Microsoft hätte es besser machen können

Seit fast einem Jahr gibt es Windows 10 als kostenlosen Download. Und obwohl Microsoft ihn propagiert und forciert, bleibt Windows 7 dominant. Was ist da schiefgelaufen? Und: Soll man jetzt noch umsatteln?

Matthias Schüssler

Windows 10 steuert den ersten Geburtstag an. Und die Frist, während der Nutzer von Windows 7 und 8 kostenlos umsteigen können, neigt sich dem Ende entgegen. Wer vom Angebot Gebrauch machen will, muss das bis Ende Juli tun. Hinterher wird Windows 10 (ohne PC) wie seine Vorgänger nur mehr gegen Geld erhältlich sein. Bei Microsoftstore.comsind die Preise bereits ersichtlich: 149.95 Franken für Windows 10 Home, 299.95 Franken für die Pro-Version.

Dieses erste Jahr mit der neuen Betriebssystemversion war für Microsoft kein reiner Erfolg. Zwar vermeldete das Unternehmen im Januar nicht ohne Stolz, dass inzwischen weltweit 200 Millionen Geräte mit dem neuen System betrieben würden. Die Einführung beschleunige sich sogar noch. «Im Vergleich zu Windows 7 verbreitet sich das neue System um 140 Prozent schneller», verkündete der Windows-Blog.

Ein Erfolg – oder nicht?

Windows 7 war allerdings nie kostenlos erhältlich, und gemessen daran ist die Adaption nicht berauschend. Laut Marktforscher Net Applications hat Windows 10 inzwischen einen Marktanteil von 17,5 Prozent. Windows 7 liegt mit 48,6 Prozent weit vorn. Konkurrent Statcounter.comweist für Windows 10 18,2 aus, für Windows 7 39,3 Prozent. (Wie vieles davon zentral verwaltete Geschäfts-PCs sind, bleibt unklar.)

Wohlwollend kann man dies als Bestätigung einer alten Erkenntnis interpretieren: Die Mehrheit der Nutzer lässt die Finger von Aktualisierungsaktionen. Das Betriebssystem gibt es zusammen mit dem PC, und zusammen mit der Maschine wird es ausgetauscht. Im Fall von Windows 10 hat sich aber gezeigt, dass sich ein Teil der Nutzer dem Update verweigert, gerade weil es kostenlos ist. Ein Konzern mit dem Ruf von Microsoft verschenke nichts ohne Hintergedanken, so lautet der implizite Vorwurf. Und den scheint Microsoft zu bestätigen, indem die Umstiegsmuffel durch allerlei Tricks umgestimmt werden sollen.

Als Nötigung empfinden die Kritiker des Updates, dass dieses im Hintergrund geladen und präventiv bereitgehalten wird. Das stellt bei Internetverbindungen mit beschränktem Datenvolumen eine grosse Belastung dar. Viele stören sich zudem am täglich aufpoppenden GWX-Aufforderungsdialog. («GWX» steht für «Get Windows 10» bzw. «Windows 10 herunterladen»).

Absichtliche Irreführung?

Der jüngste Trick des Softwarekonzerns ist selbst bei Fans schlecht angekommen. «PC World» bezeichnet ihn als «Malware-ähnliche Irreführungstaktik»: Wenn man das GWX-Fenster über das «x»-Symbol in der rechten oberen Ecke schliesst, wird das Update nicht ausgesetzt, wie es den Gepflogenheiten entsprechen würde. Im Gegenteil: Windows 10 wird trotzdem installiert, weil es inzwischen als «empfohlenes Update» gilt. Die werden automatisch installiert, wenn der Nutzer nicht Nein sagt. Wer sichergehen will, dass er nicht aus Versehen umsteigt, muss Blockadeprogramme wie Never 10 von GRC.com oder das GWX Control Panel von Ultimateoutsider.comzum Einsatz bringen.

Ein Autor von Mobilegeeks.de beklagt eine Stimmung, bei der in den sozialen Netzwerken auf jeden zum Angriff geblasen werde, der mit der Aktualisierung liebäugelt: «Normale Benutzer, die lediglich einen Ratschlag haben möchten, werden ausgelacht oder beschimpft.» Im Weltbild der Upgrade-Verweigerer sei jeder ein Vollidiot, der in die Microsoft-Update-Falle tappt.

Es wütet ein Glaubenskrieg mit teils bizarren Argumenten. Windows 10 sei eine eigentliche Spionagesoftware für die NSA, und Microsoft gebe sie gratis ab, damit die Geheimdienste möglichst viele Daten sammeln könnten. So lautet eine Verschwörungstheorie, die durch die Datenschutz-Einstellungen und die enge Anbindung an die Cloud befördert wird. Und die darüber hinwegtäuscht, dass die Benutzung bereits Vertrauenssache ist, seit im Jahr 2000 breit über eine NSA-Hintertür spekuliert wurde.

Eine klare Kommunikation hilft

Trotzdem: Microsoft trägt die Hauptverantwortung daran, dass die Kontroverse um sein Vorzeigeprodukt im letzten Jahr nicht nachgelassen, sondern sich noch verstärkt hat. Ein zentraler Aus-Knopf für jegliche Telemetrie und Cloud-Anbindung sowie eine schnörkellose Möglichkeit, GWX ein für alle Mal abzuschalten, hätten den Skeptikern viel Wind aus den Segeln genommen. Und die Verschwörungstheorien würden weniger gedeihen, wenn der Konzern sein eigenes Interesse gegenüber der Kundschaft offengelegt hätte: Windows 10 ist Microsofts Brücke in die Zukunft, wo sich Geld nicht mehr mit Betriebssystemen verdienen lässt, sondern mit Diensten, die Geräte vom guten alten PC über das Smartphone, die Spielkonsole bis hin zur VR-Brille und zu smarten Haushaltgeräten verbinden.

Längst nicht alle tun es: Microsofts Gratis-Update löst bei vielen Benutzern Unsicherheit und Ärger aus. Foto: EyePress News, App

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 8. Juni 2016

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