CorelDraw 11

Die Zeit der Featurefeuerwerke ist vorbei

CorelDraw ist keine Dutzendware; dazu ist die Versionszahl noch eine Nummer zu tief. Die elfte Ausgabe der Grafiksuite bringt keine ellenlange Liste neuer Features, aber gut geölte Zeichentools.

MATTHIAS SCHÜSSLER Jahrelang hat Corel in einem Zwölf-Monate-Rhythmus neue Versionen ihres wichtigsten Produkts auf den Markt gebracht; und jede Fassung brannte ein Feuerwerk an Features ab (siehe Kasten «Meilensteine in Corels bewegter Geschichte»). Hätte die Corel Corporation das Produktionstempo konstant hoch gehalten, wäre heute Version 14 zu besprechen. In Tat und Wahrheit steht CorelDraw 11 zum Test.

Für manche Modifikationen brauchten selbst die fleissigen Kanadier etwas mehr Zeit. Bei der nun erschienenen 11. Version dürfte der Grund der längeren Entwicklungszeit darin liegen, dass die Benutzer von Windows und Mac OSX erstmals gleichzeitig bedient werden. Fast funktionsgleiche Fassungen für beide Plattformen befinden sich in der Box, wobei diese Auswahlmöglichkeit nur in Ausnahmefällen hilfreich ist. Beispielsweise für abtrünnige Windows-Benützer, bei denen Apples Umsteigerkampagne auf fruchtbaren Boden fällt, oder für Grafikbeflissene, die auf beiden Plattformen zu Hause sind. Nach der gängigen Auslegung von Software-Lizenzbestimmungen ist eine doppelte Installation nur dann zulässig, wenn immer nur eines von beiden Geräten genutzt wird. Dies trifft etwa auf Anwender zu, die zu Hause am Desktop-PC arbeiten und unterwegs einen (Mac-)Laptop nützen.

Noch nicht alles Pulver alle

Bei einem so weit entwickelten Produkt wie Corel und weil das Versions-Dutzend demnächst voll sein wird hilft Effekthascherei nicht weiter: Nur Solidität wird die Käufer davon überzeugen, dass die Entwickler nicht kurz davor sind, das letzte Pulver verschossen zu haben. Erstaunlich bescheiden gibt sich die Pressemeldung, und daher glaubt man dem Hersteller, dass bei der elften Version mehr auf die Wünsche der Anwender eingegangen wurde und sich die Entwickler weniger <!– rot: Korrektur des Fehlers, welcher beim Publisher hineinredigiert wurde >mit der sicher spannenden Programmierung von frappanten Effekten vergnügt haben. Die kreativen Gestalter werden daran ihre Freude haben – denn so eindrucksvoll beispielsweise der Linseneffekt ist, brauchen tut man ihn alle Jubeljahre.

Der typische Corel-Anwender scheint weniger verspielt zu sein als bisher angenommen. Die besten Neuerungen sind banale Werkzeuge, die demjenigen helfen, der nichts als zeichnen möchte. Die «Polylinie» ist so ein Beispiel: Das über das Tuschestiftsymbol aufzurufende Werkzeug erlaubt es, in einem Zug komplexe Formen aus Geraden und Kurven zu zeichnen: Hält man die Maustaste gedrückt, entsteht eine Kurve. Lässt man die Maustaste los, wird CorelDraw beim nächsten Klick den bisherigen letzten Punkt der Kontur in gerader Linie mit der angepeilten Stelle verbinden. Um die Arbeit an der Vektorform zu beenden, bedarf es eines Doppelklicks.

So unspektakulär, so nützlich

Ähnlich praktisch sind die neuen Dreipunktformen: Sie helfen beim präzisen Zeichnen von Kurven, Ellipsen und Rechtecken. Mit den herkömmlichen Werkzeugen hat man das Problem, sie nicht immer sehr genau in eine bestehende Komposition einpassen zu können. Zum Beispiel arbeitet das normale Kreiswerkzeug so, dass der Benutzer ein (unsichtbares) Rechteck aufzieht, in das die Software den Kreis einpasst. So ist es unmöglich, einen Kreis direkt an eine nicht waagrecht oder vertikal verlaufende Linie anzuschlagen. Wer das tun will, muss erst den Kreis zeichnen und ihn dann in die richtige Position rücken.

Mit dem Werkzeug «Dreipunkt-Ellipse» hingegen klappts: Man setzt mit dem ersten Klick einen Ausgangspunkt und hält dann die Maustaste gedrückt, um den Kreisdurchmesser vorzugeben (den zweiten Punkt). Lässt man dann die Maustaste los, kann man den dritten Punkt setzen, welcher die Ausdehnung senkrecht zum eben gezeichneten Durchmesser bestimmt. Ähnlich arbeitet das Dreipunkterechteck: Der erste Klick definiert eine Ecke des Recktecks. Mit gedrückter Maustaste zieht man eine Seite des Parallelogramms auf und streckt diese nach dem Loslassen der Taste in die zweite Dimension. Während das normale Werkzeug immer Rechtecke mit waagrechten und senkrechten Kanten zeichnet, kann der Gestalter so schräg­stehende Orthogone erstellen. Mit dem Dreipunkt-Kurvenwerkzeug positioniert man zuerst Anfang- und Endpunkt einer Halbkreiskurve und rückt den Scheitelpunkt an die gewünschte Stelle.

Weitere Neuerungen richten sich an Webdesigner: Paint hat den Umgang mit Slices und Rollovers gelernt und das Animieren mit Rave 2.0 einfacher gemacht. Gleichwohl dürften sich Webdesigner und Flash-Filmproduzenten an Macromedia oder allenfalls Ulead, bzw. Adobe halten. Draw ist und bleibt die stärkste Komponenten der Suite.

Zeit, Vorurteile zu revidieren

CorelDraw Version 11 ist ein enorm umfangreiches Grafikpaket, dem die Konsolidierungsphase der letzten Jahre gut getan hat. Während sich Umsteiger von Illustrator oder Photoshop womöglich schwer tun, sind die Bedienungskonzepte für «unverbildete» Anfänger schnell zu durchschauen. Manches davon ist gelungen: die unkompliziert anpassbaren interaktiven Effekte, die intuitiven Farbmischmöglichkeiten und flexiblen Objektmanipulationen.

Wer häufig mit CorelDraw zeichnet, der wird die neuen Zeichenwerkzeuge zu schätzen wissen und das Update nicht bereuen. Benützer, welche die Software sporadisch einsetzen und noch Version 10 oder allenfalls 9 auf der Festplatte haben, können mit dieser weiterarbeiten, ohne viel zu verpassen – allenfalls könnte die gefällige Angleichung ans Look-and-Feel von Windows XP Ästheten zu einer Aktualisierung bewegen.

Wer noch eine Uralt-Edition der Suite nutzt, sollte updaten. Und mit Corel 11 probieren sollten es auch die Leute, die irgendwann, etwa wegen der unfertigen Version 6 Aversionen gegen das Produkt haben oder aufgrund von Gehörtem Vorurteile entwickelten. So sie gewillt sind, lieb gewonnene Ansichten aufzugeben

CorelDraw 11 für Windows und MacOSX. Vollversion: 899 Franken, Update 439 Franken bei www.corelshop.ch

Quelle: Publisher, Dienstag, 8. Oktober 2002

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Thema: Software
Nr: 4271
Ausgabe: 02-6
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