Kommentar

Facebook ist down – und alle geniessen die Ruhe

Die Panne beim Sozialen Netzwerk hat vor allem eines aufgezeigt: Es ginge auch ohne.

Eine Störungsmeldung bei der Swisscom versetzt uns in Alarmzustand: Was würden wir bei einem Notfall tun, wenn die Notrufnummern nicht mehr erreichbar wären? Was tun, wenn ein Familienmitglied plötzlich dringend Hilfe braucht?

Ganz anders bei Facebook: Der rund sechs Stunden andauernde Ausfall hat im Kollegenkreis vor allem zu hämischen Spekulationen über mögliche Ursachen Anlass gegeben: Hat Mark Zuckerberg aus Versehen Kaffee über den Server geschüttet? Hat er dreimal das falsche Passwort eingegeben und den Admin-Account blockiert?

Am Morgen danach herrscht bei Instagram, Whatsapp und Facebook Normalbetrieb. Keiner regt sich gross auf, bloss ein Freund postet ein ironisches Meme, auf dem steht, er «habe den Facebook-Ausfall von 2021 überlebt». Der Freund ergänzt das mit dem Hinweis, er habe einen ruhigen Abend verbracht.

Zugegeben: Würde ein Ausfall länger als bloss ein paar Stunden dauern, hätte das für manche von uns unangenehme Folgen.

Es gibt Leute, die die Dienste des Konzerns nicht nur privat, sondern aus geschäftlichen Gründen nutzen, in Schwellenländern noch viel mehr als bei uns.

Doch es steht ausser Frage, dass sich ganz schnell Ersatzlösungen finden würden. Jimmy Fallon spottete in der «Tonight Show», die Leute hätten ohne Instagram ihre «Wochenend-Kürbisfeld-Selfies halt auf Linkedin gepostet».

Twitter hat stark vom Ausfall profitiert. Sogar Facebook selbst hat seinen Kanal dort genutzt, um die Meldung abzusetzen, man sei sich der Probleme bewusst: Nicht einmal Facebook selbst ist auf Facebook angewiesen.

Dass bei den Nutzern keine Panik zu beobachten ist, sollte die Facebook-Führungsriege in Alarmzustand versetzen. Die Technik- und Netzwerkverantwortlichen müssen sofort alle erdenklichen Massnahmen treffen, damit sich so ein Blackout nicht wiederholt. Denn sonst könnten noch mehr Nutzer zur Einsicht gelangen, dass weder Instagram noch Facebook und nicht einmal Whatsapp systemrelevant sind.

Die Nutzer könnten auch auf die Idee kommen, während einer längeren Zwangspause den Nutzen von Facebook gegen die mentalen Kosten aufzurechnen.

Viele würden sich fragen, ob sie bloss aus Gewohnheit noch dabei sind. Der Reflex ist stark, während jeder kleinen Pause schnell zum Handy zu greifen und zu sehen, was sich in der Timeline tut – und der Kick durch die Aufmerksamkeit anderer unmittelbar.

Die Ruhe hingegen, sie braucht Zeit, um sich zu entfalten.

Doch wenn sie erst einsetzt, dann macht sich auch ein wohliges Gefühl der Erleichterung breit: Endlich einmal kein erbitterter Streit für oder gegen die Impfung. Eine Pause vom Populismus. Keine Diskussion, in die man hineingezogen wird.

Und was würde man im Gegenzug vermissen? Sicher, einige der wenigen lustigen, unpolitischen Gruppen – und ein paar wenige Freunde, die bislang noch nicht auf Twitter sind. Aber mehr auch nicht.

Matthias Schüssler

Eine Pause vom Populismus. Keine Diskussion, in die man hineingezogen wird.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 6. Oktober 2021

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