Apple-TV – was nun trotzdem fehlt

Matthias Schüssler

Der Apple-TV wurde endlich überarbeitet. Er bietet nun Apps und Spiele. Trotzdem mangelt es an Wesentlichem.

Die Zukunft des Fernsehens seien Apps, hat Tim Cook anlässlich der Präsentation des neuen Apple-TV im September proklamiert. Mit Verlaub – die Apps sind längst die Gegenwart: Jeder halbwegs smarte Fernseher lässt sich heute über einen Store in seinem Funktionsumfang erweitern, und auch in den Streamingboxen der Konkurrenz findet man diese Funktion längst.

Der Apple-TV der vierten Generation ist daher kein Wegbereiter, sondern eine längst überfällige Rundum-Erneuerung des inzwischen dreijährigen Vorgängers, mit der Apple zur Konkurrenz aufschliesst. Die TV-Box hat an Gewicht und Grösse zugelegt und ist auch deutlich teurer geworden: 169 Franken kostet die Version mit 32 GB Speicher, sogar 229 Franken die 64-GB-Variante. Das ist nicht nur mehr als das alte Modell (ca. 78 Franken), sondern auch teurer als die Konkurrenz: Googles Chromecast schlägt beispielsweise mit 39 Franken zu Buch.

Für den vergleichsweise hohen Preis erhält man sauber verarbeitete Hardware in tadellosem Design und ein Entertainment-Gerät, das mehr als nur Streamingbox sein will. Der neue Apple-TV lässt sich über Apps erweitern, und er wird sogar zur Spielkonsole. Zur Steuerung im Menü und in den Games verfügt die neue Fernbedienung über ein Touchfeld, Beschleunigungs- und Lagesensoren. Per Touch steuert man Spiele wie den vom iPhone bekannten Titel «Crossy Road», bei dem via Touchfeld ein Huhn über viel befahrene Strassen, Wasserwege und Eisenbahnlinien zu navigieren ist. Mit den eingebauten Sensoren sind auch Titel möglich, bei denen man wie bei der Nintendo Wii virtuelle Sportschläger schwingt. Damit bei versehentlichem Loslassen der Fernbedienung kein Schaden an der Wohnung entsteht, kann man bei Apple ein Sicherungsbändchen zur Fixierung am Handgelenk erwerben – das satte 15 Franken für ein bisschen Kunststoff kostet.

Nichts für die eingefleischten Gamer

Die Touchscreen-Steuerung funktioniert gut, aber nicht ganz so genau, wie man das vom Smartphone her gewohnt ist. Denkbar, dass Controller von den von Apple zertifizierten Drittherstellern mehr Präzision bringen. Dennoch ist der Apple-TV keine ernsthafte Konkurrenz für die etablierten Konsolen von Microsoft und Sony. Apple zielt auf die Gelegenheitsspieler und nicht auf die eingefleischten Video-Zocker. Dieses «Casual Gaming» lässt sich aber sehr gut auch am Smartphone oder Tablet betreiben, sodass es nicht unmittelbar einleuchtet, weswegen man nun auch noch via Apple-TV Spiele kaufen – und allenfalls In-App-Käufe tätigen sollte. Hier sind die Entwickler gefragt. Nur wenn sie Wohnzimmer-taugliche Titel entwickeln, die sich in der Steuerung vom iPad und iPhone unterscheiden oder vor dem Fernseher von der ganzen Familie gespielt werden können, wird sich der Apple-TV als Spielgerät etablieren. Die Verwendung mehrerer Controller ist möglich, ich habe die Multiplayer-Fähigkeiten bislang aber nicht testen können.

Mit der neuen Fernbedienung sollte auch Siri auf Apples Fernsehbox Einzug halten – wenn die Funktion denn überall verfügbar wäre. Doch leider ist sie das in der Schweiz bislang nicht, womit eine der wichtigsten Funktionen beim Verkaufsstart hierzulande schlicht fehlt. Dass sie nachgereicht wird, ist anzunehmen. Doch wann das der Fall sein wird, ist bislang nicht bekannt. Bei meinem Test hat es auch nichts geholfen, den Apple-TV auf Deutschland einzustellen. Andere Tester berichten, dass danach Siri verfügbar gewesen sei.

Siri stellt sich taub

Wenn Siri dereinst auch hierzulande ihren Dienst verrichtet, wird man durch Drücken der Mikrofontaste gesprochene Kommandos absetzen können: Es soll möglich sein, nach Filmen und Schauspielern zu suchen, Apps zu starten und den laufenden Film anzuhalten oder zurückzuspulen.

Die Installation verläuft anfänglich problemlos: Man muss festlegen, ob die TV-Box für personalisierte Video-Bildschirmschoner die Ortungsdienste nutzen darf und ob man Diagnoseinformationen über Abstürze an die App-Entwickler übermitteln möchte. Die Konfiguration von WLAN und Apple-ID ist vergleichsweise einfach, da das neue Modell über Bluetooth verfügt und sich die grundsätzlichen Konfigurations-Informationen via iPhone übermitteln lassen – das Eintippen eines langen WLAN-Schlüssels entfällt.

Umso unverständlicher ist, dass diese Funktion nicht auch für die Konfiguration der Apps benutzt werden kann. Die Zugangsdaten für Netflix müssen beispielsweise umständlich über die Bildschirmtastatur eingegeben werden. Dabei muss man Buchstaben für Buchstaben auswählen, was umso länger dauert, weil auf der Bildschirmtastatur alle Buchstaben horizontal in einer Reihe angeordnet sind. Die blockförmige Anordnung des alten Apple-TV war deutlich effizienter, da man horizontal und vertikal navigieren und schneller zu den Buchstaben gelangen konnte. Das ist maximal umständlich und straft die sprichwörtliche Apple-Benutzerfreundlichkeit Lügen. Wie es auch einfacher ginge, zeigt indes die Youtube-App: Bei der erscheint ein kurzer Code, den man am Computer im Browser eingibt, worauf die Anmeldung in der Apple-TV-App erledigt ist.

