Nicht das Gelbe fürs File

Die Adobe File Utilities sind eine gutgemeinte Sache. Liest man die Beschreibung auf der Schachtel, keimt schnell die Hoffnung, das Leben werde einfacher und schöner dank Adobe. Die File Utilities scheinen fast alle Formate zu kennen, welche jemals der Schöpfungskraft von Computerprogrammierern entsprungen sind, so suggeriert eine ellenlange Liste auf der Verpackung. Vielleicht hat nun die babylonische Formatverwirrung ein Ende, denkt man sich, und träumt davon, wie angenehm das Erdendasein wäre, wenn jedes Programme plötzlich jede Datei öffnen könnte.

Macht man nach erfolgter Installation die Probe aufs Exempel, setzt schnell Ernüchterung ein. Die Konvertierung eines Winword-Dokuments nach HTML wird mit einer lapidaren Fehlermeldung verweigert. Die Umwandlung eines EPS in ein TIFF gelingt zwar, doch richtige Befriedigung will sich auch jetzt nicht einstellen. Das Programm hat stillschweigend den niedrigauflösenden, schwarzweissen TIFF-Preview verarbeitet, das eigentliche, farbenprächtige EPS jedoch schnöde links liegengelassen. Nun gut, diese Unverfrorenheit besitzen auch andere Programme (Hijack).

«Zu Risiken und Nebenwirkungen…»

Doch auch diese Nachsicht vergilt «Word for Word» – so heisst der Konverter im File Utilities Paket – auf unfeine Weise. Es klinkt sich nämlich in die Importfunktionen von Winword ein und führt Konvertierungsaktionen nun anstelle der Microsoft-Filter selbst aus. Mit mässigem Erfolg; ein simpler ANSI-Text, welcher von Winword fehlerfrei gelesen wurde, kommt nun verstümmelt daher. Aus Umlauten werden mathematische Operatoren und aus ausgeglichenen Computerbenützern nervliche Wracks. Ein Lichtblick immerhin: Dank dem einfachen Setup-Programm können die Winword-Filter mit einem Mausklick reanimiert werden.

Ein anderes Element aus dem File Utilities-Paket ist der Viewer. Nach der File-Utilities-Installation unter Win95 steht die Option «Schnellansicht» im Kontextmenü auch vielen neuen Dateitypen zur Verfügung. Doch wieso, so fragt man sich, sind PageMaker-Dateien nicht darunter? Gerade für diese wäre eine Schnellansicht doch äusserst praktisch! Auch dem «Schnell» im Wörtchen «Schnellansicht» wird das Programm nicht wirklich gerecht. Ein Rechtsklick auf eine JPEG-Grafik stürzt das Programm in eine schier endlose Lethargiephase, und wenn die echte 32-bit-Anwendung dann endlich seine Vorschau präsentiert, hat man dasselbe Bild mit dem drei Jahre alten Paintshop Pro schon zweimal auf- und wieder zugemacht.

Wenn man nüchtern und ohne übertriebene Hoffnung an die Sache herangeht, kann man den File Utilities schon etwas abgewinnen. Es ist schliesslich einleuchtend, dass sich beispielsweise eine JPEG-Datei nicht in ein Tabellenkalkulationsformat konvertieren lässt, auch wenn «Word for Word» diesen Anschein erweckt und erst nach dem Klick auf «Convert» darauf hinweist, dass diese Umwandlung nicht realisierbar ist. Hat man sich davon gelöst, die Lobpreisung auf der Schachtel – «The complete file access solution» – für bare Münze zu nehmen, kann das Programm gute Dienste leisten. Wer mit vielen verschiedenen exotischen Textverarbeitungsformaten zu tun hat, wird das Programm trotz allen Makeln schätzen – denn wer hat schon XyWrite oder Wiziword auf der Platte?

Quelle: Publisher, Sonntag, 1. Dezember 1996

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Thema: Adobe File Utilities
Nr: 112
Ausgabe: 96-4
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Tabb: FALSCH