MONITOR

Erloschene Leidenschaft

Von Matthias Schüssler

Michel Kripalani, 35-jähriger Spielentwickler, packt dieser Tage seine Koffer für eine sechsmonatige Weltreise. Der Mann hat eben sein 1991 gegründetes Gamestudio liquidiert und die 21 Mitarbeiter auf die Strasse gestellt. Nicht etwa aus wirtschaftlichen Gründen; die Presto-Studios waren schuldenfrei und dank Top-Titeln wie «Myst III» gefragte Spielelieferanten. Mr. Kripalani hat die Nase voll und die Leidenschaft für seine Arbeit verloren.

«Spiele zu entwickeln, ist ein hartes, unsentimentales Geschäft», sagte der Aussteiger der «San Diego Union Tribune». Heutige Produktionen verschlingen ein Millionenbudget. Die Verleger zögern, in neue Ideen zu investieren und bringen stattdessen Folge um Folge bekannter Reihen.

Die Branche hat ihre Pionierzeit hinter sich, das bestätigte auch Bruce Shelley im TA-Interview vom 2. September. Experimente liegen einfach nicht drin; wenn fünfzig Leute monatelang digitale Welten modellieren, einen Soundtrack komponieren oder an Programmroutinen für künstliche Spieleintelligenz feilen. Genau wie in Hollywood sind nur Ideen gefragt, die sich sicher verkaufen lassen.

Nicht nur die finanziellen Sachzwänge bewirken eine Entwicklung hin zum Einerlei. Die grösseren technischen Möglichkeiten haben paradoxerweise den gleichen Effekt. Die aktuelle Gamekonsolen-Generation und moderne PCs sind stark in dreidimensionaler Grafik. Diese kommt erst in Actionsequenzen so richtig zur Geltung, wenn die Figur über den Bildschirm rennt, schiesst, fährt oder fliegt und der Spieler wild das Gamepad malträtiert. An ruhige Adventures, die mehr Hirn als Hand benötigen, glaubt die Branche nicht.

Zufrieden mit der Jetzt-Situation sind die eingefleischten Spielekäufer. Sie erhalten, wonach es sie gelüstet. Allerdings machen die «committed gamers», wie Marketing-Leute diese Gruppe nennen, nur zehn Prozent aus. Der überwiegende Rest greift sporadisch zum Joystick und lässt sich vornehmlich durch Mundpropaganda zum Kauf verleiten. Erscheint Teil vier irgendeiner abgelutschten Saga, dann werden die Gelegenheitsspieler zu Aussteigern. Genau wie Michel Kripalani.

Im Jahr 2001 gingen die Umsätze zurück, namentlich im Konsolenbereich. Lieferengpässe bei der Playstation 2 sind schuld, sagen die Hersteller. Womöglich liegts auch daran, dass kaum ein Titel ausserhalb der Szene von sich reden machte. Kühle Rechner gibt es in der Unterhaltungsbranche, das haben wir jetzt gemerkt. Doch wo bleiben die Unterhalter?

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 9. September 2002

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Thema: Monitor
Nr: 4143
Ausgabe: 02-909
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