Das Smartphone ist die neue Stereoanlage

Kompakt, mobil und drahtlos: Die Lautsprecher verändern sich parallel zu unseren Hörgewohnheiten. Eine Übersicht von Bluetooth- über WLAN-Boxen bis hin zu Systemen, mit denen man das ganze Zuhause beschallen kann.

Matthias Schüssler

Der Musikmarkt wandelt sich – und zwar gründlich. Die Tonträger mussten den Kaufdownloads weichen. Und auch diese scheinen nur eine weitere Episode gewesen zu sein. Die Umsätze beim ­iTunes Store sind jedenfalls rückläufig. Stephen Cooper, der Chef von Warner Music, hat laut Recode.net im April verlauten lassen, die Umsätze beim Streaming hätten diejenigen der Downloadverkäufe bereits überholt. Cooper wird ausserdem mit folgenden Worten zitiert: «Das Umsatzwachstum macht mehr als deutlich, dass Streaming in den kommenden Jahren die bevorzugte Form des Musikkonsums sein wird.»

Mit den Konsumgewohnheiten wandelt sich auch die Hardware. Während in der Ära der Schallplatte und der CD die Hi-Fi-Komponenten zu eigentlichen Musik­altären aufgetürmt wurden, sind die heutigen Audiolösungen weniger raumgreifend, oft mobil und in aller Regel drahtlos. Die einfachste Variante sind die Bluetooth-Lautsprecher: Es gibt sie in allen erdenklichen Farben und in teilweise exotischen Formen.

Diese Gerätekategorie hat einen eingebauten Akku und nichtsdestoweniger ­beachtliche Beschallungsqualitäten. Die Bluetooth-Verbindung überwindet theoretisch eine Distanz von 100 Metern. In der Praxis sind es um die 10 Meter, wobei allerdings keine Wände zwischen Lautsprecher und Mobiltelefon vorhanden sein dürfen.

Kabelsalat reduzieren

Ein Problem bei Bluetooth besteht darin, dass die Übertragungstechnik nur fürs Telefonieren via Headset, nicht aber für qualitativ hochwertiges Audio entwickelt wurde. Es gibt mit AptX zwar eine neue Codierungsmethode, die CD-Qualität verspricht. Sie wird aber nur erzielt, wenn sowohl der Lautsprecher als auch das Smartphone sie unterstützen. Falls nicht, kann die Tonqualität unbefriedigend sein. In diesem Fall hilft der Line-in-Eingang. Die meisten Lautsprecher lassen sich über ein Klinkenkabel mit der Kopfhörerbuchse des Smartphones verbinden.

Der Klassiker ist die Jambox von Jawbone (ab rund 140 Franken) in einem metallischen Gehäuse. Einen Treffer ­gelandet hat Logitech mit der Ultimate-Ears-Produktreihe – die UE-Megaboom-Box (rund 300 Franken) ist stosssicher und wasserfest, und sie wird von den ­Rezensenten durchs Band gelobt. «Der zylindrische Lautsprecher ist eines der bestklingenden, bestdesignten portablen Klangsysteme in einer Produkt­kategorie, in der es von schrecklichen, ideenlosen Schepperdosen nur so wimmelt», urteilte etwa ein Autor von ­«Wired». Gute Noten erhält auch der Bose Soundlink Mini II (rund 220 Franken), der eben in einer überarbeiteten Version neu aufgelegt wurde.

Auch in der Kategorie der etwas grösseren Lautsprecher ist die drahtlose ­Ansteuerung per WLAN fast schon der Standard. Es deckt die ganze Wohnung ab, sodass sich Lautsprecher und Smartphone beim Musikhören in unterschiedlichen Räumen befinden dürfen. Man spart sich die Notwendigkeit, das Smartphone zur Musikwiedergabe in ein Dock zu stecken. Und man reduziert den ­Kabelsalat, indem die Lautsprecher einzig Stromanschluss benötigen.

Für die Musikübertragung braucht es ein stabiles Signal. Störungen, die sich beim Surfen oder selbst beim Youtube-Konsum nicht bemerkbar machen, können bei der Musikwiedergabe zu äusserst lästigen Unterbrechungen führen. In so einem Fall kommt man nicht darum herum, die Einstellungen am WLAN-Router manuell zu optimieren – und den Kanal zu wechseln, bis die Musik unterbrechungsfrei erklingt.

