«Neues ausprobieren kann wehtun»

Daniel Borel, Mitbegründer von Logitech, über Innovation, Fehlschläge, die Zukunft der Maus und die mangelnde Leidenschaft der Schweizer, sich neu zu erfinden.

Mit Daniel Borel sprachen Matthias Schüssler und Roger Zedi

Herr Borel, was ist für Sie Innovation?

Innovation ist der positive Aspekt einer Veränderung. Es hat auch mit Überraschung zu tun, sei es in der Form, der Funktionsweise oder einfach beim Preis. Nehmen sie Easy Jet. Die haben das Fliegen innoviert, hauptsächlich über den Preis und die Art, wie man bucht.

Treibt die Technik die Innovation an?

Nein. Denn die Leute scheren sich nicht um Technologie. Wenn meine Tochter im Web surft, dann ist sie sich der Technik gar nicht bewusst. Wenn meine Mutter mit dem Auto unterwegs ist, dann benutzt sie keinen Motor oder die Bremsen, sie besucht einen Freund oder geht einkaufen. Das ist, was zählt.

Sie gehen also beim Entwerfen neuer Produkte nicht von der Technologie aus?

Wir müssen uns fragen, was die Leute kaufen wollen. Um das vorauszusehen, brauchts auch eine Portion Glück. Sehr erfolgreiche Dinge wie SMS wurden von keinem Mobilfunkanbieter erfunden, denn keiner dachte, dass daraus je ein Hit wird.

Wie innovativ muss eine Maus sein?

Sehr innovativ. Mäuse sind nicht wie Zahnbürsten, die Sie nach ein paar Monaten ersetzen müssen. In den Achtzigern hatten die Computer noch keine Mäuse, ausser dem Macintosh. Am Anfang verkauften wir also Mäuse an Leute, die keine Maus hatten. Als alle PCs eine Maus hatten, mussten wir innovativ werden, beim Design, bei der Software, bei der Zuverlässigkeit, damit die Leute ihre Mäuse mit unseren ersetzen würden.

Können Sie sich einen PC ohne Maus vorstellen?

Seit ich in diesem Geschäft bin, sagt mir jedes Jahr ein Journalist: Stimmeingabe wird Sie aus dem Geschäft werfen.

Das macht Ihnen offenbar keine Angst?

Falls sie je kommt, dann wird sie eine Ergänzung sein und nicht alles andere ersetzen. Ich glaube nicht daran, dass die Leute mit ihren Computern sprechen wollen. Stellen Sie sich ein Grossraumbüro vor, worin alle mit ihrem PC sprechen.

Dann glauben Sie auch nicht an den Tablet-PC, den man mit einem Stift bedient?

Nun, es gab schon in den frühen Neunzigern ähnliche Versuche, ohne Erfolg. Warum? Man drängt den Leuten eine Technologie auf. Und da ist das Problem der Handschrifterkennung, ähnlich wie jenes der Stimmerkennung. In den Berichten über die Tablet-PCs ist viel von Fehlern bei der Handschrifterkennung die Rede, die Fehlerquote sei sehr hoch.

Wir haben es ausprobiert, ganz so schlecht funktioniert es nicht.

Also gut. Aber wenn sie 99 Prozent der Buchstaben richtig erkennen auf einer Seite von 4000 Buchstaben, dann sind das schon 40 Fehler. Die Autokorrektur hilft, diese zu verringern, aber ganz bringt man sie nicht weg. Ich hätte keine Lust, das ständig prüfen zu müssen.

Logitech bringt demnächst auch einen Stift, der handschriftliche Texte vom Papier auf den Bildschirm bringt.

Ja. Er macht allerdings nicht genau dasselbe wie der Tablet-PC, wir möchten die beiden Dinge eigentlich nicht direkt vergleichen. Aber wir denken, dass unsere Anwendung viel näher an den Leuten ist, denn unser Stift funktioniert wie jeder andere Stift, den sie kennen.

Welche Rolle spielen Handys für Logitech?

Dort, wo wir den Umgang damit erleichtern können, werden wir es tun. Demnächst werden wir ein drahtloses Headset bringen. Es funktioniert mit diversen bestehenden Telefonen.

In unserem Alltag gibt es immer mehr Geräte, die alle anders bedient werden. Wird künftig alles komplizierter für uns?

Die Welt soll nicht komplexer werden. Vielmehr soll die Welt, in der sich die Leute gewohnt sind zu leben, in die digitale Welt überführt werden, ohne dass man alles neu lernen muss.

Logitech will auch in andere Bereiche des Alltags vordringen, etwa die Küche. Wie stellen Sie sich das Haus der Zukunft vor?

