Digitale Überwachung

Hört das Smartphone wirklich mit?

Immer wieder taucht das Gerücht auf, Facebook und womöglich auch Google würden Smartphone-Nutzer abhören, um ihnen hinterher passende Werbung zu servieren. Wie plausibel ist das?

Matthias Schüssler

Sollte man das Handy besser ausser Hörweite platzieren? Das legen Erzählungen über angeblich abgehörte persönliche Gespräche nahe.

Sie sprechen mit Ihrer besten Freundin über geplante Ferien in Spanien – und zwei Tage später sehen Sie auf Facebook Werbung für Hotels auf Mallorca. Geht das mit rechten Dingen zu? Oder hat Facebook heimlich zugehört? Zuzutrauen wäre es den Konzernen, zumindest aus technischer Sicht. Denn mit den Mitteln der Spracherkennung wäre es möglich, Interessen aus den Aufnahmen herauszufiltern, die sich mittels Werbung adressieren lassen.

Die Frage, ob das tatsächlich geschieht, taucht immer wieder auf. Viele Besitzerinnen und Besitzer von smarten Geräten sind verunsichert – zumal viele Leute solche Erlebnisse hatten oder jemanden kennen, der von einer solchen Begebenheit erzählt. Was tatsächlich Sache ist, wissen nur die Konzerne. Bislang hat niemand nachgewiesen, dass solche Abhöraktionen stattfinden – und der Beweis, dass sie nicht stattfinden, wäre nur möglich, wenn die Techkonzerne den Programmcode ihrer Apps offenlegen würden.

Doch die denken nicht daran. Darum führen wir hier den Indizienbeweis, warum das Mitlauschen zwar möglich, aber unwahrscheinlich ist.

Es ist illegal

Daniela Wittwer ist Kommunikationsexpertin beim eidgenössischen Datenschützer. Sie teilt auf Anfrage mit, dass auch ihnen keine Hinweise vorliegen, dass Apps mitlauschen. Und sie sagt klar: «Dies wäre ohne entsprechende Information und Einwilligung der Betroffenen nicht nur ein Verstoss gegen Datenschutzbestimmungen, sondern könnte auch strafrechtlich relevant sein. Würden die Konzerne tatsächlich ohne Information der Nutzer Gespräche aufzeichnen oder abhören und gar die Daten an Dritte weitergeben, würden sie gegen mehrere geltende Gesetze verstossen.»

Das Risiko wäre riesig

Erinnern wir uns an den Skandal um die digitalen Assistenten 2019: Damals kam heraus, dass Amazon, Apple und Google unter Umständen Aufnahmen an die Hersteller übermittelt hatten, die dort transkribiert und analysiert worden waren. Diese Aufnahmen waren maximal 30 Sekunden lang und sollten den Entwicklern helfen, zu verstehen, warum Amazon Echo, Siri und Google Assistant manchmal fälschlicherweise in Aktion treten.

Hören Google und Facebook heimlich mit, um uns mit Werbung zu bombardieren? Die kurze Antwort im Video.
Video: Rafael Zeier

Doch wie Whistleblower öffentlich machten, haben die Aufnahmen mitunter auch sehr Privates preisgegeben. Die Hersteller mussten sofort einlenken und Besserung geloben. Trotzdem wurde das Vertrauen nachhaltig erschüttert. Wenn ein Techkonzern uns systematisch abhören würde, wäre der Skandal viel grösser und würde Klagen, Untersuchungen, Strafen und einen Nutzer-Exodus nach sich ziehen.

Der Lautsprecher als Spion: 2019 wurde aufgedeckt, dass digitale Assistenten Aufnahmen ohne Zustimmung an die Hersteller übermittelt hatten.

Die Spuren liessen sich nicht komplett verwischen

Gespräche mitzuschneiden und auf interessante Stichworte hin zu analysieren, bedeutet einen technischen Aufwand: Entweder werden die Aufnahmen an die Cloud übermittelt, oder es findet eine Sprachanalyse auf dem Gerät statt. Ersteres verursacht einen relativ grossen Datenverkehr, Zweiteres belastet den Prozessor und den Akku. Solche Vorgänge würden auffallen und das Interesse von Experten wecken.

