Geschäftstüchtiges Windows

Windows 2000 übernimmt zwar viele Eigenschaften des Heim-Betriebssystems Windows 98. Doch angepeilt werden vor allem die Geschäftskunden.

Von Matthias Schüssler

Bis letzten Donnerstag war die Rangordnung in der Windows-Welt klar: Geschäftsanwender installierten Windows NT, weil dieses Betriebssystem zuverlässig arbeitet, für Datensicherheit bürgt und Profifunktionen wie abgestufte Zugriffsrechte bereithält. Windows 98 dagegen gibt sich mit weniger Hardwareleistung zufrieden, verrichtet seinen Dienst auf jedem Heim-PC und ist erste Wahl für Multimedia und Spiele.

Seit letztem Donnerstag steht der NT-4-Nachfolger unter dem Namen Windows 2000 am Start und bringt die wohlgeordnete Windows-Welt durcheinander. Das neue System strotzt vor NT-untypischen Eigenschaften, die «nur» der Unterhaltung dienen und damit eigentlich in den Hoheitsbereich von Windows 98 fallen würden. Ist Windows 2000 wirklich das bessere Windows 98? Microsoft verneint und betont: «Alles bleibt beim Alten!» Der NT-Nachfolger ist weiterhin deklarierte Geschäftsplattform. Dennoch hat die geschäftstüchtige Firma pünktlich auf den Start des neuen Systems rund 14 Tonnen an Softwarepaketen zu den Einzelhändlern gekarrt – damit die Privatkunden den Windows-2000-Zug richtig schnell in Fahrt bringen.

Endlich auf der Höhe der Zeit

Zunächst macht das neue Betriebssystem eine Menge der Mankos von NT 4 wett. Aktuellere Technologien wie USB oder Infrarot-Kommunikation sind spurlos an Windows NT vorbeigegangen – wer eine Digitalkamera, einen Scanner oder CD-Brenner mit USB-Anschluss kauft, wird vom alten Windows im Regen stehen gelassen. Windows 2000 ist auf dem aktuellen Stand der Technik und verfügt zudem über eine ernst zu nehmende Hardwareerkennung. Dies vereinfacht die Installation neuer Geräte. Welche Hard- und Software sich mit Windows 2000 verträgt, kann auf der eigens eingerichteten Website http://www.windows2000.ch nachgeschlagen werden. Spiele werden dort allerdings nicht berücksichtigt.

Zentral für die breite Hardwareunterstützung ist ein neues Konzept, das es ermöglicht, Gerätetreiber – kleine Softwaremodule, die es dem Betriebssystem ermöglichen, mit der Hardware zu kommunizieren – sowohl unter Windows 2000 als auch unter Windows 98 zu verwenden. Der Grund für diese Annäherung der beiden Windowswelten ist in Microsofts Bestrebung zu suchen, das Heimanwender- und das Profi-Windows langfristig auf die gleiche Codebasis zu stellen und sich von DOS-Reliquien endlich zu verabschieden. Auch wenn dieses Ziel mit den aktuellen Microsoft-Strategieplänen wieder in eine ferne Zukunft rückt und auch der geplante Windows-98-Abkömmling (Windows Millennium) auf den DOS-Hinterlassenschaften aufsetzt, ist die Vereinheitlichung bei den Treibern eine wichtige Zwischenetappe.

Keine Spieleplattform

Neu soll sich Windows 2000 als Multimedia- und Spieleplattform profilieren – ganz im Gegensatz zum Vorgänger. Windows NT blockt jeden Versuch eines rasanten Actionspiels, mittels direkten Hardwarezugriffen oder ähnlichen Tricks die Leistung zu steigern, radikal ab. Daran wird sich auch mit Windows 2000 nichts ändern. Ältere DOS-Spiele, die sich die Freiheit nehmen, Grafikkarte und Soundsystem direkt anzusteuern, werden auch auf dem neuen System nicht laufen. Immerhin ist die Lage bei neuen Games rosiger: In Windows 2000 ist die aktuelle Version der microsoftschen Spieleschnittstelle eingebaut (ActiveX 7), was die Zahl der ausführbaren Spiele erhöht. Dennoch werden die Spieleschmiede auch weiterhin in erster Linie für Windows 98 entwickeln, weil ihnen dort weniger sicherheitsbezogene Einschränkungen das Leben erschweren. NT-Benutzer, die sich gewohnt sind, für ein zerstreuendes Spielchen kurz auf Windows 98 zu wechseln, werden diese Doppelstrategie beibehalten.