Unsere Häuser und Wohnungen werden vermehrt mit der Welt verbunden sein. Das ist noch nicht bewiesen, aber wir glauben daran. Informationen werden digital ins Haus kommen, in jedes Zimmer. In so einem Haus könnte etwa der Wecker Musik ab dem Internet spielen. Es wäre immer noch ein Wecker, aber mit mehr Möglichkeiten. In der Küche können wir Rezepte, das Kinoprogramm auf einem kleinen Bildschirm abrufen oder über eine kleine Kamera sehen, wer vor der Tür steht.

Viele Firmen setzten auf die steigende Nachfrage nach Sicherheitslösungen. Was werden Sie hier anbieten?

Wir sprechen vor allem private Käufer an. Da spielt das weniger eine Rolle als bei einer Bank. Doch auch zu Hause haben die Leute mehr und mehr sehr persönliche Dinge auf ihren Computern, also wird die Zugangskontrolle wichtiger werden.

Es gab von Logitech Mäuse mit einem Forcefeedback, die leicht ruckelten, wenn man etwa über einen Hyperlink fuhr. Was ist daraus geworden?

Ja, das machten wir einige Jahre lang. Die Reaktion der Kunden war durchzogen. Der Mehrwert war wohl zu gering. Jedoch dieselbe Technologie ist in einem Gamepad oder Joystick sehr gefragt.

War das, weil die Leute sich nicht an ruckelnde Mäuse gewöhnt sind?

Leute nehmen Neues dann auf, wenn es ihnen erlaubt, etwas zu tun, was sie sich gewünscht haben. Sie wenden nur ungern Zeit dafür auf, etwas Neues zu lernen.

Für mich war das Ruckeln auch nicht nah genug an der realen Welt, es war sehr künstlich und zu eintönig.

Das mag stimmen. Sehen Sie, um mit einigen Dingen erfolgreich zu sein, muss man viele Dinge ausprobieren. Es ist nichts Falsches daran, etwas versucht zu haben. Wir hatten in den Neunzigern einige Flops, die uns viel Geld gekostet haben. Etwa die erste digitale Kamera. Was wollen Sie damit im Jahre 1992? Wir waren zu früh, und das Produkt war zu teuer. Dasselbe gilt für unseren Scanner. Oder unseren dreidimensionalen Gamepad. Wir hatten ein Audiogerät mit Mikrofon und Lautsprecher, keiner wollte es. Heute aber ist jedes einzelne dieser Produkte in einer anderen Form wieder da.

Was ist heute anders?

Viel ausgemacht hat das Internet, denn es hat neue Anwendungen gebracht, und die Zahl der Heimnutzer stieg. Für diese Leute konnten wir unsere Produkte in neuer Form attraktiv machen.

Wie wichtig ist es Ihnen, Trends zu setzen?

Nun, wir leben davon, innovative Produkte zu machen, welche die Leute kaufen wollen und gerne benutzen. Denn wenn sie es nicht gerne brauchen, werden sie es nie jemandem weiterempfehlen. Wir werden gerne als Trendsetter gesehen, doch wir wollen dabei nicht alles riskieren.

Wie bedienen wir Computer in fünf Jahren?

Es gab und gibt diverse Versuche, etwa das Abtasten der Augenbewegungen. Es wurde sogar versucht, durch Messen der Hirnströme den Cursor zu bewegen. Wenn Sie fest daran denken, dass der Cursor sich nach oben bewegt, sollte er es tun. Daran wird immer noch geforscht.

Das wäre doch sehr einfach für die Leute.

Schon. Aber was passiert, wenn sie schlecht gelaunt sind und ihre Gedanken anders verlaufen als an einem guten Tag? Schon 1991 haben wir eine dreidimensionale Maus entwickelt. Wir glaubten an Virtual Reality, 3-D-Brillen und Datenhandschuhe. Dieser Markt wurde aber nie zur Realität. Vielleicht werden aber schon in wenigen Jahren die Websites in 3-D sein.

Die Schreibtischmetapher wurde aber nie erfolgreich um eine dritte Dimension erweitert.

Das stimmt. Ich sage auch nicht, dass diese Dinge nächste Woche oder in zwei Jahren passieren. Doch ich denke, die grafische Leistung der Computer wird uns erlauben, sinnvolle 3-D-Anwendungen zu entwickeln.

Werden wir künftig auch unsere Füsse einsetzen?

Eventuell. Ich kann mir ein ganzes Cockpit für den Computer vorstellen. Darin können Sie mit dem Computer sprechen, er erkennt, wohin Ihre Augen blicken, Sie können Ihre Füsse benutzen und so weiter.

Betreiben Sie auf diesem Gebiet Grundlagenforschung?

