Auf dem Friedhof der gescheiterten Techprojekte

Homepod und Co. Techkonzerne lieben es, mit viel Pomp ihre neuen Produkte zu lancieren. Wenn ein Flop eingestellt wird, gibt es hingegen nur dürre Pressemeldungen und Spekulationen über die Gründe. Die spektakulärsten Beispiele.

Matthias Schüssler

— Nicht ganz unerwartet verstorben: Stadia

Letzte Woche hat Google seinem Videogame-Dienst Stadia den Stecker gezogen. Stadia war erst 2019 eingeführt worden und sollte das Gamen revolutionieren. Die Nutzerinnen und Nutzer brauchen keine leistungsfähigen Konsolen oder hochgezüchtete Game-PCs. Der Trick ist, dass die Titel im Rechenzentrum des Betreibers laufen und nur die Grafik und der Ton übertragen werden. Darum ist auch ein Smartphone, ein Tablet oder ein alter Laptop dem Vergnügen gewachsen. Bei Stadia war neben der monatlichen Abogebühr der Kauf eines Controllers zum Steuern der Spiele notwendig.

Das Aus für Stadia kommt nicht überraschend: Schon im Februar 2021 schloss Google die eigens gegründeten Spielestudios in Montreal und Los Angeles. Zwar beteuerte der Konzern, es gehe weiter, und Dritthersteller würden mit ihren Titeln in die nun entstandene Lücke springen. Doch viele haben das als erlahmendes Interesse von Google an dem noch jungen Angebot interpretiert.

Das Techmagazin «Venture Beat» erteilte Google im Februar 2021 den Rat, auszusteigen, weil die Erfolgsaussichten fehlten: «Stadia ist ein Opfer von schlechtem Timing und halbherziger Planung.» Die Konkurrenz, namentlich Microsoft mit seinem Xbox-Cloud-Streamingdienst für Games, war besser aufgestellt.

Der Suchmaschinengigant hat für seine Verhältnisse erstaunlich lang zugewartet. Normalerweise werden Experimente schnell und unbarmherzig abgeklemmt, wenn sie nicht die Erwartungen erfüllen. Ob Google Buzz, ein Konkurrent zu Twitter, die virtuelle Onlinewelt Google Lively oder Wave, eine Kombination aus E-Mail und Chat, die aus heutiger Sicht mit einer geschäftlichen Kommunikationslösung wie Slack zu vergleichen wäre: Keines dieser Produkte war länger als anderthalb Jahre am Netz.

Stadia läuft noch bis zum 18. Januar 2023 weiter, dann werden die Server abgeschaltet. Die Controller, Spiele und Add-ons, die die Nutzerinnen und Nutzer gekauft haben, werden rückvergütet. Die Controller selbst sind nicht mehr weiterzuverwenden, weil sie nur mit Stadia funktionieren. Doch der Konzern hätte die Möglichkeit, die Controller durch ein Update zu öffnen und einen Berg an unnötigem Elektroschrott zu vermeiden. Das Techmagazin «Ars Technica» hat Google denn auch bereits an sein Bekenntnis zu einer Kreislaufwirtschaft erinnert, das nicht zu einer so unnützen Verschwendung passen würde.

— Noch immer ein Rätsel: Warum hat Apple den Homepod gekillt?

Im März 2021 hat Apple den Homepod eingestellt. Das hat viele überrascht: Der vernetzte Lautsprecher war zwar kein durchschlagender Erfolg, hatte aber seine Nische gefunden – so schien es wenigstens. Doch die Konkurrenz kam mit kleineren und billigeren Lautsprechern besser an. So war es ein Mix von Faktoren, der gemäss «Macwelt» das unrühmliche Ende herbeigeführt hat: Der Preis war zu hoch, der Klang in dieser Kategorie nicht gut genug, die Unterstützung für Streamingdienste zu eingeschränkt und Siri als digitale Assistentin fürs Wohnzimmer nicht intelligent genug.

