Es kann nur einfacher werden

Die simple Bedienung der Smartphones beeinflusst zunehmend auch den PC.

Von Matthias Schüssler

Seit Jahren legen die Softwarehersteller im 12- oder 18-Monate-Rhythmus ihre Produkte neu auf. Die Versionsnummern ihrer Softwaretitel suggerieren Fortschritt und bewegen sich längst im zweistelligen Bereich. Doch je höher die Versionsnummer, desto geringer der Anreiz für die Konsumenten, aufzurüsten. Microsoft Office beispielsweise darf nach zwanzig Jahren Entwicklung und 14 Inkarnationen als komplett betrachtet werden.

Das sind grundsätzlich gute Nachrichten für die Anwender. Der Zwang zum ständigen Upgrade hat merklich nachgelassen. Man darf ohne das Gefühl, den Anschluss zu verpassen, jahrelang mit den gleichen Produkten fuhrwerken. Weg ist der Zwang, sich ständig in neue Funktionen einarbeiten zu müssen. Es sind heute vor allem Kompatibilitätsprobleme, die zum Auswechseln einer alten Version zwingen. Oder der Umstand, dass der Hersteller den Support einstellt.

Die Softwareentwicklung ist deswegen aber nicht zum Stillstand gelangt. Die Programme wandeln sich vor allem an der Oberfläche; sprich, bei ihrem Erscheinungsbild. Die Hersteller adaptieren den Glas-Look von Windows 7 und Vista und die sogenannten Aero-Effekte. Auch der «Ribbon», die Multifunktionsleiste, hält Einzug in manche Produkte und löst die Menüleiste ab. Das könnte man für Etikettenschwindel halten, bei dem Glas- und Animations-Schnickschnack Fortschritt vorgaukelt.

Nicht besser, aber einfacher

Bei näherem Hinschauen steckt mehr dahinter. PC-Software ist an dem Punkt angelangt, bei dem sie zwar nicht mehr besser, aber noch sehr viel einfacher werden kann. Und einfacher werden muss, wenn der Personal Computer nicht zum Auslaufmodell werden soll.

Der Zwang zur Einfachheit entstammt der mobilen Welt. iPhones, das iPad, und Android-Telefone führen den Nutzern vor, wie kompliziert, anspruchsvoll und antiquiert der Personal Computer ist.

Immer mehr Anwendungen setzen zudem auf das Web, das Cloud-Computing hält Einzug. Das ist Software, die über jeden x-beliebigen Browser genutzt werden kann. Sie benötigt keine Installation und kaum Konfiguration. Und mit ihr werden Dinge kinderleicht, die in der PC-Welt fürchterlich kompliziert sind. Zum Beispiel, überall die gleichen Adressen oder Telefonnummern zur Verfügung zu haben.

Die Hersteller von PC-Software haben die Zeichen der Zeit erkannt und widmen sich endlich dem vernachlässigten Thema der Bedienung. Die unübersichtlichen Menüleisten verschwinden, ebenso verschachtelte Dialoge, wobei mit jedem Klick ein neues Fenster aufgeht. Fenster werden radikal entrümpelt. Das neue Stildiktat propagiert spartanische Desktops und übersichtliche Programmfenster.

Das lässt sich beim Shootingstar unter den Browsern beobachten: Chrome von Google ist erfolgreich, weil er ein einziges Eingabefeld (für Websuche oder URL) und nur die nötigsten Schaltflächen anzeigt. Firefox wird sich in der Version 4 (momentan als Beta-Version erhältlich) ähnlich präsentieren und sogar ein noch kompakteres Browserfenster haben.

Auch Microsoft hat diesen Trend erkannt. Bei Word 2010 klappt man über «Ctrl» + «F1» den «Ribbon» ein und sieht ein fast leeres Programmfenster – nichts als den Text, den man schreibt. Ein echter Fortschritt.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 23. August 2010

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