Nein, wir verwenden bestehende Technologien, um daraus Produkte zu machen. Es kommen aber viele Bastler auf uns zu, wenn sie etwas Neues entwickelt haben.

Wer also in seiner Garage etwas erfindet, kommt damit zu Logitech?

Ja, mehr und mehr. Wir hatten Anfang der Neunziger viele solche Kontakte. Ab 1997 kam die Internetblase, und alle wollten selbst eine Firma gründen. Unterdessen kommen diese Leute wieder zu uns.

Ist die Schweiz ein kreativer Platz?

Kein Land hat die Kreativität für sich gepachtet. Swatch war eine innovative Schweizer Idee. Innovativ waren der Preis und das Design, nicht das Produkt als solches. Da die Schweiz aber ein reiches, wohlhabendes Land ist, gibt es weniger Bedarf an Innovation. Hier muss niemand erfinderisch werden, um zu überleben. Die Swatch entstand in so einem Moment, denn die Schweizer Uhrenindustrie kämpfte ums Überleben.

Müssten die Schulen und Hochschulen mehr in diese Richtung tun?

Kreativität setzt Leidenschaft voraus. Ich vermisse hier zu Lande schon die Leidenschaft der Studenten für ihre Fächer. Das gilt für Universitäten, für Lehrlinge, für alle. Vor einem Monat war ich zum ersten Mal in Dubai. Ich war fasziniert, wie kreativ die Leute dort sind. Das Essen in den Restaurants, die Bedienung, die Gebäude. Dahinter müssen eine Vision stecken und sehr viel Leidenschaft. Das brauchen wir hier auch.

In der Schweiz landet ein Programmierer eher bei einer Bank, als dass er neue Software kreiert und eine eigene Firma gründet.

Das stimmt. Kreativität und Leidenschaft haben etwas mit Veränderung zu tun. Wem es gut geht, hat dafür weniger Bedarf.

Also gibt es hier einfach zu wenig Druck, innovativ zu sein?

Ja. Visionen umzusetzen, ist auch mit Schmerz verbunden. Etwas Neues auszuprobieren, kann wehtun. Wie viele Leute warten, bis ihnen Millionen von anderen Leuten sagen, etwas Neues sei cool, bevor sie es ausprobieren? Die Schweiz ist stark gefordert, sich in den nächsten 50 Jahren neu zu erfinden.

Geht es uns dazu nicht zu gut?

Möglicherweise. Die Schweiz liegt mir sehr am Herzen. Dennoch musste ich in den letzten 25 Jahren im Ausland leben. Die Schweiz ist kein Markt für Mäuse, die USA dagegen schon. Unsere Technologie kam aus der Schweiz, produziert wurde in Asien. Was uns gerettet hat, ist, dass wir nie den Luxus hatten, alles hier zu machen. Dann gäbe es uns nicht mehr. Wir waren nie so erfolgverwöhnt, Business Class zu fliegen oder Büros am Paradeplatz zu haben. Das hat uns innovativ gehalten.

Wie wichtig war für Sie persönlich der Schritt ins Ausland?

Das Beste, was mir passiert ist, war der Zwang, mein Land zu verlassen. Ich ging 1975 mit einem Stipendium nach Stanford. Dort sah ich all diese Leute, Steve Jobs, Bill Gates, die alle ihre Firmen aufbauten. Sie inspirierten mich, Logitech zu gründen. Für unser Land ist es essenziell, mehr junge Leute in die Welt hinauszuschicken. Damit sie die Welt anders kennen lernen, neue Erfahrungen nach Hause bringen. Unsere besten Ingenieure sind Schweizer, die fünf Jahre in Kalifornien waren. Hier kriegen sie eine gute Ausbildung, dort sind sie der Welt ausgesetzt.

Ist Logitech für Sie eine globale Firma?

Ich mag das Wort global nicht. Ich denke, unsere kleine Grösse und der Umstand, dass wir in verschiedenen Ländern tätig sein mussten, haben so etwas wie eine «international eingestellte» Kultur entstehen lassen. Wir sind chinesisch in China, amerikanisch in Amerika, schweizerisch in der Schweiz. Die heutige Technologie macht das gleichzeitige Arbeiten an all diesen Orten für uns zum Glück relativ einfach. Die internationale Haltung unserer Leute ist aber mindestens so wichtig.

BILD MATTHIAS SCHÜSSLER

«Dieses Land braucht mehr Leidenschaft», wünscht sich Borel.

Das Beste, was mir passieren konnte, war, mein Land verlassen zu müssen.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 30. Dezember 2002

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Thema: Interview
Nr: 4274
Ausgabe: 02-1230
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