Software/Delphi 5:

Das Orakel und die Pascal-Sprüche

Die neue Version von Delphi bietet neben neuen Komponenten für die Datenquellen-Einbindung und die Entwickliung von Client/Server-Anwendungen hauptsächlich Verbesserungen bei den Benutzerschnittstellen.

Von Matthias Schüssler. Delphi 5 ist schöner, farbiger als seine Vorgänger. Das Programm, welches den Namen eines griechischen Dorfes in der Nähe Athens trägt, ist in der fünften Version geschmückt, als ob zur Stunde eine Prozession zur Huldigung des lokal ansässigen Orakels stattfände. Ein grosser Splash-Screen versüsst den deutlich längeren Programmstart und die Menüs sind nicht mehr karg und grau, sondern durch Ikönchen dekoriert.

Festschmuck für die Delphi-Oberfläche

Die Borland/Inprise-Screendesigner haben die Programmoberfläche einer Renovation unterzogen und diverse Hilfsmittel eingebaut. Während die Menüs mit den Ikönchen dem Aspekt «Spielerei» zugerechnet werden können und eher zu einer überladenen Oberfläche beitragen, gibt’s nützliche Neuerungen.

Der Code-Explorer erleichtert die Navigation innerhalb umfangreicher Units, indem er in einer Baumstruktur die Typen, Klassen, Eigenschaften, Methoden, globalen Variablen und globalen Routinen, der im Quelltexteditor angezeigten Unit zusammenfasst. Statt zu scrollen oder mit Positionsmarken zu arbeiten, kann man durch Doppelklick auf einen Bezeichner die gewünschte Codestelle schnell auffinden.

Der Explorer ist dabei recht vielseitig konfigurierbar: Einerseits kann man selbst bestimmen, welche Kategorien man angezeigt haben möchte. Zum zweiten lässt festlegen, dass Delphi die Elemente entweder alphabetisch sortiert oder in der Reihenfolge ihres Erscheinens im Quelltext anzeigt. Sogar die Kategorie-Äste, welche standardmässig ausgeklappt sein sollen, darf man in den Präferenzen bestimmen – sehr praktisch!

Auch der Eigenschaftsdialog, bei Delphi «Oberinspektor» genannt, ist bedeutend vielseitiger als in früheren Versionen. «Derrick» vermag die Eigenschaften neu auch nach Kategorien sortiert anzuzeigen. Somit stehen Dinge, die naturgemäss zueinandergehören auch beieinander. Wählt man die Kategorien-orientierte Sichtweise (im Pop-Up-Menü des Oberinspektors Anordnen – «nach Kategorie» anklicken), dann erscheint eine Baumstruktur mit allen Kategorien, die sich einzeln ein- und ausblenden lassen. Beschäftigt man sich beispielsweise mit dem Designen eines Formulars, blendet man lediglich die Kategorie «Visuell» ein und sieht dann nur die Eigenschaften, welche man auch benötigt – also z.B. die Ausrichtung, die Farbe, Grösse und Darstellung eines Dialogfeldes oder sonst eines Steuerelements.

Auch die Ereignisse im entsprechenden Reiter folgen dieser Gliederung. Auf Wunsch können Kategorien im Pop-Up-Menü auch vollständig ausgeblendet werden.

Schreibtisch-Schnappschuss

Der Desktop lässt sich nun speichern – sprich, die Anordnung der Dialoge und Paletten kann gesichert und über eine in der Symbolleiste platzierte Drop-Down-Liste schnell aufgerufen werden. So kann man sich Ansichten fürs Codieren und Debuggen anlegen und sehr schnell zwischen diesen umschalten. Schliesslich haben alle Fenster neuerdings die Fähigkeit, an ihresgleichen «andocken» zu können. «Klebt» man die Fenster aneinander, kriegt man das Problem mit wild über den Bildschirm marodierenden Paletten besser in den Griff und verhindert, dass sich ständig irgendwelche Fenster überlappen und wieder nach vorn geholt werden müssen.

Neu finden sich in der Delphi-Komponentenpalette unter «Server» jede Menge an vorfabrizierten COM-Komponenten für den Zugriff auf die Programme der Microsoft-Office-Familie. Grundsätzlich ist es natürlich möglich, auch ohne diese auf die Office-Programme und jede COM-fähige Anwendung zuzugreifen. Aber mit den neuen Komponenten gerät der Zugriff auf Office zum Kinderspiel. Die Zeilen

WordApplication1.Connect;
Wordapplication1.Visible:=True;

reichen dabei aus, um Winword als COM-Server einzurichten und hernach darauf zuzugreifen.

