Windows 98, neu aufgegossen

Diese Woche kommt Windows Millennium auf den Markt. Die Software trägt den stolzen Namen zu Unrecht: Die Neuerungen sind praktisch, aber nicht revolutionär.

Von Matthias Schüssler

Windows Millennium oder kurz Windows ME ist der Nachfolger von Windows 98, dem Consumer-Betriebssystem von Microsoft. Morgen Dienstag stellt Microsoft es offiziell vor. Microsoft hat vor allem das Zubehör kräftig aufgestockt: Windows ME – gesprochen als «Mi» – enthält den wandlungsfähigen Media-Player 7 (siehe «Computer»-Bund vom 21. 8.), Spiele für kollektives Spielvergnügen via Internet und ein neues Systemwerkzeug zur Reparatur beschädigter Installationen. Die Systemarchitektur von Windows ME wurde nicht grundlegend verändert. Das aufdatierte System benötigt nach wie vor einen DOS-Kern. Erst mit der nächsten Version soll auch das Heim-Betriebssystem auf der stabileren und fortschrittlichen Windows-NT-Technologie aufsetzen, die im Moment nur Benützern des teuren und anspruchsvollen Windows 2000 zur Verfügung steht (s. Kasten). Immerhin ist DOS nicht mehr ganz so wichtig wie in früheren Systemen. Die ominösen Startdateien autoexec.bat und config.sys sind nicht mehr unabdingbar für einen gelungenen Start. Windows ME hält sich weniger lange mit den DOS-Funktionen auf, sondern wechselt schneller in den grafischen Modus. Dies wirkt sich positiv auf die Bootsgeschwindigkeit aus. Allerdings laufen deswegen Systemtools nicht mehr, die den Real-DOS-Modus benützen, so PowerQuests DriveImage.

Auf dem Desktop nichts Neues

Auch an der Oberfläche bleibt alles beim Alten, Microsoft hat lediglich Detailpflege betrieben: Explorer kann nun ohne Zusatzprogramm Archivdateien öffnen und erstellen. Komprimierte ZIP-Dateien erscheinen als Ordner im Dateibrowser – eine sinnvolle Ergänzung. Die mit Windows 98 eingeführte HTML-Ansicht im Explorer gelangt noch konsequenter zum Einsatz, um Systemdateien und -verzeichnisse zu verstecken. Auch das C:-Laufwerk enthüllt in der Web-Ansicht keine Dateien, bietet aber einen Hyperlink zum Dokumentenordner an. Ebenso die Systemsteuerung: Sie enthält in der Standardansicht nur wichtige und «ungefährliche» Optionen. Diese «Tarnung» trägt zur Systemsicherheit bei, denn die meisten Anwender brauchen Windows-Interna nicht zu Gesicht zu bekommen. Profis können die Web-Ansicht abschalten und haben dann ungehinderten Zugriff auf DLLs und Treiberdateien. Windows kann verloren gegangene Systemdateien automatisch wieder herstellen. System-Recovery reaktiviert bei Bedarf frühere Konfigurationszustände.

Chatten und spielen

Zugelegt hat Windows beim Multimedia- und Internetzubehör. Der neue Media-Player 7 ist integriert, ebenso Microsofts Messenger, mit dem Inhaber einer Hotmail-Adresse direkt mit anderen Hotmailern chatten können. Fünf neue Internetspiele (u. a. Dame, Backgammon und Hearts) erlauben es, über Microsofts Spiele-Server http://zone.msn.com gegen menschliche Gegner anzutreten. Leider kann man nicht im lokalen Netz nach Mitspielern suchen.

Besitzer einer digitalen Videokamera oder einer Webcam können mit MovieMaker Sequenzen aufzeichnen, montieren und nachbearbeiten – beispielsweise durch das Aufsprechen eines Kommentars oder Hinzufügen von Musik. Ausgeklügeltere Tricks beherrscht MovieMaker nicht: Das Vorbild von Apple, iMovie, läuft ihm allemal den Rang ab. MovieMaker kann die Clips für den Mailversand komprimieren. Dennoch bleibt zu hoffen, dass Nachwuchsregisseure die Verwandtschaft nur nach Anfrage mit selbst gedrehten Streifen beglücken. Trotz Komprimierung brauchen die bewegten Bilder viel Speicherplatz.

Der DVD-Player bleibt die Schwachstelle der Multimedia-Ausstattung: Er kann nur Filme wiedergeben, wenn eine Decoderkarte im System installiert ist. Wer eine Karte besitzt, braucht den Windows-DVD-Player jedoch nicht: Mit Decoderkarten werden Abspielprogramme mit mehr Funktionen geliefert.

Neu in Windows Millennium ist ein Assistent zum Einrichten eines kleinen Netzwerks, der Home Networking Wizard. Der Assistent installiert als Protokoll NetBEUI – wohl, weil dessen Konfiguration einfacher ist als die des inzwischen gebräuchlicheren Internetprotokolls TCP/IP. Auch Windows-95- und -98-Computer lassen sich in ein solches Heimnetz einbinden. Wie bereits in der zweiten Ausgabe Windows 98, der «second edition», können Computer im lokalen Netz sich eine Internetverbindung teilen. Laut Presse-Infos hat Microsoft den grössten Kritikpunkt beim Internet-sharing ausgeräumt: Nun hilft der Netzwerkassistent beim Einrichten.

Mit Windows 98 nicht von gestern

Das Update kann die Erwartungen nicht erfüllen, welche die Bezeichnung Millennium weckt. Die Neuerungen sind zwar praktisch und sinnvoll, alles in allem aber sehr bescheiden. Viele der neuen Programme gibt es gratis im Netz: Internetexplorer 5.5 lässt sich ebenso von www.microsoft.com herunterladen wie Media-Player 7 oder Microsoft-Messenger. Wer noch Windows 95 einsetzt, könnte die neue Version zum Anlass für ein Update nehmen. Windows-98-Benützer, die kein neues Multimedia-Zubehör benötigen, können bedenkenlos im letzten Windows-Jahrtausend verweilen. Das Update von Windows 98 kostet 128 Franken (der günstige Preis ist bis 15. 1. 2001 gültig), wer Windows 95 aufdatieren möchte, bezahlt 178 Franken.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 11. September 2000

Rubrik und Tags:

Faksimile

Metadaten
Thema: Hauptgeschichte Windows ME
Nr: 578
Ausgabe: 00-911
Anzahl Subthemen: 0

Obsolete Datenfelder
Bilder: 4
Textlänge: 900
Ort:
Tabb: FALSCH