Offenes Rennen um Musikstandard

Der Nachfolger von MP3 steht in den Startlöchern – aber Microsoft setzt aufs eigene Format.

Von Matthias Schüssler

MP3 ist das Musikformat des Internets und erlebte in den letzten drei Jahren eine fulminante Erfolgsgeschichte. In diesen Tagen soll das nächste Kapitel geschrieben werden. Die Weiterentwicklung des populären Audioformats heisst MP3pro und vermag Musik noch Platz sparender zu speichern. In Zahlen ausgedrückt: Eine mit der MP3pro-Technik erzeugte digitale Sounddatei ist halb so gross wie ein normales MP3-Musikstück – eine Audio-CD belegt noch rund 30 MB.

CD-Qualität live per ISDN

Ein Verfahren namens SBR (Spectral Band Replication) ermöglicht die wundersame Platzersparnis: Es verhindert, dass bei starker Komprimierung die hohen Frequenzen verloren gehen und die Musik klingt, als ob sie aus dem Telefonhörer käme. Mit SBR wirken Aufnahmen auch dann fast so gut wie unkomprimierter CD-Klang, wenn für eine Sekunde Ton nicht mehr als 64 Kilobit Daten anfallen dürfen – bei MP3 gilt 128 Kbps (Kilobit pro Sekunde) als unteres Limit. Bemerkenswert ist dies auch deshalb, weil sich MP3pro unter Idealbedingungen live per ISDN übertragen lässt. Erfreulicherweise lassen sich MP3pro-Tondateien mit herkömmlichen MP3-Playern abspielen. Mit zwei Einschränkungen: Einerseits könnten MP3-Walkmen vereinzelt Mühe bekunden. Andererseits ignorieren alte Wiedergabegeräte die nach dem Pro-Verfahren beschriebenen hohen Frequenzen. Qualitätseinbussen sind die Folge.

MP3 ist bei Anwendern beliebt und verbreitet. Doch nicht überall ist die Akzeptanz so gross. Microsoft will die Windows-Benützer zum Umstieg auf das eigene Format WMA (Windows Media Audio) bewegen: Das im Herbst erscheinende Windows XP respektive der darin eingebaute Mediaplayer 8 kann MP3 mit maximal 56 Kbps umwandeln – zu wenig für ordentliche Qualität. News.com zitiert den Microsoft-Produktmanager Tom Laemmel: Untragbar sei die Lizenzgebühr, die Microsoft an die MP3-Erfinderin, die Fraunhofer-Gesellschaft, hätte entrichten müssen. Andere Beobachter gehen davon aus, dass es Microsoft mit der Plattenindustrie nicht verderben will und daher auf das kopiergeschützte WMA setzt (siehe dazu auch die «Kummerbox»). Einige Betatester monierten, unter Windows XP würde die MP3-Erzeugung generell nicht funktionieren – eine Behauptung, die unsere Tests nicht erhärteten. Auch Microsofts Ankündigungen widersprechen der «Verschwörungstheorie»: Mittels Plug-ins Dritter könne der Mediaplayer 8 zur vollwertigen MP3-Zentrale aufgerüstet werden.

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SCREENS TA

Windows XP favorisiert nicht MP3, sondern das Microsoft-Format. Unten: Das erste Programm für MP3pro.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 25. Juni 2001

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Thema: Zweitgeschichte
Nr: 3694
Ausgabe: 01-625
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