Windows 98 ante portas!

Falls die Justiz Microsoft nicht noch einen dicken Strich durch die Rechnung macht, wird ab 25. Juni 1998 der Nachfolger von Windows 95 mit dem sinnigen Namen «Windows 98» ausgeliefert. Was kann der umstrittene Thronfolger? Und: lohnt sich der Umstieg?

Von Matthias Schüssler. Wir Computerjournalisten mussten dieser Tage stirnrunzelnd feststellen, dass wir das Berichterstattungsmonopol bei Grossereignissen der Informatikbranche endgültig verloren haben. Mit der Lancierung von Windows 98 erleben wird derzeit ein solches Grossereignis und jede Tageszeitung fühlt sich berufen, Microsofts Querelen mit der Justiz zu rapportieren. Und wenn Bill Gates an der grossen Windows 98-Pressekonferenz plötzlich den «Blue screen of death» auf der Grossleinwand hat, ist das der Tagesschau einen Beitrag wert.

Ist die Medien-Aufmerksamkeit gerechtfertigt? Haben bei Microsoft wirklich die Software-Ingenieure die entscheidende Arbeit geleistet oder nicht doch eher die Marketing-Verantwortlichen? Trotz ausgiebigem Tamtam auf in allen Kanälen gilt: Nicht für jeden PC ist Windows 98 ein Muss. Manche Memphis-Merkmale – Farbmanagementsystem, neue Systemwerkzeuge oder neue Multimediatreiber – machen das Update erwägenswert.

Internet-Integration: Ein alter Hut

Das Killer-Feature von Win98 ist gar nicht mehr neu: Jeder, der den Internet-Explorer 4.0 mit erweiterter Desktop-Funktionalität installierte, weiss, was Gates’ Mannen unter «Internet-Integration» verstehen. Microsoft hat die Stricknadeln klappern lassen und die Explorer fürs Netz und für die Festplatte in bester Hausfrauenmanier zusammengelismet. Dies macht das Windows-Desktop bunter: Der Schreibtisch lässt sich mit HTML-Seiten und «Channel-Guide» verschönern, und die Festplatte tut plötzlich so, als wäre sie eine Internet-Site. Das mag auf einem Heim-PC Sinn und Spass machen, zum Arbeiten braucht man derlei Gadgets nicht. Doch Windows 98 soll nur in zweiter Linie eine Arbeitsplattform sein – dafür gibt’s Windows NT! Unterhaltung und «Fun», das sind die Schlagworte zu Windows 98. Die direct-X-Schnittstelle für schnelles Gameplay ist ebenso fester Bestandteil des Systems, wie die DVD-Unterstützung und Video-Codecs für MPEG-Videos. Win98 unterstützt schon von Haus aus WebTV. Dies ist eine Technologie, die Fernsehgenuss am PC ermöglicht und diese mit HTML-Inhalten verbindet. Dieses Feature ist allerdings im Moment nur in Amerika ein Thema; die WebTV-Komponenten werden nur auf audrücklichen Wunsch hin installiert.

Freude herrscht bei DTPlern

Trotz dem Schwergewicht auf Unterhaltungstechnologie gibt es auch andere Gründe für Windows 98. Ein echtes Highlight ist die Unterstützung mehrer Bildschirme. In Zeiten, wo die Symbolleisten und Toolboxes grösser sind als das Dokumentenfenster ist die Expansion des Desktops via zusätzlichem Monitor eine verlockende Alternative. Wenn man bei der Wahl der sekundären Grafikkarte eine gute Wahl trifft, kann man unter «Eigenschaften der Anzeige» im Reiter «Einstellungen» mittels Maus die Monitore so anordnen, dass der Windows-Desktop sich ihren Wünschen gemäss auf den beiden Monitoren verteilt. Wenn nicht – dann nicht. Nur wenige Grafikkarten sind als sekundäre Adapter geeignet (Modelle von ATI, Cirrus, S3 und Trident – Erkundigen Sie sich unbedingt vor einem Kauf!).

Vor allem Anwendern in der grafischen Branche wird dieses Feature viel Freude machen. Ähnliches konnte bis anhin nur das MacOS. Und neben dem «Multiple Display Support» fällt gleich noch eine Mac-Bastion. Stichwort: Farbmanagement. Damit wird es unter Windows künftig möglich sein, dass alle DTP-Anwendungen auf ein CM-System (CMS = «Color Management System») zugreifen. Dieses Farbmanagementsystem bietet Farbprofile für Scanner, Monitore und Drucker und sorgt durchgängig für eine konsistente Farbverarbeitung. Spezielle Programmierschnittstellen stehen den Gerätetreibern und Programmen zur Verfügung, so dass Farben immer über einen geräteunabhängigen Farbraum beschrieben werden können. Proprietäre CMS-Lösungen, wie man sie bisher unter Windows pflegte, werden damit längerfristig hinfällig.

