Unglaublich schnell, aber auch sehr teuer

5G ist der kommende Standard für die mobile Datenübertragung. Er soll den Weg ebnen für das Internet der Dinge, Virtual Reality und selbstlenkende Autos. Doch die technischen Hürden sind enorm.

Matthias Schüssler

Der nächste Standard für die Datenübertragung auf den Mobilfunknetzen, 5G, wird derzeit endgültig ausgearbeitet und in ersten Feldversuchen getestet. Der Standard – der vielmehr eine Sammlung von mehreren technischen Normen ist – wird ab dem Jahr 2020 zum Einsatz kommen. Das zumindest ist der Plan der Allianz aus Netzbetreibern, Herstellern und Forschern, die 5G propagiert.

5G klingt nach einer graduellen Verbesserung des aktuellen 4G-Standards. Weit gefehlt: Das Tech-Magazin «Heise. de» spricht von einem «Etikett für grosse Marketingträume». Der Telecomchef Tim Höttges hält 5G demnach für einen «Enabler»: eine Türöffner-Technologie für alles, was die digitale Welt bewegt – selbstlenkende Autos, Virtual Reality und das Internet der Dinge.

Die Swisscom treibt die Einführung in der Schweiz voran. Mit Ericsson und der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) als Forschungspartner hat der Mobilfunkanbieter das Programm «5G for Switzerland» gestartet. Ziel ist, zusammen mit Industriepartnern Pilotprojekte durchzuführen. Versuche laufen mit dem Burgdorfer Medizintechnikunternehmen Ypsomed, Ergebnisse sind noch nicht spruchreif.

Bei Salt und Sunrise wartet man noch ab: «Sobald bezüglich des Ökosystems – Frequenzbänder, Geräte, Fernmeldesysteme – eine gewisse Marktreife vorhanden ist, wird Salt über einen genauen Fahrplan zur Markteinführung entscheiden», teilt Mediensprecher Benjamin Petrzilka mit.

Therese Wenger von Sunrise verweist auf die enge Partnerschaft mit Ausrüster Huawei, der jährlich um die 11 Milliarden Franken in die Forschung und Entwicklung investiere. «5G ist ein Thema bei uns», sagt Wenger. «Wenn nach der Verabschiedung des Standards die Verfügbarkeit von Netzwerkequipment und Endgeräten geklärt ist, können konkretere Angaben zur geplanten Einführung gemacht werden.»

Swisscom will 2020 starten

Die Swisscom rechnet damit, 2020 mit 5G starten zu können. Mediensprecherin Sabrina Hubacher sagt auf Anfrage: «Wir gehen derzeit davon aus, dass 2019 die Standardisierung abgeschlossen sein wird.» Danach soll es Feldversuche und eine zügige Einführung geben. An der Standardisierung arbeitet die Swisscom nicht direkt mit, ausgearbeitet wird sie vom 3rd Generation Partnership Project (3-GPP). «Doch die Resultate der Zusammenarbeit zwischen Ypsomed, Swisscom, Ericsson und der EPFL sollen in die Standardisierung von 5G einfliessen», sagt Hubacher. Gründe, die noch nicht einmal zehn Jahre alte vierte Mobilfunkgeneration zu erweitern, gibt es laut der Swisscom-Sprecherin viele: «Mit 5G soll einerseits das stark steigende Datenvolumen bedient werden können, und andererseits sollen neue Anwendungen ermöglicht werden.» Hubacher nennt auch die Schlagworte Smart Transportation, automatisierte Verkehrsleitsysteme und Smart Grid – also das intelligente Stromnetz, das selbst auf Schwankungen in der Versorgung und bei der Nachfrage reagiert.

Die fünfte Mobilfunkgeneration ist zu einem eigentlichen Hoffnungsträger avanciert, weil sie rasante Datenübertragungen auch bei einem stark ausgelasteten Netz möglich macht. In einem Testversuch haben Ausrüster Ericsson und US-Mobilfunkanbieter Verizon aus einem fahrenden Auto eine Verbindungsgeschwindigkeit von 6,4 Gigabit pro Sekunde erzielt. Das ist ein Vielfaches davon, was man als Privatanwender heute von seinem Glasfaseranschluss erwarten kann.

