Das Hörbuch ist fest in Amazons Hand

Audible, die Tochterfirma des Internetriesen, war bei der gesprochenen Literatur über Jahre fast konkurrenzlos. Doch inzwischen gibt es auch Alternativen. Orell Füssli hat beinahe unbemerkt ein Abomodell gestartet.

Matthias Schüssler

Wenn man der Gerüchteküche glauben darf, wird Google im Play Store nebst Apps, Musik, Filmen und Serien und EBooks bald auch Hörbücher verkaufen. Offiziell angekündigt ist diese neue Sparte zwar nicht, aber bei manchen Nutzern von Googles digitalem Laden sind schon Werbebanner aufgetaucht.

Viele würden diese Sortimentserweiterung begrüssen. «The Verge» schreibt: «Das wäre bedeutsam: Google könnte Amazons Dominanz infrage stellen.» Denn bislang beherrscht Amazon mit seiner Tochter Audible den Markt der gesprochenen Bücher. 2013 hat die Zeitung «The Atlantic» das Offensichtliche festgehalten und Audible zum «König der Hörbücher» gekürt.

Schon damals wurden in den USA mehr als die Hälfte der Hörbücher als Download und nicht mehr als CD abgesetzt. Und fast alle Downloads kommen von Audible. Die Nachrichtenagentur Reuters hat den Marktanteil der Amazon-Tochter 2015 im deutschsprachigen Raum auf über 90 Prozent geschätzt.

Die Stärke von Amazons Hörbuchtochter sind ein riesiges Sortiment mit inzwischen mehr als 200 000 Titeln – nicht nur gesprochene Bücher, sondern auch Hörspiele und Podcasts. Ein beachtlicher Teil des Angebots sind Eigenproduktionen, die nur über Audible erhältlich sind. Ein Abomodell bindet die Hörer an den Anbieter, indem Mitglieder pro Monat ein Hörbuch zu einem stark reduzierten Fixpreis beziehen können. Denn Don Katz, der Gründer von Audible, hat schon Anfang der Nullerjahre erkannt, dass Hörbücher «ein Massengeschäft mit niedrigen Margen sind».

«Wie eine glückliche Kindheit»

Katz hat sein 1995 gegründetes Unternehmen 2008 für 300 Millionen Dollar an Amazon verkauft. In einem Porträt der «Süddeutschen Zeitung» erklärt er, wie er zum «Herr der Vorleser» wurde. «Vorgelesen zu bekommen, ist eine intime Erfahrung. Es erinnert an eine glückliche Kindheit», sagte er. Doch bevor er die Sache in die Hand nahm, seien Hörbücher ein schlechtes Medium gewesen, findet Katz. Der Pionier des Mediums war Books on Tape, der 1975 angefangen hatte, Bücher auf Kassette zu verleihen. Doch der Hörer musste ständig Kassetten drehen oder auswechseln. Und die Sprecher hätten «mit Absicht langweilig und monoton gelesen.»

Audible war über Jahre auch der einzige Lieferant für Hörbücher im iTunes Store von Apple. Erst Anfang 2017 haben die beiden Unternehmen die gegenseitige Exklusivitätsvereinbarung aufgegeben: Seitdem darf Apple auch Hörbücher aus anderer Quelle anbieten. Und Audible hat das Recht, auch andere Plattformen als den iTunes Store zu beliefern. Freiwillig war dieser Verzicht nicht: Sowohl die EU-Kommission als auch das deutsche Bundeskartellamt hatten 2015 ein Verfahren gegen Amazon und Apple eingeleitet.

Es gibt auch andere Kritik an Audible. 2015 ging es um eine geplante Flatrate, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Missbrauch der Marktmacht brandmarkte: Der US-amerikanische Dominator würde den kleinen deutschen Hörbuchverlagen existenzbedrohende Konditionen diktieren. Im gleichen Jahr haben sich amerikanische Autoren über die «schrecklichen Autorenhonorare» beklagt: «Amazon hat absolute Kontrolle über die Preise und behält 60 Prozent für sich selbst», berichtete The-digital-reader.com.

