Schüssler

Apps, die in keine Schublade passen

Wir haben uns bei den Anwendungsprogrammen an klare Kategorien gewöhnt. Es gibt Textverarbeitungen, Notiz-Apps, Tabellenkalkulationen, Datenbanken und Software für den Betrieb von Websites. Dieser schönen Ordnung zum Trotz tauchen gelegentlich Programme auf, die in keine dieser Kategorien passen – respektive in mehrere davon.

Diese Software-«Zwitter» haben einen bedeutenden Vorteil: Sie eignen sich nicht nur für isolierte Einzelaufgaben, sondern auch für grössere Projekte. Sie sind oft auf Teamarbeit ausgelegt und können flexibel für unterschiedliche Bedürfnisse angepasst werden. Das ist gleichzeitig ein Nachteil: Mit ihrem universellen Ansatz sind die Programme schwer zu fassen. Ob sie unserer Arbeitsweise entsprechen, merken wir erst während eines realen Projekts.

Notion ist ein solches schwer einzuordnendes Programm. Es ist eine Verschmelzung aus Notiz-App und Datenbank. Einzelnutzer verwenden es als Tagebuch, für Film- und Bücherlisten oder Rezeptsammlungen. Start-ups organisieren ihre Abläufe und managen Projekte. Und Lehrpersonen planen ihre Klassen und die Hausaufgaben damit (notion.so).

Airtable wirkt wie eine moderne Variante von Excel. Doch diese Software ist nicht wie eine klassische Tabellenkalkulation nur zum Rechnen da. Sie verwaltet nicht nur Zahlen, sondern auch Informationen jeglicher Art, mit fliessenden Grenzen zur Datenbank. Die App, zu finden unter airtable.com, ist auch der Teamarbeit gewachsen: Dank unterschiedlicher Zugriffsberechtigungen sieht jeder Nutzer nur die Informationen, die er sehen sollte.

Obsidian passt auch in keine Kategorie. Bei dieser brandneuen App, zu finden unter obsidian.md, stehen Notizen im Zentrum. Sie ist aber auch für lange, ausformulierte Aufsätze gut gerüstet und sie lässt sich hervorragend als Textverarbeitung nutzen.

Texte in «Vaults». Dokumente werden pro Projekt in einem Tresor abgelegt. Dort lassen sie sich untereinander verlinken. Das ermöglicht Wissenssammlungen im Stil von Wikipedia. Als Besonderheit stellt Obsidian diese Verknüpfungen auch grafisch dar – wie ein Spinnennetz von Dokumenten.

Das erinnert an eine Mindmap. Das ist eine visuelle Technik, um komplexe Themengebiete zu erschliessen. Bei Obsidian ist jeder Punkt in einer Projektlandschaft eine separate Datei. So erschliessen sich auch umfangreiche Informationsbestände intuitiv.

Obsidian veröffentlicht Vaults bei Bedarf auch im Web. Und einige weitere Dinge sind bemerkenswert: Die App verwendet Markdown. Das ist eine inzwischen verbreitete Methode für Formatierungen in Texten. Auszeichnungen für Titel, fette oder kursive Passagen werden über Steuerzeichen vorgenommen. Das ergibt kompakte Dateien, die sich in allen gängigen Editoren bearbeiten lassen.

Die Cloud ist optional. Obsidian speichert Dateien auf dem Windows-PC oder Smartphone. Es ist auch möglich, sie über eine Internetablage wie Dropbox, iCloud oder Onedrive zu synchronisieren. Der Hersteller unterhält für 10 Dollar pro Monat einen Sync-Dienst, der für die Nutzung am iPhone oder Android-Telefon sinnvoll ist. Die Software selbst ist für Private kostenlos, für Geschäftsnutzer gibt es Abos.

Ersatz für MS Office. Obsidian ist über Plug-ins, also Zusatzmodule, flexibel erweiterbar. Ob die für den aktuellen Tag terminierten Daily Notes, Kanban, Mathe oder Wortzähler; es gibt über 600 Möglichkeiten, den Funktionsumfang zu vergrössern: Das ist ein gutes Argument für Leute, die zweifeln, ob Microsoft Office nach mehr als 30 Jahren noch der Weisheit letzter Schluss ist.

Matthias Schüssler ist Digitalredaktor der SonntagsZeitung.

Quelle: Sonntagszeitung, Sonntag, 13. November 2022

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