Mogel- Windows?

Von Matthias Schüssler

Ein häufig kolportiertes Gerücht besagt, dass die besten Leute bei Microsoft nicht in der Entwicklerabteilung arbeiten. Nein, die besten Pferde im Stall seien in der Marketingabteilung beschäftigt. – Es könnte etwas Wahres an dieser Nachrede sein: Die Microsoft-Produkte sind schon im Gerede, derweil noch Monate verfliessen, bis sie auch in den Läden sind. Geschickt hält der Redmonder Software-Riese das Interesse wach, und Betaversionen von Windows und Office wirbeln mehr Staub auf als die fertigen Produkte vieler anderer Hersteller.

Trotz dieses Geschicks im Umgang mit den Käufern wird die Rechnung mit dem neuen Windows nicht aufgehen. Auch treue Microsoft-Kunden werden sich von der klingenden Bezeichnung Millennium nicht in die Irre führen lassen. Windows ME ist ein gelungener Service-Release, aber kein Jahrtausendwurf. Viele der Multimedia-Zugaben gibt es gratis im Internet, und Unterstützung für Web- oder Digitalkameras benötigt nur, wer auch solche Hardware besitzt. Kommt dazu: Mit Windows Millennium schlägt Microsoft keine eigenen Nägel ein: Die innovativsten Funktionen, die Idee zum Schnittprogramm, die anpassbare Optik des Media-Players und die gelungene Musikvisualisierung hat sich Microsoft kurzerhand von ähnlichen Programmen «ausgeliehen».

Es ist keine Schande, ein guter Verkäufer zu sein und seine Produkte geschickt an den User zu bringen. Es drängt sich aber dennoch der Verdacht auf, dass Microsoft mit Windows ME weniger den Benützern Gutes tun, als vielmehr die Zeit bis zum nächsten grossen Update 2001 überbrücken und Einnahmen generieren möchte. Da spielen die Konsumenten nicht mit und werden trotz des um zwanzig Prozent reduzierten Preises nicht in Scharen in die Computerläden strömen.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 11. September 2000

Rubrik und Tags:

Faksimile

Metadaten
Thema: Monitor
Nr: 575
Ausgabe: 00-911
Anzahl Subthemen: 5

Obsolete Datenfelder
Bilder: 0
Textlänge: 160
Ort:
Tabb: FALSCH