Professionelle Digitalfoto-Verwaltung

Fotografen haben auf die Software Aperture gewartet

Aperture sei alles, was Digitalfotografen für die Postproduktion benötigen würden, verkündet Apple selbstbewusst. Die gute Nachricht für alle, die viele Bilder schiessen: Diese Behauptung ist nicht übertrieben.

MATTHIAS SCHÜSSLER Apple ging in den letzten Tagen mit Aperture an den Start. Die Software dient zur Verwaltung digitaler Fotos und wenn man Apple glauben darf, wird das Auswählen, Sortieren und Nachbearbeiten der Aufnahmen nach einem Fotoshooting zum Kinderspiel. Aperture hat alles, was man für die Postproduktion braucht, und ist genau das, worauf alle professionellen Fotografen gewartet haben – und die ambitionierten Amateure sowieso. Auch drei US-amerikanische Top-Fotografen lässt Apple aufmarschieren, die das neue Produkt mit jeder Menge Vorschusslorbeeren auszeichnen.

Darf man glauben, dass Apple auch im Bereich der digitalen Fotografie das Rad neu erfunden hat? Oder ist Vorsicht angebracht, weil der Mensch im Überschwang der Gefühle zu Selbst­überschätzung neigt? Schliesslich gibt es bei Apple allein wegen der Erfolgswelle des iPod genügend Grund zur Hochstimmung.

Doch auch wenn die Macianer gerade im iPod-Rausch schwelgen, liegen sie mit dem Eigenlob richtig: Aperture ist genau das Programm, das man sich als Digitalfotograf für seine Bilder wünscht. Bei Apple hat man erkannt, dass sich das Konzept der klassischen Bildbearbeitungsprogramme für die Ära der Digitalfotografie nicht eignet. Und bei Apple hat man den Mut, neue Wege zu beschreiten – während sich Adobe mit der Bridge zum Beispiel auf ausgetretenen Pfaden bewegt. Und Apple hat, ganz offensichtlich, gut hingehört, als die Kunden ihre Wünsche äusserten – und auch Bedürfnisse präzise geortet, von denen viele Fotografen vermutlich nicht einmal wussten, dass sie sie haben.

Analoge Stärken fürdas digitale Werkzeug

Aperture trägt dem Umstand Rechnung, dass selbst gestandene Fotografen heute ein Vielfaches an Bildern schiessen im Vergleich zu früher, wo sie hinterher in die Dunkelkammer mussten. Trotzdem fusst die Leistungsfähigkeit von Aperture in der Erkenntnis, dass viele Arbeitsweisen aus der analogen Ära auch bei digital arbeitenden Profis ihre Berechtigung haben.

n In Aperture gibt es das Konzept des Bilderstapels. Aufnahmen des gleichen Sujets werden beim Import vom Speichermedium automatisch (anhand der Aufnahmezeit) zu einem Stapel organisiert. Dieser Stapel lässt sich leicht hierhin oder dahin verschieben und dem richtigen Projekt zuordnen, bei Bedarf auslegen und per Mausklick wieder aufschichten.

n Aperture kennt die Metapher des Leuchttischs. In diesem Arbeitsbereich legt man seine Bilder aus. Beim Anordnen und Gruppieren ist man so frei wie beim realen Arbeitsinstrument: Man schiebt die Aufnahmen nach Gutdünken herum und ordnet sie zu Gruppen oder Grüppchen oder testet Arrangements. Per Zoom sieht man sich Ausschnitte oder den Leuchtkasten als Ganzes an, und natürlich lassen sich solche grossen oder kleinen Ansichten auch ausdrucken. Oder als PDF sichern, die man dann dem Auftraggeber zuschickt.

Das digitale Negativ ist unantastbar

n Die Originaldaten werden nie verändert. Wie ein digitales Negativ, das der Fotograf hütet wie seinen Augapfel, werden die von der Kamera kopierten Daten im RAW- oder JPEG-Format nicht angetastet. Aperture führt die Änderungen nicht «wirklich» durch, sondern protokolliert sie separat vom Bild. Somit lässt sich jede Modifikation ungeschehen machen. Hat man sein Bild beschnitten, den Weissabgleich neu gesetzt oder die Helligkeit modifiziert, dann kann man jederzeit zum Ursprung zurückkehren. Weil das so ist, muss man sich bei der Arbeit mit Aperture nicht ums Speichern, Laden oder um Dateinamen kümmern – um diese Belange kümmert sich die Software. Gespeichert und verwaltet werden die Aperture-Daten übrigens in Form von Projekten, die sich bei Bedarf auch extern sichern und natürlich wieder zurückladen lassen.