Das Ende des ursprünglichen Homepods hat den Weg für den Homepod Mini geebnet. Die kleinere und günstigere Variante hat es dem Konzern erlaubt, den Marktanteil bei den Smartspeakern im letzten Jahr zu verdoppeln.

Apple hat im Mai 2022 auch den letzten iPod eingestellt. Das war nicht im eigentlichen Sinn eine Überraschung, da es sich beim iPod Touch um ein iPhone handelte, mit dem man nicht telefonieren kann, und der letzte klassische iPod schon 2017 vom Markt genommen worden war. Andererseits war der iPod Touch ein beliebtes Gerät für Kinder, das nach wie vor gut ins Gerätesortiment gepasst hätte.

— Warum zieht Microsoft seine Tastatur so rabiat aus dem Verkehr?

Microsoft ist normalerweise vorbildlich: Der Konzern hat eine Richtlinie zu den Lebenszyklen seiner Produkte, in der genau festgehalten wird, wie lange Produkte und Produktversionen unterstützt werden. Darum wissen wir, dass Windows 10 noch bis zum 14. Oktober 2025 offiziell benutzt werden kann.

Aber auch bei Microsoft werden Produkte manchmal völlig überraschend aus dem Verkehr gezogen. Letzte Woche hat das Unternehmen mitgeteilt, die Swiftkey-App aus dem App Store fürs iPhone entfernen zu wollen. Sie wird bereits ab dem 5. Oktober nicht mehr verfügbar sein – wer sie schon installiert hat, kann sie aber weiter benutzen. Und auch auf Android soll es die App vorerst weiterhin geben.

Swiftkey ist eine virtuelle Tastatur, die anstelle der Standardtastatur von Apple verwendet werden kann. Sie hat die Texteingabe mit Wischen statt Tippen ermöglicht, noch bevor Apple selbst diese Methode angeboten hat. Sie lernt schnell und hat einige praktische Zusatzfunktionen, etwa die häufig verwendeten Textphrasen, die sich über ein Auswahlmenü einfügen lassen.

Die Tastatur wurde mehr als 300 Millionen Mal installiert und ist ein echter Hit. Warum wird sie trotzdem so unzeremoniell aufs Altenteil geschickt? Da Microsoft keine Gründe nennt, bleiben nur die Spekulationen. Es ist naheliegend, zu vermuten, dass Microsoft mit Apples rigider Kontrolle der eigenen Plattform unzufrieden ist. Das zeigt sich auch bei Windows: Die Smartphone-Link-App, die den Datenaustausch zwischen PC und Handy ermöglichen soll, kam ursprünglich auch mit dem iPhone zurecht. Inzwischen kooperiert sie nur noch mit Android-Telefonen.

— Der Internet Explorer – und andere überfällige Terminierungen

Manche Produkte verschwinden nicht zu früh, sondern halten sich viel länger, als man es erwarten würde. Microsofts altehrwürdiger Browser, der Internet Explorer, ist erst vor kurzem, nämlich am 15. Juni 2022, endgültig und unwiderruflich eingestellt worden. Microsoft hat das mit einem «Retirement Announcement» begleitet – wie es sich für ein Softwareprodukt gehört, das in einer schnelllebigen Zeit geschlagene 27 Jahre überleben konnte.

Wobei: Ganz tot ist der Internet Explorer auch heute nicht: Es gibt eine Handvoll Windows-Versionen, mit denen er weiter benutzt werden kann. Das sind etliche Servervarianten des Betriebssystems und die auf Update-losen Dauerbetrieb ausgelegte LTSB-Version. Damit bleibt dieser Browser ein Phänomen – so wenig geliebt und fehleranfällig er war, so unzerstörbar ist er geblieben.

Unrühmliches Ende: Apples Homepod. Fotos: PD

Gescheiterte Revolution: Der Controller für Stadia.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 5. Oktober 2022

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