Hettlingen: Die «sichere Zukunft in Freiheit» im Alleingang ist rosig

Christoph Blocher: «… dänn baued mir halt d Neat niid!»

Acht Monate nach dem EWR-Nein zieht Christoph Blocher wieder durchs Land, um aus seiner Sicht zu analysieren, wie die Schweiz im Alleingang bisher gefahren ist. «Die Chancen des Wirtschaftsstandortes Schweiz nach dem EWR-Nein» hiess die Veranstaltung der SVP Hettlingen, wo sich der charismatische Politiker deutlich gegen EG-Forderungen bezüglich 40-Tönner und Freizügigkeit aussprach und die zahlreich erschienenen Fans zum Kampf gegen die EWR-Vorlage Nummer zwei aufrief.

(msc) Was Christoph Blocher unter «Volksnähe» versteht, könnte für andere – auch «andersfarbige» – Politiker durchaus Vorbild sein. Wenn Plakate den Vortrag des SVP-Chefs ankündigen, dann ist von Desinteresse an politischen Belangen oder gar von Politikverdrossenheit nichts zu spüren, dann strömen die Leute und füllen die Hettlinger Mehrzweckhalle im Handumdrehen.

Seinen Referat eröffnete Unternehmer und Nationalrat Blocher mit einem Schnellkurs in Volkswirtschaftslehre: «Rezessionen hat es immer gegeben, das muss so sein in der freien Marktwirtschaft». Und genau so zwangsläufig, wie Rezessionen kommen, gehen sie auch wieder vorbei: «In zwei bis drei Jahren wird’s besser», tröstete er die aufmerksam lauschende Zuhörerschaft. Von Schlagworten wie «Strukturkrise» oder «Sockelarbeitslosigkeit» gab er sich unbeeindruckt: «Es gehört zu einer Polikerrede, dass solche Worte drin vorkommen.» Dass die Arbeitslosigkeit im Vergleich zu früheren Rezessionen höher ist, liege am hohen Ausländeranteil – von den 18% Ausländer der Schweizer Bevölkerung seien 40% arbeitslos – und daran, dass diese nicht wie in den siebziger Jahren «nach Hause gingen».

Neutralität und Unabhängigkeit

Nach der allgemeinen Einleitung ging der AUNS-Präsident daran, die Entwicklungen seit dem Nein vom 6. Dezember 1992 nach vorteilhaften und gegenteiligen Entwicklungen aufzuschlüsseln. Als äusserst erfreulich habe er die Reaktionen der ausländischen Wirtschaft erfahren. Entgegen allen Voraussagen der EWR-Befürworter habe die Zürcher Börse am 7. Dezember einen starken ausländischen Andrang erfahren, der bis heute anhalte. Die Schweiz sei seit jenem Datum eine Zinsinsel mit zwei Prozent Differenz zu Deutschland. «Und der faktische Zusammenbruch des Europäischen Währungssystems EWS beweist, dass die EG eine Fehlkonstruktion ist» – deshalb vertraue man dem EG-unabhängigen Zins und Währungssystem der Schweiz. Entlassungen, die in der Presse als Folge vom EWR-Nein geschildert werden, lässt Blocher nicht gelten: «Ich kenne keine Firma, die wegen dem Nein hätte Arbeitsplätze exportieren müssen – aber das Nein war natürlich ein hervorragender Vorwand für sowieso fällige Entlassungen.» Dasselbe gelte für Produktionsverlegungen ins Ausland. «Aber es kamen Firmen, die auf der Flucht von den Bürokraten in Brüssel sind, in die Schweiz». Beispiele sind General Motors und Philipp Morris.

Das Hauptproblem Staatsverschuldung

Mit den Verhandlungsproblemen bei den bilateralen Abkommen mit der EG, und den da aufgetauchten neuen Forderungen – Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus dem EW-Raum und, just zum Baubeginn der Neat, freie Fahrt für 40 Tönner hielt sich Christoph Blocher nur kurz auf: «Da sieht man, wie mit einem kleinen Land umgesprungen wird!» Die Situation sei aber nicht alarmierend. Wenn jemand etwas fordere, das man nicht geben könne, dann sage man Nein – eventuell auch zur Neat, wenn dieses Angebot nicht gewürdigt werde. Die Auswirkungen seien nicht gravierend: Die Forschungsprojekte zusammen mit der EG seien sowieso meist fruchtlos und die Länderrechte für die Swissair nicht überlebensnotwendig.

Als Fazit zog Christoph Blocher für den Wirtschaftsstandort Schweiz eine positive Bilanz – mit einer Ausnahme: die Staatsverschuldung. Hier befürwortet er einen sofortigen Notbeschluss, der keine Parlamentsentscheide mehr zulässt, die etwas kosten. Dann müsse das Budget radikal nach Sparmöglichkeiten durchforstet werden, Steuererhöhungen dürfe es dagegen nicht geben.

Fragen des Publikums: EWR-Abstimmung II

Die Fragen des Publikums – bei Christoph Blocher wird gefragt und nicht diskutiert, das musste auch schon Studer von der SBG feststellen – drehten sich hauptsächlich um die Initiative, welche eine zweite EWR-Abstimmung verlangt. Blocher bezeichnete diese als «Zwängerei» und rief die Anwesenden auf, schon jetzt aktiv zu werden, namentlich mit einem Beitritt zur AUNS. Über Fragen zur Landwirtschaftspolitik und die Gatt-Verhandlungen wollte Blocher mit dem Hinweis auf die zu knappe Zeit nicht näher eingehen. Die weiteren Fragen betrafen die Mehrwertsteuer, der Blocher wegen dem Wegfall der «tax occulte» zustimmt, die Vorgänge im ehemaligen Ostblock, insbesondere die dadurch ausgelösten Asylströme, die Rekordgewinne der Banken, eine scheinbar erwünschte Kandidatur Blochers als Bundesrat, das Vertrauen in die Politiker und – last but not least – die Vermutung, die EG sei ein von Freimaurern unterwandertes Gebilde.

Quelle: Der Landbote, Dienstag, 28. September 1993

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Thema: Christoph Blocher
Nr: 47
Ausgabe: 93-224
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