Doch nicht nur das Tempo ist rasant. Die neue Technik weist auch eine geringe Latenz aus: Daten kommen nach viel kürzerer Zeit am Ziel an, als das bislang der Fall ist. Das ermöglicht es beispielsweise, ein Fahrzeug aus der Ferne per Virtual-Reality-Brille zu steuern.

Individualisierte «Tagesschau»

Doch auch bei weniger spektakulären Anwendungen machen diese technischen Merkmale neue Dinge möglich. Deutsche Rundfunkanstalten, namentlich der Bayerische Rundfunk und der Südwestrundfunk, haben sich in die Standardisierung eingeschaltet. Sie erhoffen sich eine nahtlose Verbindung von live gesendeten Programmen mit Inhalten aus der Mediathek. So könnte die «Tagesschau» je nach Publikumsinteresse andere Beiträge einstreuen.

Technisch ist das eine Herausforderung. Eine neue Funktechnologie braucht Platz in den Frequenzbändern – und 5G braucht viel Platz. Dieses sogenannte Spektrum muss frei gemacht werden. Und die Branche hat nun zu eruieren, welche Bänder sich überhaupt dafür eignen.

Höhere Frequenzen ermöglichen zwar höhere Datenkapazitäten, doch sie sind anfällig für Störungen und haben eine kleine Reichweite. In den USA gibt es Versuche im Millimeterwellenbereich. Die Mobilfunkbetreiber in Europa versprechen sich mehr von jenen Bändern, die auch von WLAN benutzt werden. Würde man die hohen Bereiche verwenden wollen, brauchte es anstelle von grossen Antennentürmen viele kleine Funkzellen, die mit Geräten in der Grösse eines Heimrouters bedient werden. Ein noch engmaschigeres Netz dürfte politisch umstritten sein und auch hohe Kosten verursachen.

Doch so oder so dürfte es teuer werden. Zur Erinnerung: 2012 mussten die drei Schweizer Telecomanbieter bei der Versteigerung der LTE-Frequenzen durch den Bund fast eine Milliarde Franken lockermachen.

Das nächste Mobilfunknetz wird auch bei der Sicherheit aufstocken. Im Internet der Dinge werden künftig Millionen von Kleinstgeräten online gehen, von denen viele ohne Zweifel eklatante Sicherheitslücken haben werden. Darum muss das Netz sich auch selbst schützen können.

Braucht es für 5G keine grossen Antennentürme mehr? Noch sind viele Fragen offen. Foto: Christian Beutler (Keystone)

Entwicklung der Standards

1G

Mobiltelefone funken analog und unverschlüsselt. Datenübertragung ist möglich, aber kaum verbreitet. Die PTT baut ab 1975 das mobile Netz auf und prägt den legendären, aber vor kurzem beerdigten Begriff Natel (Nationales Autotelefon).

2G

Ab 1993 wird der Mobilfunk digital. 2G ist nach Zählung der PTT das vierte Netz: Natel D heisst es. Die Übertragungstechnik selbst ist GSM und ermöglicht auch Textnachrichten. SMS ist für die Telecomanbieter eine Goldgrube. Internetzugang wird ab 1995 zum Thema. Die Verbindungsgeschwindigkeit ist so langsam, dass ein spezielles Protokoll entsteht: WAP überträgt abgespeckte, für winzige Handydisplays optimierte Websites.

3G

UMTS startet nach Verzögerungen im Sommer 2004. Die Swisscom verkauft anfänglich kein UMTS-Handy, sondern Modemkarten für den Laptop. Mit 384 kbps verzehnfacht sich die Datenrate. Schub verleiht das zweite iPhone von 2008, das wegen seiner Internetfähigkeiten iPhone 3G heisst.

4G

Die Swisscom testet die neue LTE-Technik ab 2011 und nimmt sie im November 2012 in Betrieb. Das mobile Surftempo erreicht jetzt das Niveau des heimischen Internetanschlusses. (schü.)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 31. Mai 2017

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