Der Like-Knopf war nicht Zuckerbergs Idee

Social Media Einer der Erfolgsfaktoren des sozialen Netzwerks ist der Knopf mit dem nach oben gestreckten Daumen. Dessen Potenzial hat selbst Gründer Mark Zuckerberg verkannt – steht in einem neuen Buch über das Innenleben von Facebook.

Matthias Schüssler

Der nach oben gestreckte Daumen als globale Geste der Zustimmung ziert das Firmenschild vor Facebooks Hauptsitz an der prestigeträchtigen Adresse am Hacker Way 1 in der kalifornischen Stadt Menlo Park. Er ist auch das Symbol für eine der prägendsten Funktionen des sozialen Netzwerks überhaupt. Das ist der Like-Button, der in Deutsch deutlich weniger prägnant «Gefällt mir»-Knopf genannt wird.

Dieser Knopf ist das wirksame Instrument, mit dem Facebook seine Nutzer an sich bindet. Er bringt sie dazu, markant mehr Engagement zu zeigen, als sie es nur mittels Kommentaren oder eigenen Postings tun würden. Der Button ermöglicht es Facebook, grosse Teile des offenen Netzes zu vereinnahmen: Indem er auf Millionen von Websites eingebunden ist, kann Facebook die Bewegungen der Nutzer auch ausserhalb der eigenen Plattform nachverfolgen und sogar Daten sammeln über Leute, die gar kein Konto bei Facebook haben.

Schliesslich ist der Knopf der Schlüssel für die umfangreiche Profilerfassung der Nutzer, die mit der Affäre um das Datensammelunternehmen Cambridge Analytica ruchbar geworden ist. Der Psychologieprofessor Michal Kosinski hat Anfang der 2010er-Jahre an der Cambridge University herausgefunden, dass es nur einige Dutzend Likes braucht, um treffsichere Aussagen über einen Nutzer anstellen zu können: Ob Gesundheit, sexuelle oder politische Orientierung oder Ethnie – mit einer überschaubaren Zahl von 10 bis 300 Likes lässt sich mehr über eine Person in Erfahrung bringen, als selbst enge Vertraute oder Familienangehörige wissen.

Diese Erkenntnis aus dem wissenschaftlichen Papier von Kosinski und seinem Co-Autor David Stillwell haben den Weg für die politische Einflussnahme geebnet, mit der Cambridge Analytica versucht hat, die US-Präsidentschaftswahlen von 2016 mittels gezielter Botschaften zugunsten der Republikanischen Partei zu beeinflussen.

Gehörte nicht zum Masterplan

Umso überraschender ist darum, dass der Like-Knopf Facebook gewissermassen in den Schoss gefallen ist und nicht zum Masterplan von Firmengründer Mark Zuckerberg gehörte. 2007 war zwar die Idee entstanden, den Nutzern irgendeine Möglichkeit zu geben, ihre Zustimmung auszudrücken. Das Feature hiess ursprünglich noch «Props» – etwa so viel wie «Danke schön». Doch das Team um den Chefentwickler Justin Rosenstein wollte ihn eigentlich «Awesome»-Button nennen – was sich in Deutsch nur flapsig mit «Fantastisch!» übersetzen lässt. Doch wie auch immer der Knopf geheissen hätte, das Projekt kam zum Stillstand und wurde nicht weiterverfolgt.

Erst als sich Facebook mit der Übernahme eines Dienstes namens Friendfeed beschäftigte, kam der Knopf wieder aufs Tapet. Dieser Dienst war von ehemaligen Google-Mitarbeitern gegründet worden und konnte die Postings aus diversen sozialen Netzwerken zusammenziehen und zu einem persönlichen Datenstrom aggregieren. Friendfeed hatte im Oktober 2007 einen Like-Knopf eingeführt – und mit dieser Bezeichnung fand ihn Mark Zuckerberg stimmig für seine Plattform. Am 9. Februar 2009 sahen die Welt und die Facebook-Nutzer den Like-Knopf zum ersten Mal.

Vom Hobby zum Giganten

Seine Entstehungsgeschichte lässt sich in einem eben erschienenen Buch zum Social-Media-Giganten nachlesen. Der Like-Knopf ist in diesem Werk aber nur ein Detail. «Facebook: The Inside Story» erzählt die packende Geschichte des sozialen Netzwerks, das sich innert weniger Jahre aus dem Schlafsaal-Projekt eines etwas verschrobenen Informatikstudenten an der Harvard University zum globalen Phänomen entwickelt hat und welches die Ideale der globalen Vernetzung seines Gründers vorantreibt, aber gleichzeitig ein Instrument von Hass, Diskriminierung und Unterdrückung geworden ist.