Aperture ist ganz auf die neue Apple-Hardware zugeschnitten, besonders die Cinema-Displays. Es ist einleuchtend, dass sich die riesigen Dreissig-Zoll-Monitore besonders für die Bildverwaltung eignen. 4096000 Bildpunkte bieten genügend Raum für Bilder-Auslegeordnungen. Aperture kommt aber auch bestens zurecht, wenn als Zweitmonitor ein Zwanzigzöller zum Einsatz kommt: So kann man beispielsweise auf dem einen Anzeigegerät das Leuchtpult anzeigen und auf dem zweiten das Bild in voller Grösse. Und als ob das nicht genug wäre, ermöglicht es die neue Powermac-G5-Generation, bis zu vier Dreissig-Zoll-Cinema-Displays anzusteuern: Das macht 16 Millionen Pixel auf einen Schlag. Somit könnte Aperture doch noch zu einem teuren Spass werden, selbst wenn die Software selbst mit 699 Franken relativ günstig ist.

Für einen ungestörten Blick auf die Bilder gibt es den Vollbildmodus, der sich für verschiedene Arbeitsschritte aktivieren lässt – für das Betrachten einer einzelnen Aufnahme oder aber für das Vergleichen zweier oder mehrerer Schnappschüsse. Hat man beispielsweise eine Bildreihe vom gleichen Motiv, die man absteigend sortieren will, damit am Anfang der Reihe die beste Aufnahme steht und die am wenigsten gelungenen Schüsse am Ende zu finden sind, kann man das gut im Vollbildmodus erledigen: Per Tastenkombination tauscht Aperture zwei nebeneinander liegende Bilder aus, sodass man jeweils durch den Vergleich von zwei Aufnahmen eine Hitparade erhält. Es ist auch möglich, eine Aufnahme zur Referenz zu erklären und die anderen Bilder dann an diesem «Vor-Bild» zu messen.

Es ist auch möglich, die Aufnahmen der gleichen Serie parallel zu begutachten und den jeweils entsprechenden Ausschnitt anzusehen. Man öffnet beispielsweise sechs oder acht Bilder in zwei Reihen und zoomt in allen auf das gleiche Detail. Verschiebt man nun in einer Aufnahme den Ausschnitt, machen alle anderen Aufnahmen diese Bewegung mit, sodass man weiterhin die gleiche Stelle im Bild vergleicht.

Und ebenfalls immer zugänglich ist die Lupe, die in wählbarem Durchmesser die unter dem Cursor befindliche Stelle eins zu eins vergrössert, sodass man sich jederzeit die eigentlichen Pixel vor Augen führen kann.

RAW statt JPEG

Nebst den Funktionen, die ihren Ursprung in der Welt der analogen Fotografie haben, gibt es auch eine Reihe von typisch digitalen Funktionen. Aperture unterstützt das native RAW-Format vieler Kameras (vor allem Canon und Nikon). Apple reagiert damit auf den Trend, dass das bevorzugte Dateiformat vieler professioneller Fotografen nicht mehr JPEG ist, sondern unkompri­mierte «rohe» Kameradaten, die die grössten Möglichkeiten zur Weiterverarbeitung bieten. Mit Aperture arbeitet man mit RAW-Daten genauso wie mit JPG; für ein verlustbehaftetes Format braucht man sich erst zu entscheiden, wenn man die Bilder fürs Web oder die Weiterleitung per Mail exportiert.

Aperture erlaubt auch Bildkorrekturen, die, wie erwähnt, nicht am Originalbild durchgeführt werden, sondern nur als Modifikation dem Bild zugewiesen werden. Bei Apple heisst das nichtdestruktive Bildbearbeitung; Oren Ziv, Marketing Director von Apple Europa, hat dafür folgende einprägsame Formulierung gefunden: «Andere Hersteller geben Ihnen unendlich viele Schritte fürs Undo. Wir offerieren Ihnen ein Never-Do.» Eine Reihe von nichtdestruktiven Funktionen stehen zur Verfügung:

  • Beschneiden des Bildes
  • Anpassen der Belichtung
  • Belichtungssteuerung
  • Weissabgleich
  • Spitzlichter und Tiefen
  • RGB-Mixer für die optimale Schwarzweiss-Umsetzung
  • Reduktion des Bildrauschens
  • Rote-Augen-Korrektur
  • Schärfen
  • Linien und Horizont gerade rücken
  • Sepia

Aperture bietet einen komfortablen Weg, mit verschiedenen Varianten des gleichen Bildes zu arbeiten – unterschiedliche Versionen erscheinen entweder als Bildstapel oder sie können mit den Features zum Vergleichen nebeneinander gestellt werden.