Neue Hardware voll unterstützt

Sämtliche hippen Hardware-Kürzel wie DVD, AGP und USB werden von Windows 98 ohne Konfigurationsstress unterstützt. Sprich: Um ein Windows 95 (und nur der neueste OSR2-Release kommt da überhaupt in Frage) auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen, muss man eine beachtliche Menge an Patches und Treiber aufgespielt werden. Bei Windows 98 ist alles mit dabei. Treiber für LX- und BX-Chipsätze von Pentium II-Boards sind vorhanden (zu finden unter «Systemkomponenten» im Geräte-Manager), ebenso aktuelle Busmaster-Treiber für optimale Festplattenzugriffe. Systeme mit einem AGP-Slot («Accelerated Graphics Port») profitieren von Windows 98. Unter Windows 95 ist eine Installation von Grafikkarten mit AGP-Schnittstelle zwar möglich, man muss jedoch mit einem Speicherkonflikt zwischen PCI-Bus und Karte leben.

Generell ist die Datenbank der Plug-und-Play -Treiber von Windows 98 wieder auf dem neuesten Stand. Windows 95 erkennt trotz «Einstecken und Loslegen» viele Hardware-Komponenten nicht – einfach, weil diese dem angegrauten Betriebssystem nicht bekannt sind.

Angesichts dieser umfassenden Unterstützung von modernster Hardware ist es schade, dass Win98 noch immer auf DOS aufsetzt und tonnenweise 16-bit-Altlasten mit sich schleppt. Wer sich davon überzeugen möchte, benützt das Tool «Microsoft System Information» und lässt sich die geladenen 16-bit-Module anzeigen. Es sind Myriaden!

Fat32: Weniger Platzverschwendung

Mit Windows 98 kommen nun alle Benutzer in den Genuss des neuen Dateisystems Fat32. Diese verbesserte Version der File-Allocation Table war bereits im OSR2-Release von Windows 95 enthalten, welche jedoch nur vorinstalliert auf Neu-PCs ausgeliefert wurde. Fat32 erlaubt es, Festplatten von über zwei GByte als ein Laufwerk zu partitionieren. Fat32 arbeitet ausserdem mit kleineren Clustern, wodurch weniger Platz verschwendet wird. Ein Tool namens «DriveConverter» ermöglicht es, bestehende Laufwerke vom Fat16 ins Fat32-Format zu konvertieren und informiert über den zu erwartenden Platzgewinn. Bevor Sie jedoch Ihre Laufwerke umwandeln: Mit DOS oder Windows NT sind solche Laufwerke nicht mehr ansprechbar!

Mit Windows 98 hält auch eine beachtliche Parade an System-Utilities Einzug im «Zubehör»-Menü: «Disk Cleanup» löscht temporäre Dateien und diverse Überbleibsel, «Compression Agent» berät bei der Installation von «DriveSpace 3», welches bei Windows 95 noch optional mit dem Plus-Pack zu erwerben war und die Festplatte komprimiert. Da Windows 98 aber selbst einen gesteigerten Festplattenhunger mitbringt (unter 150 MByte freiem Platz lässt sich das System erst gar nicht installieren) und nur auf neuen Systemen installiert werden sollte, wird dieses Tool wohl vorerst ein Dornröschendasein fristen.

Der «Maintenance Wizard» soll für ein leistungsfähiges System sorgen: In wählbaren Intervallen löscht er temporäre Dateien, beschleunigt die Ausführung von oft benötigten Programmen durch geschicktes Plazieren auf der Festplatte und prüft und defragmentiert die Harddisk. Ein Überwachungstool namens «System File Checker» prüft schliesslich, ob alle nötigen Systemdateien noch vorhanden sind und spielt versehentlich gelöschte oder beschädigte Komponenten automatisch neu ein.

Scripts anstelle von Batch-Dateien?

Toll und lange ersehnt: Windows kann in der neuen Version Scripts in Visual Basic ausführen. Beispiele lassen ahnen, dass hier ein mächtiges Instrument für Automatisierungsaufgaben vorhanden ist – die Hilfedateien schweigen sich leider über die Befehle aus. Wir werden Ihnen in M+K-Tips geben, wie sie die Scripts sinnvoll einsetzen.

Der richtige Windows 98-PC

Windows 98 ist nichts für schwachbrüstige PC-Antiquitäten. Auf 386ern lässt es sich erst gar nicht installieren. Ausserdem raten wir davon ab, Microsofts Angaben zu Minimalanforderungen (ein 486er mit 16 MByte RAM) für bare Münze zu nehmen. Ein Pentium mit mindestens 32 MByte RAM muss es sein. Flüssiges Arbeiten ist mit Prozessoren ab 200 MHz Taktfrequenz möglich. Bedenken Sie: Die Integration des Internet Explorers ins System macht dieses um zehn bis fünfzehn Prozent langsamer.

Die grossen Stärken von Windows 98 liegend in der Unterstützung neuer Hardware wie USB, AGP und DVD. Und damit sind alte PCs nicht ausgestattet. Unsere Empfehlung: Installieren Sie Windows 98 nur, wenn Sie über satte Hardware-Reserven verfügen. Grosse Aufrüstungsaktionen für Windows 98 lohnen sich unserer Meinung nach nicht. «Memphis» bringt keine Killer-Features. Windows 98 wird etwa Fr. 169.– kosten.

Quelle: M+K Computer-Markt, Montag, 1. Juni 1998

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Thema: Microsoft Windows 98
Nr: 217
Ausgabe: 98-7
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