Die «Inside Story» stammt vom einem Experten für das soziale Netzwerk. Steven Levy ist einer der erfahrensten Tech-Journalisten überhaupt. Er kennt nicht nur Facebook-Gründer Zuckerberg aus vielen persönlichen Gesprächen, sondern auch Sheryl Sandberg, die Co-Geschäftsführerin. Und Levy hat mit vielen amtierenden und ehemaligen Mitarbeitern und Konkurrenten gesprochen, bis hin zu namenlosen Moderatoren, die für Facebook tagein, tagaus fragwürdige Posts sichten, Unerwünschtes löschen und in sämtliche digitale Abgründe der menschlichen Existenz blicken.

Levy schafft es, nüchtern und mit professioneller Distanz, aber trotzdem prägnant, die Wesenszüge des Unternehmens und seines Gründers herauszuarbeiten und verständlich zu machen, wie sich Mark Zuckerberg in den letzten Jahren immer wieder in die Bredouille manövrieren konnte, obwohl er es hätte besser wissen müssen. Denn Levy erzählt auch die Anekdote, die man auch aus dem Film «The Social Network» kennt, wo Zuckerberg vor dem Beirat seiner Universität vorsprechen musste, nachdem er mit seinem kleinen Hobbyprojekt Facemash.com nicht nur die Harvard-Server in die Knie gezwungen, sondern die Mitstudentinnen gegen sich aufgebracht hatte: Bei dieser Website konnten die (männlichen) Nutzer von zwei Studentinnen die attraktivere auswählen, wobei Zuckerberg die Bilder aus den Online-Jahrbüchern der Uni «ausgeliehen» hatte.

Facebook setzt einerseits auf eine aggressive Wachstumsstrategie. Die führt das Unternehmen in Länder, deren Kultur es genauso wenig versteht wie die Sprache. Als Folge hat sich Facebook in Myanmar als Brandbeschleuniger bei der Gewalt gegen die religiöse ethnische Minderheit der Rohingya beteiligt, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.

Andererseits gehört es zu Mark Zuckerbergs persönlichem Motto, nicht lange zu fackeln und Kollateralschäden in Kauf zu nehmen: «Move fast and break things» war in der Anfangszeit auch das Gebot für das Unternehmen. Es war so sehr Teil der Kultur, dass ein neuer Entwickler noch am ersten Arbeitstag seine Änderungen am Code der Website vornehmen musste. Wenn dabei etwas schiefging, erfuhr es die ganze Belegschaft per CC im E-Mail: «Gratulation, du hast die Website kaputtgemacht! Das bedeutet, dass du schnell bist.»

Facebook prescht vor, und die Welt muss es ausbaden – dieses Muster zeigt sich im Kleinen auch beim Like-Knopf. Hierzulande entschied das Zürcher Obergericht 2018, dass man sich allein durch einen Klick auf den Knopf strafbar machen kann, wenn man seine Zustimmung zu ehrverletzenden Inhalten gibt.

Übrigens: Justin Rosenstein, der den Knopf für Facebook implementiert hat, verwendet heute ein iPhone mit Kindersicherung, die von seiner Assistentin überwacht wird und die Nutzung von sozialen Medien einschränkt. Wie er der Zeitung «The Guardian» erklärt hat, will er sich vor allem vor dem Like-Knopf schützen: «Er verschafft einem ständige Schübe von Pseudo-Lust, die genauso verführerisch wie leer sind.»

Unverkennbares Logo: Touristen vor dem Firmenschild am Facebook-Hauptsitz in Menlo Park in Kalifornien. Foto: Laura Morton (The New York Times)

Der Like-Knopf ist nur ein Detail in dem Buch, das die packende Geschichte des sozialen Netzwerks erzählt.

Er weiss, wie Facebook tickt

Steven Levy ist einer der bekanntesten Tech-Autoren der USA, der für alle renommierten US-Publikationen geschrieben hat, von «Wired» bis «Newsweek». Sein Buch «Facebook. Weltmacht am Abgrund» (Droemer, München 2020. 688 S., ca. 32 Fr.) ist eine umfassende Geschichte des sozialen Netzwerks. Es reicht von den Anfängen an der Harvard University bis in die Gegenwart. Mehr als ein Dutzend Mal traf Levy Facebook-Chef Mark Zuckerberg und sprach mit Ex-Mitarbeitern. (schü.)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 1. April 2020

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