Gut gerüstet für die Aufholjagd?

Lange, sehr lange hat es gedauert, doch jetzt ist der neue Browser da: Netscape 6.

Von Matthias Schüssler

Letzte Woche verkündete Netscape eine grosse, lang erwartete Neuigkeit: Netscape 6 ist fertig!

Seit dem letzten grossen Update auf die Version 4 sind fast dreieinhalb Jahre verstrichen. Seither hat es kleinere Aktualisierungen gegeben, doch keine grundlegenden Erweiterungen. Konkurrent Microsoft hat diesen Dornröschenschlaf genutzt und viel Terrain erobert: Inzwischen surfen rund 86 Prozent mit dem Internet-Explorer; der Anteil des früheren Marktführers liegt bei etwa 13 Prozent. «Wir wollen Marktanteile zurückgewinnen!», bekräftigt der Browser-Verantwortliche bei Netscape, Sol Goldfarb. Dazu will die AOL-Tochter zehn Millionen Software-CD-ROMs unters Volk bringen.

Von Grund auf erneuert

Die Veränderungen im Vergleich zu der 4.x-Generation sind fundamental. Netscape 6 basiert auf dem Open-Source-Projekt von Mozilla.org (Milestone 18). Seit Netscape am 31. März 1998 den Quellencode des Browsers als Open Source freigegeben hat, kümmert sich diese Organisation um die Entwicklung des Surfprogramms und koordiniert die Anstrengungen der weltweiten Entwicklergemeinschaft. Die Programmierer mussten viele der bestehenden Komponenten neu implementieren, da Drittfirmen Rechte daran besassen und sie deshalb nicht als Open Source freigegeben werden konnten. Der «Reifungsprozess» des Programms verzögerte sich weiter, weil Mozilla.org und Netscape sich im Oktober 1998 dazu entschlossen, den Browser um den zuvor entwickelten, neuen «Bildschirm-Motor» zu bauen. NGLayout, bei Mozilla unter dem Spitznamen «Gecko» geläufig, ist für die Darstellung der Seiten am Bildschirm verantwortlich. Dieser Motor entpuppte sich als leistungsfähige und schnelle Komponente, welche die Anbieter-unabhängigen Web-Standards wie HTML 4.0, XML und CSS buchstabengetreu unterstützt. Die Entwickler wählten ein modulares Programmkonzept, mit dem sich die Arbeit auf unabhängige Teams aufteilen liess.

Neue Stärken, alte Schwächen

Netscape 6 erhält als Open-Source-Projekt zu Recht eine Menge Sympathien, ebenso durch das getreue Einhalten der Web-Standards und die modulare Konstruktion. Dennoch geben nicht diese Faktoren den Ausschlag über Erfolg oder Misserfolg des neuen Browsers: Allein die besseren Funktionen werden die Surfer zum Umstieg bewegen. Netscape 6 hat einiges zu bieten: Die Möglichkeit, die Optik des Browsers beliebig anzupassen, ist raffiniert. Das Mailprogramm kann – endlich! – mehrere E-Mail-Konten verwalten, und die Seitenleiste ist leistungsfähiger als ihr Pendant bei Microsoft. Leider bleibt der Browser alten Schwächen treu: Er startet langsam und ist auch während des Betriebs keine Rennmaschine – schnell ist Netscape 6 vor allem, wenn es abzustürzen gilt.

Download: ftp://ftp.netscape.com/pub/netscape6/german/6.0.

SCREEN TA

Netscape 6 im neuen Look: Die grossen Veränderungen fanden unter der Oberfläche statt.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 20. November 2000

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Thema: Bits & Chips
Nr: 670
Ausgabe: 00-1120
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