In der Schweiz ist das Hörbuch durch den Übergang von der CD zum Download unter Druck geraten. Vor zehn Jahren, als das Medium einen eigentlichen Boom erlebte, ging eine Produktion auf CD für 32 Franken über den Ladentisch. Das ist vorbei. Die Zeitung «Bzbasel» zitierte online im Oktober letzten Jahres Oliver Bolanz, den Leiter des Merian-Verlags: «Das Downloadgeschäft lohnt sich nur für massentaugliche Produkte.»

Online ist wenig Geld zu holen

Typischerweise geht ein Hörbuch online für um die 10 bis 12 Franken weg. Der Erlös für den Verlag ist höchstens die Hälfte, und er muss auch die Produktionskosten und Honorare begleichen.

Da erstaunt es nicht, dass das Hörbuch dem Buchhandel Umsatzeinbussen beschert. Im Marktreport 2016 des Buchhändlerund Verleger-Verbands schlugen sie mit einem Minus von 6,9 Prozent zu Buch. Immerhin: Es gibt Alternativen zu Audible. Der vielversprechendste ist hierzulande der «Spartarif» von Orell Füssli. Das Abo kostet 12.90 Franken und verschafft regelmässigen Hörern eine Einsparung von bis zu 70 Prozent gegenüber dem regulären Verkaufspreis.

Wie viele Nutzer der Spartarif hat, will Orell Füssli Thalia nicht sagen. Ebenso wenig teilt das Unternehmen mit, wie gross der Anteil der Hörbücher im Vergleich zum gedruckten Lesestoff und zum E-Book ist. Die Tendenz sei aber in beiden Fällen steigend, lässt Mediensprecher Alfredo Schilirò durchblicken. Bei Orell Füssli machen die Downloads gegenüber der CD erst ein Drittel aus – da besteht noch grosser Aufholbedarf.

«Vorgelesen zu bekommen, ist eine intime Erfahrung», sagt Don Katz, der Chef von Audible. Foto: Andy Catlin (Alamy)

Hörbücher als Download

Audible und die Alternativen

Wo es im Netz günstig und komfortabel Hörbücher und Hörspiele gibt.

Audible.de/Audible.ch

Ein grosses Sortiment, viele Eigenproduktionen, günstige Bezugsmöglichkeiten über das Abo (9.95 Euro bzw. 14.95 US-Dollar bei Audible.com) und eine grosse Community zeichnen den Marktführer aus. Für Smartphones gibt es eine App, mit der sich die gekauften Bücher direkt herunterladen lassen.

Der grösste Nachteil ist Audibles Audioformat. Der Anbieter verwendet einen Kopierschutz, was die Nutzung der Dateien einschränkt und insbesondere die digitale Archivierung erschwert. Der einzige legale Weg, den Kopierschutz zu entfernen, führt über das Brennen von (virtuellen) CDs über iTunes. Ein weiterer Nachteil sind die separaten Stores mit unterschiedlichen Sortimenten für die Sprachregionen.

Orellfuessli.ch

Der Hörbuch-Spartarif kostet 12.90 Franken pro Monat. Dafür gibt es ein Hörbuch pro Monat, unabhängig vom regulären Preis. Die Bücher werden als MP3-Dateien angeboten und enthalten keinen Kopierschutz. Das ermöglicht den Konsum mit beliebigen Geräten und erlaubt auch die Archivierung. Für das Hören mit dem Smartphone bietet sich die Tolino-App an, die die gekauften Bücher automatisch synchronisiert.

Bookbeat.com

Dieser Dienst bietet Hörbücher zur Flatrate an. Der reguläre Preis beträgt 14.90 Euro pro Monat. Er hat deutsche Hörbücher im Sortiment. Bislang ist eine in Deutschland ausgestellte Kreditkarte für die Nutzung notwendig. Ein Markteintritt in der Schweiz wird zurzeit geprüft, ist aber noch nicht spruchreif.

Spotify und Apple Music

Auch die Musikstreamingdienste haben ein (übersichtliches) Angebot von Hörbüchern und Hörspielen im Angebot, die wie Musik über die jeweiligen Apps konsumiert werden können.

Audiobooks.com

Für 14.95 US-Dollar pro Monat erhält man jeweils den «Credit» für ein Buch. Der Dienst wird international angeboten. Das Buchsortiment variiert allerdings pro Land. (schü.)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 24. Januar 2018

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