setzen, indem er einzelnen Figuren Aufgaben zuweist. Sind stets genügend Nahrung, Baumaterial, gebärfreudige Ehepaare und bebaubares Land vorhanden, wachsen das Dorf und die Kultur der Bewohner.

Eine zweite Aufgabe des Spielers ist die Ausbildung einer Kreatur. Dieses Wesen ist nötig, da die Welt von «Black & White» von mehreren Göttern bevölkert wird. Kommen sich die Religionen in die Quere, sind Konflikte unvermeidbar. Um sie auszutragen und für andere wichtige Missionen einen Stellvertreter zu haben, halten sich Götter ihre Kreaturen – Kühe, Affen oder Tiger, die vor dem Kampf aufgezogen und trainiert werden müssen. Und je nachdem, ob der Spieler seinen heranwachsenden Schützling für seine Taten belohnt und bestraft, entwickelt er einen guten oder bösen Charakter.

Die Genres sind erfunden

Dem britischen Designer Peter Molyneux und seinem Team ist ein grosser Wurf gelungen. «Black & White» lässt am Bildschirm eine reiche und mystische Welt entstehen, in der man sich leicht für Stunden oder Tage verlieren kann. Mit viel Liebe zum Detail verbindet der Schöpfer der ersten Göttersimulation «Populous» das Strategie- und Simulationsspieleprinzip mit der zauberhaften Atmosphäre eines Fantasy-Epos. Trotzdem vermag das Spiel den Erwartungen nicht auf der ganzen Linie standzuhalten: Ein «völlig neues» Spielprinzip bringt «Black & White» nicht. Die Computerspiel-Genres sind längst erfunden.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 23. April 2001

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Thema: B&C
Nr: 3530
Ausgabe: 01-423
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