Das Orakel weiss, was zu tun ist

Neu in Delphi ist die To-Do-Liste. Code-Abschnitte, welche noch überarbeitet oder ergänzt werden müssen, können durch To-Do-Kommentare gekennzeichnet werden. Schreiben Sie Kommentare in Ihren Code, die mit dem Stichwort «ToDo» beginnen, erscheinen diese automatisch im Dialog der pendenten Aufgaben – so sieht man sofort, was noch erledigt werden muss. Die To-Do-Kommentare können durch die Vergabe von Prioritäten oder durch einen Besitzer ergänzt werden. Ein Beispiel:

{ TODO 2 -oMatthias -cStartup : ToDo: Weitere Startparameter hinzufügen: Zählweise (score)}

Delphi 5 enthält neu auch die «Translation Suite», die beim Lokalisieren von Anwendungen behilflich ist. Ein Wizard hilft beim Einrichten: Man wählt die Sprachen in die das Programm übertragen werden soll. Delphi richtet hierauf Unterverzeichnisse ein, welche sprachrelevante Ressourcen enthalten. Der «Translation Manager» listet dann tabellarisch alle zu übersetzenden Elemente auf. Mit dem indivuduell anpassbaren Wörterbuch kann der Manager häufig auftretende Begriffe sogar selbständig übersetzen. AufWunsch kompiliert das Tool alle eingerichteten Sprachversionen.

Umstellung mehrheitlich problemlos

Das Öffnen von Delphi-3- und -4-Projekte ergab in unseren Tests keine grösseren Probleme. In einem Projekt musste ich die Variable «Actions» umbenennen, da diese von der neuen Komponente TAction verwendet wird. TAction ist die Basisklasse für Aktionsobjekte, und dient dazu, Benutzerbefehle für mehrere Komponenten zentral zu implementieren. Es fällt auf, dass die Kompilate von Delphi 5 wieder deutlich grösser werden, als die ausführbaren Dateien früherer Delphi-Versionen. Ein etwas grösseres Projekt (Clickomania 4) ergibt, kompiliert mit Delphi 3 686 KByte. Was Delphi 5 erzeugt, bringt dagegen stolze 832 KBytes auf die «Waage». Es lohnt sich daher nicht, dieses Projekt zu «migrieren», da der Leistungsumfang von Delphi ausreicht und die Funktionen von Delphi 5 die zusätzlichen KBs nicht rechtfertigen. Für andere Projekte sieht das natürlich anders aus.

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Neuigkeiten im Überblick

Nicht alle Funktionen sind in allen Delphi-Versionen enthalten. Die meisten Datenbankfunktionen finden sich nur in der Enterprise-Edition, so etwa die MIDAS-Erweiterung (welche Funktionen in den einzelnen Delphi-Editionen vorhanden sind, finden Sie unter www.borland.com/delphi/productinfo/featurelist/)

  • Web: Delphi 5 unterstützt diverse neue Web-Farmate und Technologien, darunter XML und HTML 4 in der Browser-Komponente.
  • MIDAS 3, die neuste Version der «Distributed Applications Services Suite», stellt den Zugriff von Windows-Clients oder Browser-Clients auf Daten und Dienste im Internet sicher. MIDAS unterstützt für das Enterprise-Computing wichtigen Standards wie HTTP, COM, MTS oder CORBA (Common Object Request Broker Architecture).
  • Das Hilfsprogramm «TeamSource» ermöglicht Versionskontrolle und das gemeinsame Nutzen von Ressourcen für die Team-Entwicklung.
  • Der «Translation Manager» hilft beim Lokalisieren von Projekten in verschiedenen Sprachen.
  • Neue IDE-Funktionen: Code-Explorer, Drag und Drop aus dem Projekt-Manager, automatisches Kompilieren aller Komponenten eines Projekts (EXE- und DLL-Dateien), bessere Konfiguration der IDE.
  • ToDo-Liste (Pendenzen-Verwaltung)
  • Erstellung von Systemsteuerungsmodulen, NT-Services und Konsolen-Anwendungen.
  • Office-Automationskomponenten für die Integration von Word, Excel und Outlook in eigene Anwendungen.
  • Eigenschafts- und Ereignis-Kategorien.
  • FPU-Fenster mit Anzeige der Gleitkomma-Register oder der MMX-Informationen des Prozessors.

Quelle: M+K Computer-Markt, Montag, 29. November 1999

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Thema: Software
Nr: 337
Ausgabe: 99-12
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