Gimp: Photoshop-Konkurrent zum Nulltarif

Bildbearbeitung nach Art der Pinguine

Unter Linux ist im Bereich Bildbearbeitung «Gimp» der Platzhirsch. Nun ist dieses Programm, das auch Photoshop das Wasser reicht, für Windows verfügbar – gratis!

Matthias schüssler Für Windows- und Mac-Benutzer ist Gimp ein nur schwer erklärliches Phänomen: Das Programm taucht gewissermassen aus dem Nichts auf und bringt vom Fleck weg eine überaus beeindruckende Funktionsfülle mit. Der aussergewöhnlichste Aspekt an Gimp ist jedoch sein Preis: Gimp kostet nichts, nicht einmal eine Shareware-Gebühr von einer Handvoll Dollars.

Kulturschock

Es ist ein kleiner Kulturschock, der sich abspielt: Windows- und Mac-Benützer sind es gewohnt, für Software bezahlen zu müssen. Gimp dagegen kommt aus der Linux-Welt und unterliegt der «GNU public licence» (Gimp steht für «GNU Image Manipulation Program»). Dies bedeutet nichts weniger, als dass die Software frei verfügbar ist: Jedermann darf und soll sie kostenlos benützen. Nicht nur das: Auch der Quellcode – viele Tausend Programmzeilen – die Firmen wie Adobe, Microsoft oder Corel als Geschäftsgeheimnisse hüten, ist dem Publikum zugänglich.

Und genau dieser Umstand hat Gimp für Windows ermöglicht. Die Originalversion wurde für Linux entwickelt und läuft nicht unter Windows. Da der Quellcode jedoch frei ist, war die Portierung eine verhältnismässig einfache Angelegenheit. Tor Lillqvist hat sich dieser Aufgabe in Eigenregie angenommen und Gimp für das Microsoft-Betriebssystem umgeschrieben. Wie er auf seiner Homepage angibt, weil er seinen Diascanner unter Linux nicht zum Arbeiten bewegen konnte. Wenn Lillqvist sich schon mit Windows herumplagen musste, wollte er wenigstens seine gewohnte Bildbearbeitungssoftware benutzen können.

Sehr «unwindowsig»

Ein zweiter Schock erwartet den Windowsbenutzer nach dem Start des Programms: Nichts sieht aus, wie er sichs gewohnt ist. Gimp fühlt sich an keinerlei Windows-Konventionen gebunden. Es gibt kein zentrales Anwendungsfenster, sondern bloss eine freischwebende Werkzeugpalette. Die Dialogboxen für das Öffnen und Speichern von Bildern sind der Linux-Welt entlehnt und haben nichts mit Standarddialogen gemein. Gut versteckt sind auch die Hauptmenüs, ohne die auch bei Gimp nichts geht: Die Befehle erscheinen als Aus­klapp­menü, wenn man in einem Bildfenster auf das Dreiecksymbol in der linken oberen Ecke klickt, das sich direkt unter dem kleinen Programm­ikönchen befindet.

Praktisch ist, dass sich die Menüs «abreissen» lassen: Klickt man auf die gestrichelte Linie an der oberen Kante eines Menüs, klappt dieses nicht mehr ein, sondern bleibt als Palette auf dem Bildschirm – eine Funktion, die auch für manches Windows-Programm hilfreich wäre.

Gut gefüllte Werkzeugkiste

Gimp enthält umfangreiche Funktionen für die Retusche, die Veränderung und Nachbearbeitung von Bildern. Einige Funktionen ähneln den vergleichbaren Befehlen in Photoshop: Wie Adobes Flaggschiff enthält Gimp einen Maskierungsmodus, in dem der Benutzer mit den Zeichenwerkzeugen eine Maske auftragen oder verändern kann. Wie in Photoshop führt Gimp Buch über alle Arbeitsschritte und erlaubt via Journalpalette das Rückgängigmachen beliebig vieler Manipulationen am Bild. Gimp unterstützt Ebenen, Kanäle und Pfade. Öffnet man ein Bild im Photoshop-Format, werden die Ebenen übernommen.

Die Werkzeugpalette enthält Tools analog zu Photoshop – die Ikönchen der Bildmanipulationsutensilien ähneln sich praktischerweise, sodass man sich hier recht schnell zurechtfindet: Pfadwerkzeug, Verlauf, Klonstempel, Lupe, Zauberstab, Wischfinger, Textwerkzeug, ein Tool zum freien Transformieren, Lasso, Beschneiden-Werkzeug, Radiergummi, Pinsel, Buntstift – die Schöpfer von Gimp haben an alles gedacht.

Im Vergleich zu Photoshop sind einige Werkzeuge sogar benutzerfreundlicher ausgefallen: Oftmals unterstützt eine ohne weiteres Zutun erscheinende Palette die Arbeit mit einem Werkzeug: So taucht beim Drehen eine Box auf, in der man numerische Informationen über den Winkel und das Drehzen-trum erhält, die man gegebenenfalls pixelgenau anpassen kann. Ein paar Funktionen hat Gimp Photoshop sogar voraus: Ein Vermessungswerkzeug oder die äusserst intuitiv zu bedienende Funktion «Farben drehen», mit der sich Bildbereiche umfärben lassen.

Photoshop nicht verbannen

Trotz der unbestreitbaren Stärken von Gimp empfehlen wir nicht, Photoshop von der Festplatte zu verbannen. Neben den Eigenheiten in der Bedienung hat Gimp auch ein paar Mängel: So unterstützt der Pixeleditor aus dem Reich der Pinguine kein CMYK und kein Farbmanagement. Einsetzen lässt sich Gimp fürs Web-Design – zumal es auch Funktionen für animierte GIFs mitbringt. In der Druckvorstufe ist Gimp dagegen zu beschränkt. Noch, muss man sagen. Denn vielleicht ist bereits jetzt irgendwo ein enthusiastischer Verfechter der Open-Source-Ideologie dabei, eine CMYK-Unterstützung für Gimp zu programmieren. n

Zu finden im Downloadbereich von Publisher-online unter www.publisher.ch: gimp-setup-20000416.zip, 9098 kB

Quelle: Publisher, Dienstag, 1. August 2000

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Thema: Gimp: Photoshop-Konkurrent zum Nulltarif
Nr: 424
Ausgabe: 00-4
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