In Rekordzeit von 0 auf 100

Windows 2000 bricht in einen weiteren Bereich ein, in dem Windows 98 bisher die unbestrittene Vormachtstellung innehatte: ins Mobile-Computing. Windows NT 4 ist für den Einsatz in Notebooks absolut ungeeignet, da es keine Stromsparfunktionen mitbringt, solche aber für mobile Rechner unverzichtbar sind. Dieser Missstand wurde mit Windows 2000 behoben, indem das System mit entsprechender Funktionalität ausgestattet wurde. Besitzer moderner Notebooks werden den «Ruhezustand» zu schätzen wissen, eine Art Stand-by-Modus: Er sichert den gesamten Inhalt des Arbeitsspeichers auf die Festplatte und schaltet Komponenten wie Bildschirm und Harddisk aus. Nach einer Arbeitspause ist das Notebook sehr schnell wieder betriebsbereit, da das System nicht neu gestartet, sondern nur von der Festplatte reanimiert werden muss. Weil die Stromzufuhr komplett gekappt werden kann, ist der Energiebedarf geringer als im herkömmlichen Stand-by-Modus. Allerdings werden nur neueste Mobilrechner diesen Trick beherrschen.

Für Geschäftsleben und Power-User

Trotz der gelungenen Kür im Revier von Windows 98 liegen die wahren Stärken des Profisystems weiterhin in altgedienten NT-Tugenden. Microsoft investierte eine Menge Entwicklungszeit in die Sicherheit und Stabilität: Windows 2000 verbessert den Schutz gegen schlecht programmierte Anwendungen, bringt ein neues Dateisystem mit Verschlüsselung und kann Datenträger während des Betriebs zu einem virtuellen Laufwerk zusammenfassen. Alles Funktionen, die ein Heimbenutzer nicht benötigt, ihn aber eine Menge an Rechenleistung kosten. Arbeitsspeicher kann Windows 2000 kaum genug bekommen. 64 MB sind als Minimum anzusehen, besser sind 128 MB RAM. Damit macht auch Windows 2000 keine Ausnahme von der Regel, dass sich neue Betriebssystem-Versionen leistungshungriger geben als der Vorgänger. Viele vor allem ältere Rechner dürften den Systemanforderungen nicht gewachsen sein, was Speicher- und PC-Herstellern ein willkommenes Zusatzgeschäft bescheren wird. Und nicht zuletzt beim Preis von rund 600 Franken für eine Vollversion zeigt sich Windows 2000 als High-End-Betriebssystem.

Für den Einsatz im Büro, für Power-User und anspruchsvolle Heimanwender ist Microsofts Jüngstes dagegen interessant – wenigstens für diejenigen, die mit ihrem aktuellen Betriebssystem unzufrieden sind. Ohne dem Marktdruck nachzugeben, hat Microsoft sich viel Zeit fürs die neue Version gelassen. Das hat sich gelohnt: Windows 2000 ist ein Produkt, das nicht erst mit der «Second Edition» Alltagstauglichkeit erlangt.

In Japan wurde Windows 2000 wie der letzte Silvester gefeiert, während sich anderorts der Jubel in Grenzen hielt. BILD ERIKO SUGITA/REUTERS

In leicht modifiziertem Kleid erscheint Windows 2000. Die echten Neuerungen liegen unter der Oberfläche. SCREEN TA

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 21. Februar 2000

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Thema: Hauptgeschichte Windows 2000
Nr: 431
Ausgabe: 00-221
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