Surfen wir bald nur noch mit 5G?

Internet Der neue Mobilfunkstandard ist schneller als der Glasfaseranschluss zu Hause. Da stellt sich die Frage, ob es letzteren überhaupt noch braucht. Bereits heute ist es möglich, nur noch über das Mobilnetz zu surfen.

Matthias Schüssler

5G ist zu einem Hoffnungsträger avanciert. Die nächste Mobilfunkgeneration soll als Wegbereiter für allerlei Tech-Träume dienen: Die virtuelle Realität, selbstlenkende Autos, E-Health und das intelligente Stromnetz werden einen gehörigen Schub erfahren, sobald dieses Jahr die ersten 5G-Netze aufgeschaltet werden – so lauten die Versprechen der Branche.

5G macht das mobile Internet sehr schnell – noch schneller als ein Glasfaseranschluss direkt in der Wohnung, im Haus oder im Büro, dem bislang schnellstmöglichen Weg ins Internet. Da stellt sich die Frage: Braucht es den Anschluss zu Hause noch? Oder reicht es, wenn man das schnelle Mobilfunknetz mit einem möglichst unlimitierten Datenvolumen zur Verfügung hat? Das Sparpotenzial ist offensichtlich: Ohne den fest verlegten Internetanschluss fällt eine monatliche Rechnung weg, und man braucht sich keine Gedanken um die Internetinfrastruktur im eigenen Domizil zu machen.

WLAN per Handy-Hotspot

Kostenbewusste Internetnutzer, zum Beispiel Studenten, praktizieren das bereits heute, denn es ist auch derzeit schon einfach, den Internetzugang des Mobiltelefons mit anderen Geräten zu nutzen. Das iPhone stellt den persönlichen Hotspot bereit, mit dem sich Laptops, smarte Fernseher oder Spielkonsolen mit dem WLAN des Telefons verbinden und dessen Internetzugang verwenden. Auch bei Android-Telefonen gibt es diese Möglichkeit. Dort heisst sie Tethering, mobiler Hotspot oder etwas in der Art.

Das ist indes nur eine behelfsmässige Lösung, die sich für den Dauereinsatz nicht so richtig eignet: Der Akku des Mobilgeräts wird schnell leer, und wenn der Besitzer sein Telefon mitnimmt, ist auch das Internet weg.

«Glasfaser durch die Luft»

Für dauerhaftere Lösungen gibt es Router zum Beispiel von Fritzbox, die genauso funktionieren wie die Pendants für ADSL, Glasfaser oder TV-Kabel – mit dem Unterschied, dass sie das Datennetz eines Mobilfunkanbieters nutzen. Das ist auch mit dem Vorgänger von 5G, dem LT-Eoder 4G-Standard, schon ordentlich schnell. Allerdings braucht es dabei den richtigen Mobilfunkvertrag, der zwei Bedingungen erfüllt: Erstens sollte eine Multi-SIM-Option vorhanden sein. Das bedeutet, dass man mehrere SIM-Karten erhält und eine davon eigens für den Router verwenden kann.

Zweitens benötigt man ein unbeschränktes Datenvolumen: Denn das typische Kontingent eines beschränkten Vertrags reicht nicht gerade weit, wenn mehrere Leute den Internetzugang nutzen. Schon ein Betriebssystem-Update ist normalerweise mehrere Gigabytes gross und kann die Limite sprengen. Das würde dazu führen, dass der Zugang gedrosselt wird oder dass nachgezahlt werden muss.

Bei der Unterstützung solcher Lösungen unterscheiden sich die Schweizer Mobilfunkanbieter. Sunrise propagiert die «Glasfaser durch die Luft». Mit 5G liessen sich in der ersten Phase vor allem ländliche Gebiete mit Hochbreitband-Internet erschliessen, sagt Mediensprecher Rolf Ziebold. Der Mobilfunkanbieter hat Router wie den Sunrise 4G+ WiFi Tower im Angebot, der für die Internetversorgung zu Hause gedacht ist.

Sunrise sieht vor, dass die Serviceleistung «im Einzelfall depriorisiert» wird, wenn die Nutzung an einem Ort dazu führt, dass die Qualität für die anderen Kunden leidet. Das könne zu einer Temporeduktion führen. Die Hürden für diese Bremse lägen aber hoch, betont Rolf Ziebold: «Nebst einer eingeschränkten Antennenkapazität sind Datenaufkommen von bis zu 500 GB und mehr im Schnitt von drei Monaten erforderlich.»