Es kommt hinzu, dass moderne Betriebssysteme anzeigen, wenn das Mikrofon in Verwendung ist: Windows signalisiert das durch ein Icon in der Taskleiste, das iPhone durch einen orangen Punkt in der Statusleiste. Eine lauschende App müsste diese Hinweise unterdrücken. Das geht nur durch Ausnützen von Sicherheitslücken, sodass eine solche App als Schadsoftware und die Aktion als Cyberkriminalität einzustufen wäre. Die Hersteller der Betriebssysteme würden das mitbekommen und nicht tolerieren.

Viele Fälle lassen sich mit dem Zufall erklären

Viele der kolportierten Fälle sind, nüchtern betrachtet, nicht spektakulär. Das zeigte ein Experiment des Westdeutschen Rundfunks WDR, das nachgewiesen hat, dass bei Facebook tatsächlich Werbung zu bestimmten Themen aufgetaucht ist, über die die Probanden zuvor sprachen. Aber liegt es nicht auf der Hand, dass die Werbung für Ferienreisen genau in der Zeit intensiviert wird, wenn wir anfangen, Pläne für die Sommerferien zu schmieden?

Abgesehen davon: Wie oft ist es passiert, dass wir Werbung für Feriendestinationen gesehen haben, die uns nicht interessieren? Das kommt ständig vor, aber diese Fälle nehmen wir kaum wahr, weil nur die Treffer ins Schwarze in Erinnerung bleiben.

Die Datensammler sind geduldig

Unterschätzt wird die Geduld der Datensammler: Sie lassen über Wochen und Monate unzählige Datenpunkte in die Profile einfliessen, die sie von uns erstellen. Wie detailliert, zutreffend und gelegentlich auch inkorrekt das ist, lässt sich für Google unter adssettings.google.com einsehen: Dort treffen Sie nicht nur die Einstellungen zur personalisierten Werbung, sondern sehen auch, welche Interessen Google bei Ihnen vermutet.

Sie werden (wahrscheinlich) überrascht sein, wie viele das sind – und es dürften auch einige Fehleinschätzungen in der Liste auftauchen. Aber vermutlich werden Sie kein Thema vorfinden, bei dem Sie garantiert sicher sein können, dass Sie noch nie danach gegoogelt haben. Denn während wir uns nicht an jede Webrecherche erinnern können, werden die bei den Techkonzernen minutiös festgehalten.

In dieser Liste steht, was Google über den Autor zu wissen glaubt. Vieles davon stimmt, doch bei erstaunlich vielen Punkten hat sich Google verhauen: Bildungsgrad und Elternstatus sind falsch, das Interesse für Fahrzeuge und Heimwerken ist marginal, und Haustiere sind nicht vorhanden.

Soziale Netzwerke bewerben nicht Einzelpersonen, sondern Gruppen

Es kann tatsächlich sein, dass Sie Werbung für ein Produkt erhalten, zu dem Sie selbst keine Websuche durchgeführt haben. Ein solcher Vorfall lässt sich erklären, wenn wir annehmen, dass Facebook uns nicht als Einzelpersonen bewirbt, sondern zusammen mit Freundinnen und Freunden als Gruppe.

Ein hypothetisches Beispiel: Alina interessiert sich aus unerfindlichen Gründen plötzlich für Haikus, die Kunstform der japanischen Kurzgedichte. Begeistert schwärmt sie bei einem Strawberry-&-Cream-Frappuccino ihrem Freund Ben von ihrem neuen Hobby vor. Ben findet diese Haikus schräg genug, dass er während der Yogastunde seiner Freundin Chiara davon erzählt.

Weil alle drei auch online miteinander befreundet sind und vom Facebook-Algorithmus dem gleichen Dunstkreis zugerechnet werden, kommt Facebook auf die Idee, Chiara eine Werbung zu einem dreiwöchigen Haiku-Kurs in Yokohama anzuzeigen, bei dem auch japanische Kalligrafie gelehrt wird. Und voilà: Chiara sieht Werbung zu einem Thema, das sie nur aus einem Offline-Gespräch mit Ben kennt.

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 11. Mai 2022

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