Analyse Mit der Peeple-App lassen sich Mitmenschen qualifizieren, so wie man das von Restaurants, Hotels und Musik gewohnt ist. Öffnet das dem Onlinemobbing Tür und Tor – oder ist es ein sinnvolles Korrektiv zu Big Data?

Bewertest du mich, dann bewerte ich dich

Matthias Schüssler

Früher wiesen Gestirne den Seefahrern den Weg. Heute navigieren wir mithilfe von Sternen durch den Konsumdschungel. Ob Staubsauger, smarte Uhren, Popsongs, Ferienresorts oder Feinschmeckerlokale – Bewertungssysteme im Netz schützen uns davor, unser Geld für Produkte mit schlechtem Ruf rauszuwerfen und in Etablissements abzusteigen, die unserer Präsenz nicht würdig sind.

Und jetzt – jetzt rollt also die Peeple-App an. Sie stiftet ihre Benutzer an, Urteile über ihre Mitmenschen abzugeben. Zwar nicht in Sternchenform, aber über Schieberegler zur Persönlichkeit, Professionalität und Dating-Qualitäten. Dieses Prinzip an sich ist nicht neu. Beim Onlinedating gehört es dazu, sich dem Urteil und fremden Bewertungen auszusetzen (siehe Box).

Öffentliches Jahresgespräch

Besonders an Peeple des kanadischen Start-ups Peep ist nun aber, dass sie keine geschlossenen Communities sind: «Schau dir den Typ genauer an, den du gerade online getroffen hast. Oder die Person, die du vielleicht anstellen willst. Oder deinen Doktor. Oder den Hundesitter», preist Peep die eigene App an. Doch natürlich wird auch umgekehrt ein Schuh draus: Man wird selbst ungefragt zum Objekt der Beurteilung. Wie beim Jahresgespräch mit dem Chef. Nur öffentlich und ohne Fairnessgarantie. Das Internet kann grausam sein.

Entsprechend harsch ist die Kritik ausgefallen. Die «Washington Post» nennt es das «entsetzliche Yelp für Menschen». Nach Protesten haben die Macher gesagt, es gehe in ihrer App um «Empfehlungen», also wohlwollende Urteile. Beurteilte Menschen sollten die Möglichkeit erhalten, über Beurteilungen informiert zu werden und unerwünschte Bewertungen zu löschen. Das klingt gut. Doch Peep hat eben auch die «Truth Licence» in Aussicht gestellt. Die gibt es bis dato nicht. Doch wenn und falls sie kommt, wird gegen ein Entgelt alles zu sehen sein, was jemals jemand über jemand anderen in der App geschrieben hat. Auch der Klatsch. Und der Schmutz.

Jeder ist seine eigene Marke

Ein Skandal? Oder bloss die logische Folge davon, dass wir in der «Post Privacy»-Ära angekommen sind? Machen wir uns keine Illusionen: Facebook kennt nicht nur unseren Freundeskreis, sondern auch unsere politische Meinung, unsere sexuelle Ausrichtung und unsere Freizeitbeschäftigungen. Netflix loggt, welche Filme wir schauen, und Spotify trackt jeden Song. Die Shopping-History lässt sich bei Zalando oder Amazon abfragen. Und «Big Data» wird zur Profilierung aller genutzt. Bewerber zu googeln, sei eine gängige Praxis, erklärt ein Karriereplaner bei «Forbes»: Wie viele Suchtreffer gibt es? Passen die Fundstellen zu dem, was eine Person über sich behauptet? Kann man den Bewerber gut von den anderen Leuten unterscheiden, die den gleichen Namen tragen?

Das «social branding» sei heute unerlässlich, behauptet jener Experte: Wir alle müssen seiner Meinung nach unseren Namen als Marke pflegen, so wie Nestlé oder die UBS. Ist da Peep sogar ein Segen?

Immerhin stellt sie dem unspezifischen Stochern in den Untiefen von Big Data die Möglichkeit entgegen, von einem Menschen verfasste Informationen zu erhalten. Sollte Peeple es wider Erwarten schaffen, verleumderische Bewertungen zu vermeiden, Mobbing im Keim zu ersticken und himmelhochjauchzende Gefälligkeitsgutachten fernzuhalten, dann wären die handgedrechselten Referenzen aus der App vielleicht doch brauchbar. Und ja: Wer richtet, wird selbst gerichtet werden. Das heisst: Wer sich schlecht behandelt fühlt, kann den Urheber der Kritik seinerseits als Verleumder brandmarken. Bleibt die Frage, ob das korrigierend oder eskalierend wirkt.

Die Verteidiger der App weisen darauf hin, dass in einzelnen Professionen das Crowdsourcing gang und gäbe sei: Ärzte, Professoren und Anwälte müssen sich in den USA öffentlich benoten lassen. Die auch von Schweizern genutzte Lehrerbewertungsplattform Spickmich.de wurde Mitte 2014 abgeschaltet – ohne Angabe von Gründen, aber mutmasslich auch wegen der anhaltenden Proteste von Lehrern und Lehrerverbänden.

Gerichtlich nicht zu stoppen

Rechtlich liess sich die Plattform nicht stoppen. Der deutsche Bundesgerichtshof hatte 2009 eine Klage mit der Begründung abgewiesen, die freie Meinungsäusserung sei höher zu gewichten als die informationelle Selbstbestimmung.

Ob Peeple ein Erfolg wird, steht in den Sternen. Die Gegner formieren sich. Auf Twitter, Facebook und Change.org wird zum Boykott aufgerufen. Das grösste Problem ist die weitere Entmystifizierung unserer an Geheimnissen inzwischen sehr armen Welt. Man stelle sich ein Tête-à-tête vor, bei dem einem die App schon vor dem ersten Cüpli verrät, dass das Gegenüber gern Velo fährt, Ferien in der Toskana macht und vom Ex die Note «gut» in Sachen Romantik bekommt. Da kann man auch gleich «Half Life 2» spielen gehen – allein.

Was weiss das Internet über den Menschen, mit dem sie zum ersten Date verabredet ist? Foto: Westend61 (Alamy)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 16. März 2016

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