Virtuelle Wälder auf simulierten Bergen

Wer «reif für die Insel» ist, kann mit Corel Bryce 5 sein eigenes Strandparadies entwerfen.

Von Matthias Schüssler

Bryce ist ein magisches, sogar ein gefährliches Stück Software: Es weckt den Spieltrieb und verleitet zum stundenlangen, gedankenverlorenen Experimentieren, selbst wenn der Redaktionsschluss näher rückt und noch keine Zeile der anstehenden Artikel geschrieben ist. Bryce ist ein «Landschaften-Modellierer», also ein 3-D-Grafikprogramm zur Gestaltung von Natursphären im Computer. Das Endprodukt sind fotorealistische Bilder oder Filmsequenzen, die kaum einen Unterschied zu Abbildungen real existierender Landschaften erkennen lassen.

Fraktale Bäume und Hügel

Künstlich gestaltete Landschaften wirken oft unglaubwürdig und steril, weil 3-D-Programme normalerweise mit einfachen geometrischen Objekten arbeiten. Die Natur hingegen lässt Landschaften nicht aus Quadern, Kugeln oder Rotationskörpern entstehen. Geologische Formationen, Felsenpartien, aber auch Pflanzen lassen sich mit fraktalen Beschreibungsmodellen realistisch abbilden. Bryce erzeugt so auf Knopfdruck eine zerklüftete Felsenlandschaft, sanft gewellte Hügelketten oder alpine Gebirgsformation – als virtueller Landschaftskonstrukteur kann man aus 30 vordefinierten Landschaftstypen wählen, die sich nachträglich durch «Erosion» oder «Abschmelzung» oder mit dem Anhebungs-/Absenkungswerkzeug gezielt verändern lassen.

Um die erstellte Landschaft mit der gewünschten Fauna zu begrünen, dürfen Bäume gepflanzt werden: Neu enthält Bryce ein so genanntes «Tree Lab», in dem aus 61 Baumarten gewählt werden kann – vom Apfelbaum bis zur Zeder gibt es mehr Baumsorten zu pflanzen, als ein durchschnittlicher Computeranwender beim Namen nennen könnte. Auch bei den Bäumen kann der Benutzer über verschiedene Schieberegler eingreifen, wenn der Baum besonders stattlich oder mickerig wirken soll. Um architektonische Akzente zu setzen, stehen geometrische Objekte zur Verfügung. Deren Oberfläche kann über verschiedene Eigenschaften (Reflexion, Transparenz), aber auch über Texturen (ein Material simulierendes Bild) gesteuert werden.

In einem nächsten Schritt ist die Atmosphäre zu bestimmen: die Farbe des Himmels, der Stand von Sonne oder Mond, der Grad der Bewölkung und ob Nebel oder Dunst vorherrscht. Danach ist das Rendern der Szenerie angesagt: Das bedeutet, dass der Computer die fotorealistische Ansicht in hoher Qualität erzeugt, die richtigen Licht- und Schattenverhältnisse und die Spiegelung von Bergen und Bäumen im Wasser berechnen muss. Dieser Vorgang kann je nach Geschwindigkeit des PCs und Komplexität der Landschaft mehrere Minuten oder sogar Stunden in Anspruch nehmen. Um aufwändige Berechnungen zu beschleunigen, kann die Arbeit über das Netzwerk auf mehrere Computer verteilt werden.

Die Insel lebt

Bryce kann nicht nur statische Bilder, sondern auch Sequenzen generieren. Dadurch entsteht ein Film, der beispielsweise einen Flug um die virtuelle Insel zeigt: Besonders verblüffend ist dieser Effekt, wenn im «Advanced Motion Lab» auch der Himmel animiert wird, sodass im Verlauf des Films die Bewölkung dichter wird und die Sonne untergeht.

Bryce unterstützt für den Export diverse 3-D-Formate, sodass sich die Objekte in Modellingprogrammen benützen lassen, die keine Funktionen für fraktale Landschaften beinhalten.

Bryce 5.0 ist die erste Version der Software, welche unter Corels Federführung erscheint. Die kanadische Softwarefirma hat das Produkt im April 2000 von dem amerikanischen Unternehmen MetaCreations übernommen.

Corel Bryce 5.0 für Windows oder Mac (Mac OS X wird unterstützt) ist demnächst in Englisch und ab August zum Preis von 549 Franken in Deutsch erhältlich.

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Tag: Ein «Eiland in der Sonne», wie es mit Bryce 5.0 entsteht.

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Nacht: Die gleiche Insel, mit anderen Umgebungseinstellungen.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 9. Juli 2001

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Thema: B&C
Nr: 3537
Ausgabe: 01-709
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