Auch die Konfiguration des Lautsprechers selbst ist nicht ganz trivial. Das liegt daran, dass das Gerät die Zugangsdaten fürs WLAN benötigt, diese in Ermangelung eines Displays aber nicht direkt eingetippt werden können. Bei vielen Geräten funktioniert das Einrichten so, dass man eine App fürs Smartphone herunterlädt und diese sich per WLAN direkt mit dem Lautsprecher verbindet. Diese Verbindungsmethode nennt sich Ad-hoc-Netz und benötigt keinen Router. In diesem Modus werden die Zugangsdaten im Lautsprecher hinterlegt, der sich anschliessend im Heimnetz als Wiedergabequelle zur Verfügung stellt.

Auf den Standard kommt es an

Für die Musikübertragung per WLAN gibt es mehrere Standards. Airplay ist in der Apple-Welt verankert und bei iPhones, iPads und iTunes integriert. Über das (von unten hereinzuwischende) Kontrollzentrum lässt sich die Klangausgabe von beliebigen Apps auf die Lautsprecher umleiten. Zu beachten ist die Verzögerung von rund zwei Sekunden. Sie stört bei Musik nicht weiter, aber sie macht Spiele absolut unspielbar. Falls man beim Betrachten eines Videos am iPhone oder iPad den Ton über die Boxen laufen lässt, wird das Bild entsprechend verzögert, damit es synchron läuft. Bei der Airplay-Wiedergabe vom Windows-PC oder Mac funktioniert das jedoch nicht aus allen Anwendungen – der DVD-Player von OS X beispielsweise beherrscht die Verzögerung nicht.

Ausserhalb der Apple-Welt kommt meistens DLNA zum Einsatz. Das ist ein Standard, der auf Sony und Intel zurückgeht und heute in der Unterhaltungselektronikbranche breit abgestützt ist. Bei Windows ist DLNA in den Windows Media Player integriert. Für die Wiedergabe aus anderen Programmen ist man auf Programme von Drittherstellern ­angewiesen. Eine zweckmässige Lösung eröffnet sich über die Freeware-App Stream What You Hear (streamwhatyouhear.com), die sämtliche Klangausgaben an den Lautsprecher weiterleitet.

Bei Android-Telefonen hängt die Unterstützung vom Modell und den jeweiligen Apps ab. Es gibt im Play-Store Media-Apps, die DLNA unterstützen. Welche Inhalte – beispielsweise von Musikstreaming­diensten – übertragen werden können, hängt von den Umständen ab. Google hat eigenes Protokoll ­namens Google Cast entwickelt, das bislang aber erst in wenigen Lautsprechern (von LG und Sony) zu finden ist.

Um einen Lautsprecher möglichst flexibel nutzen zu können, sollte er Airplay und DLNA unterstützen – wie beispielsweise das Libratone Zipp (ab 275 Franken), das dank Henkel und Akku einfach in der Wohnung herumgetragen werden kann. Wer aber vor allem sein Android-Telefon als Quelle zu nutzen gedenkt, achtet auf Google Cast. Der Sony – eine SRS-X77 (379 Franken) – unterstützt alle drei Protokolle.

Und ja: Es gibt Komponenten für die klassische Hi-Fi-Anlage, um sie drahtlos per Smartphone zu bespielen, etwa vom japanischen Hersteller Denon. Bastler und Experimentierfreudige können auch einen Minicomputer wie den Raspberry Pi (50 Franken) verwenden.

Die Königsklasse heisst Multiroom. Das sind Systeme aus mehreren Lautsprechern, die getrennt oder gleichzeitig angesteuert werden. Die Verwaltung erfolgt normalerweise über Zonen, die aus einem oder mehreren Räumen bestehen können. Man kann in allen Zonen die gleiche Musik hören oder sie getrennt bespielen. Der bekannteste Vertreter im Multiroom-Bereich ist der ­US-amerikanische Hersteller Sonos. Auch LG, Samsung, Sony und andere haben Multiroom-Lösungen im Angebot.

Der Berliner Hersteller Teufel vertreibt seit kurzem auch hierzulande die Lautsprecher des 2010 übernommenen Start-ups Raumfeld. Dort gibt es auch die ganz grossen Multiroom-Boxen, die mit gut einem Meter Höhe hinter dem Sofa aufragen. Mit 400 Watt Leistung werden sie vom Hersteller als «audiophile Freiheitsstatuen» angepriesen.

In der Ära der Tonträger wurden die Komponenten zu eigentlichen Altären aufgetürmt.

Mit Bluetooth können zehn Meter überwunden werden, allerdings nur, wenn keine Wände dazwischen sind.

Mobil mit Musik – es geht aber auch kompakter. Foto: Sophie Stieger

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 1. Juli 2015

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