Dünnes App-Angebot

Das Menü des neuen Apple-TV ist etwas eleganter und sehr viel schneller geworden, erinnert in seiner Gestaltung aber sehr an den Vorläufer: Unter einem Streifen mit aktuellen, im iTunes Store mietbaren Filmen erscheinen als breitgezogene Icons die vorhandenen Angebote. Beim neuen Apple-TV erscheint das nach der Inbetriebnahme geradezu spartanisch. Die Apps von Netflix, Youtube oder Vimeo, die beim alten Modell standardmässig vorhanden waren, müssen beim neuen Modell erst aus dem App Store heruntergeladen werden. Dessen Sortiment ist zum heutigen Stand relativ bescheiden. Es gibt zwar die unverzichtbaren Apps von Netflix, Youtube und Vimeo, und man findet auch die Mediatheken von Arte und dem ZDF, aber Apps von Wilmaa und Zattoo, der ARD oder dem SRF sucht man vergebens. Es ist anzunehmen, dass diese in den nächsten Monaten auftauchen werden – aber ob der Apple-TV auf längere Frist seinen hohen Preis wert ist, wird massgeblich vom App-Angebot abhängen.

Der Apple-TV ist eine solide und längst überfällige Weiterentwicklung. Es gibt kleine, nette Verbesserungen wie die, dass sich über die Fernbedienung der TV-Box nun auch der Fernseher selbst steuern lässt. Man kann die Lautstärke verändern und wenn man die Box in den Ruhezustand versetzt, dann schaltet auch der Fernseher ab.

Die Box ist aber kein grosser, zukunftsweisender Wurf – dafür fehlt zu viel: Die neue Box ist nicht 4-K-tauglich, was umso erstaunlicher ist, als dass eine der neuen Fähigkeiten des iPhone 6S darin besteht, Videos in diesem sehr hochauflösenden Format aufzunehmen. Apple hat sich den optischen Audioausgang gespart und auch keinen Browser mitgeliefert. Und es fehlt die Vision, die über das hinausgeht, was auch die Konkurrenz mit ihren smarten Fernsehern und Settopboxen längst schon liefert.

 

Der neue Apple-TV – ohne Siri nur die halbe Freude

Ein erster Test des neuen Apple-TV zeigt: Die Installation ist umständlich und die Spiele machen den grossen Konsolen keine Konkurrenz.

Die silberige Fernbedienung ist passé.Das Auffälligste am neuen Apple-TV ist die neue, schwarze Fernbedienung. Sie hat zwei Mikrofone für die Steuerung per Sprache und Bewegungs- sowie Touch-Sensoren, die sie zum Game-Controller machen.

Gamen statt Zappen.Mit der Touch-Fernbedienung lassen sich auch Spielfiguren steuern. In Sachen Reaktionsfreude und Präzision kommt sie aber nicht an den Touchscreen des Smartphones heran.

Nichts für eingefleischte Videogamer.Der Apple-TV ist auch eine Spielkonsole – aber eine, die sich mit simplen Titeln wie «Crossy Road» an Gelegenheitsspieler richtet.

Grösser, dicker und schneller.Der neue Apple-TV (rechts) im Vergleich zum Modell der zweiten Generation von 2010. Etwas dicker, schneller und mit der neuen Fernbedienung. Der optische Audioausgang ist allerdings nicht mehr vorhanden.

Apple weiss, wo dein TV steht.Die Konfiguration ist deutlich umfangreicher geworden. Beim Einrichten muss man nicht nur über die Ortungsdienste befinden, sondern auch angeben, ob Diagnosedaten an die App-Entwickler weitergegeben werden dürfen.

Per Telefon konfigurieren.Apples neue TV-Konsole hat auch Bluetooth mit an Bord. Damit lassen sich Game-Controller von Drittherstellern verwenden – und auch die Konfiguration wird etwas einfacher.

Passworteingabe übers Telefon.Das Menü erinnert mit seinem Icon-Raster optisch an den alten Apple-TV – nur dass die Auswahl kleiner ist und Apps wie Youtube und Netflix erst aus dem Store geladen werden müssen.

Der App-Store auf dem Fernsehschirm.Einige Spiele, Netflix, Youtube, Vimeo, ZDF und Arte – das Angebot ist überschaubar. SRF, Wilmaa und Zattoo sucht man bislang vergeblich im Store.

Fast wie gehabt.Die Netflix-App ist gegenüber dem fünfjährigen Vorgängermodell deutlich schneller, aber leider nicht übersichtlicher geworden.

Maximal unpraktisch.Die virtuelle Tastatur zeigt alle Buchstaben in einer Reihe – maximal unpraktisch, da zur Buchstabenauswahl über die Fernbedienung nur horizontal und nicht vertikal gescrollt werden kann.

Unkomplizierte Youtube-App.Es geht auch einfacher: Bei der Youtube-App gibt man für die Anmeldung einen Code im Browser ein – das umständliche Hantieren mit Fernbedienung und virtueller Tastatur entfällt.

Sicherungsband für 15&nbps;Franken.Damit die Fernbedienung bei Spielen, die über die Lagesensoren gesteuert werden, bei wilden Bewegungen nicht davonfliegt, gibt es ein Sicherungsbändchen. Dafür verlangt Apple geschlagene 15 Franken!

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 3. November 2015

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