Auch Konkurrent Salt hat eine Internetbox für unlimitierten Internetzugang über 4G im Angebot. Mit dem Plus-Swiss-Abo kostet die zusätzliche SIM-Karte 10 Franken. Mediensprecherin Viola Lebel weist darauf hin, dass die Multisurf-Karten für Kunden ohne Salt-Abo im Moment vergünstigt für 19.95 Franken im Monat angeboten werden. Eine Limite gibt es bei Salt für den «normalen Datenverbrauch, inklusive Videostreaming» nicht. Doch Kunden müssen sich bereit erklären, den Dienst nur so zu nutzen, dass «die Servicequalität für andere Kunden nicht beeinträchtigt wird».

Die Swisscom hat in ihren Vertragsbestimmungen eine «Fair Use Policy», in der es heisst, dass der Anbieter die Leistung einschränken oder einstellen kann, wenn die Nutzung «erheblich vom üblichen Gebrauch abweicht». Das dürfte unvermeidlich sein, wenn eine ganze Familie oder WG sich einen Mobilfunkvertrag teilt. Die Swisscom bietet keine Heimrouter für LTE/ 4G an, ist dieser Nutzung aber nicht komplett abgeneigt: «In Einzelfällen, wenn Kunden fast nur noch ein Smartphone oder ein Tablet nutzen, kann es sinnvoll sein, die Geräte nur noch per Mobilfunknetz mit Multidevice zu verbinden», erläutert Mediensprecher Armin Schädeli.

Ist dieser Weg die Zukunft und der Internetzugang zu Hause bald ein Auslaufmodell? Und stellen sich die Mobilfunkanbieter mit dem Ausbau von 5G somit selbst ein Bein? Swisscom-Chef Urs Schaeppi sieht das nicht so. Bei der Präsentation der Jahreszahlen letzte Woche gab er der Überzeugung Ausdruck, dass sich der Hausanschluss und das Mobilfunknetz ergänzen würden.

Verschwörungstheorien

Auch Fredy Künzler, Chef und Gründer des auf Glasfaseranschlüsse spezialisierten Internetproviders Init7, fürchtet die Konkurrenz nicht: Für ein bisschen Surfen sei das mobile Netz absolut ausreichend. «Doch sobald man hochauflösend streamt, ist Schluss. Den Pixelbrei oder die niedrige Auflösung will man seinen Augen nicht antun.»

Ausserdem funktionierten ein vernünftiges Heimnetzwerk, VPN und eigene Serverdienste ebenso nicht zuverlässig, ebenso wenig Games, bei denen man auf schnelle Reaktionszeiten angewiesen sei. Und Fredy Künzler nennt einen praktischen Grund, weiterhin zweigleisig zu fahren: Das Mobilfunk-Datenabo dient als Rückfallebene bei einem Ausfall des Heimanschlusses. Ohne die steht man komplett offline da.

Ein Vorteil der Glasfaser ist, dass man sie ganz für sich allein hat. Die Luft wird bei den drahtlosen Übertragungen als «geshartes Medium» bezeichnet, das alle Kunden am selben Ort gemeinsam nutzen: Übertragen viele Leute gleichzeitig Daten, sinkt die Übertragungsgeschwindigkeit. Wenn das halbe Quartier den abendlichen Netflix-Konsum über den gleichen Mobilfunkmast abwickelt, bleibt von der atemberaubenden 5G-Geschwindigkeit nicht mehr viel übrig.

Das heisst im Klartext, dass die Mobilfunkanbieter entweder für teures Geld mehr Antennen bauen müssen oder aber dass sie die Sendeleistung erhöhen. Und in der Tat hatten die Mobilfunkanbieter im September 2018 versucht, die Grenzwerte zu erhöhen. Der Ständerat hat das mit einer knappen Mehrheit abgelehnt.

Doch die Aussicht auf mehr Antennen oder höhere Sendeleistung führt dazu, dass sich die Gegner eines Ausbaus bestärkt sehen. Sie machen schon jetzt mit Videos Stimmung gegen den neuen Standard – und schieben zum Beispiel Fälle von Vogelsterben auf Testversuche mit 5G. Das sind Verschwörungstheorien. Doch für Fredy Künzler ist klar, dass mehr 5G-Mobilfunk-Nutzung statt Glasfaser den politische Druck erhöht, mehr Sendeleistung zu erlauben.

Wird der Glasfaserausbau durch die Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G zur Fehlinvestition? Anbieter wie die Swisscom geben sich gelassen. Foto:Alessandro Della Bella (Keystone)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 13. Februar 2019

Rubrik und Tags:

Faksimile
190213 TA Seite 35.pdf

Die Faksimile-Dateien stehen nur bei Artikeln zur Verfügung, die vor mindestens 15 Jahren erschienen sind.

Metadaten
Thema: Aufmacher
Nr: 15225
Ausgabe:
Anzahl Subthemen: 80

Obsolete Datenfelder
Bilder:
Textlänge:
Ort:
Tabb: FALSCH