Rückfahrt nicht gewährleistet

Photoshop wird trotz der Bildbearbeitungsmöglichkeiten indes nicht obsolet. Aufwändige Retuschearbeiten erfolgen weiterhin in Adobes Bildbearbeitungsprogramm. Apple hat sich alle Mühe gegeben, Photoshop in das Aperture-Konzept zu integrieren, und verspricht eine «Roundtrip»-Lösung (englisch für Hin- und Rückfahrt). Ganz korrekt ist diese Metapher nicht, denn wer zu Photoshop überwechselt, kann nicht zum Ursprung zurückkehren: Um ein Bild in einer externen Bildbearbeitungssoftware zu bearbeiten, muss es exportiert werden – dabei werden die nichtdestruktiven Bearbeitungsschritte destruktiv. Hat man beispielsweise das Bild vorgängig in Aperture beschnitten und dann in Photoshop bearbeitet, lässt sich der Beschnitt nicht mehr rückgängig machen – es sei denn, man gibt die in Photoshop durchgeführten Änderungen auf.

Die Zusammenarbeit gehört mit zu dem schwächsten Teil im Workflow mit Aperture. Das ist aber nicht Apples Fehler, sondern hat mit den unterschiedlichen Konzepten von Photoshop und Aperture zu tun. Bei Ersterem werden Pixel verändert, bei Letzterem eben nicht.

Eine Software wie Aperture muss auch mit Metadaten umgehen können – die Verschlagwortung ist recht gut gelöst, ganz kann einem die Software diese Zeit raubende Arbeit aber nicht abnehmen. Dennoch gibt es in anderen Belangen die Möglichkeit zur automatischen Erledigung häufiger Arbeiten. Aperture lässt sich via Automator oder AppleScript fernsteuern – die enge Anbindung ans Betriebssystem bringt es allerdings mit sich, dass Aperture nur auf Tiger läuft.

iPhoto für Erwachsene

Was die Ausgabe von Bildern angeht, druckt Aperture nicht nur Kontaktabzüge, sondern hat eine direkte Schnittstelle zu den Fotolabors eingebaut. Per Mausklick bestellt man sich Vergrösserungen auf Fotopapier. Natürlich verlässt sich die Software hier ganz auf die Stärken des Betriebssystems und profitiert von ColorSync, dem Farbmanagementsystem. Vor der Ausgabe zeigt die Software einen Soft-Proof an, der die Farbwiedergabe auf dem gewählten Drucker simuliert.

Bei der Weiterverarbeitung der Bilder entpuppt sich Aperture als «iPhoto für Erwachsene». Oder weniger polemisch ausgedrückt, man hat ähnliche Möglichkeiten wie in Apples populärer Bildverwaltungssoftware für die Heimanwender. Aperture schickt Bilder auf die .Mac-Plattform oder generiert HTML-Seiten mit Webalben. Auch Fotobücher sind ein Thema. Verglichen mit den Büchern, die iPhoto generiert, haben Aperture-Anwender viel mehr gestalterische Freiheiten. Den Bildausschnitt darf man direkt im Buch-Layout bestimmen und auch bei der Positionierung der Bilder hat der User das letzte Wort. Aperture greift für die Beschriftung der Bilder auf die Metadaten zurück und erlaubt auch den Export als PDF – worauf man sein Buch bei dem Dienstleister seines Vertrauens ausgeben lässt.

Ein hardwarehungriges Bilderwunderkind

Wie gut sich Aperture in der Praxis schlägt, wird sich zeigen müssen, wenn die Vollversion verfügbar ist. Das Konzept gibt jedoch zur Hoffnung Anlass, dass Apple das Werkzeug liefert, das mit den Fluten an Fotos umzugehen weiss, die man als Digitalfotograf produziert. Ein Wermutstropfen sind die hohen Hardware-Anforderungen: Man braucht einen Powermac G5 mit 1,8 GHz oder einen G4 mit 1,25 GHz, mindestens ein Gigabyte RAM, 5 GB freien Speicherplatz und eine moderne ATI- oder Nvidia-Grafikkarte. Apple setzt die richtigen Impulse und nimmt gleichzeitig die Gelegenheit wahr, ein paar Extra-Rechner zu verkaufen.

Aperture (nur englisch) ist im Publisher-Shop für Fr. 699.– ab Mitte Januar erhältlich. Sie können jetzt vorbestellen.


Je mehr Bildschirm(e), desto wohler fühlt sich Aperture.

Freie Auslegeordnung der Aufnahmen auf dem Leuchttisch. Rechts unten im Screenshot ist die Lupe zu sehen, mit der sich die Pixel jederzeit eins zu eins anzeigen lassen. Plus ganz rechts die Bildbearbeitungspalette zur Korrektur der Belichtung.

Aperture unterstützt fleissige Fotografen beim Sichten und Sortieren der Ausbeute.

Quelle: Publisher, Freitag, 9. Dezember 2005

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Thema: Software-Test
Nr: 6664
Ausgabe: 05-6
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