Kaspersky sucht Schutz in Zürich

Die IT-Sicherheitsfirma Kaspersky verlegt ihren Sitz von Russland in die Schweiz. Spionagevorwürfe der USA haben dazu geführt.

Matthias Schüssler

Betroffen vom Umzug von Moskau nach Zürich seien grosse Teile des operativen Geschäfts, teilte Kaspersky mit. Man wolle damit Transparenz schaffen, um «die Integrität und Vertrauenswürdigkeit der Produkte» zu gewährleisten.

Das 1997 gegründete Unternehmen steht unter massivem Druck, nachdem die Nachrichtenagentur Bloomberg im Juli 2017 schrieb, Firmenchef Jewgeni Kaspersky würde auf Anweisung der russischen Regierung handeln. 2009 habe der Chef in Mails mit hochrangigen Mitarbeitern ein Geheimprojekt beschrieben, das «auf ausdrücklichen Wunsch aus Lubjanka» durchgeführt worden sei. Das Lubjanka-Gebäude in Moskau beherbergt den Inlandgeheimdienst FSB. Kaspersky hatte die Vorwürfe dementiert und die Authentizität des Mailverkehrs infrage gestellt.

US-Schnüffelprogramm

Ein weiterer Fall war im November 2017 bekannt geworden: Eine Kaspersky-Sicherheitssoftware hatte ein Spionageprogramm der US-Überwachungsbehörde NSA aufgedeckt. Damals hatte Kaspersky den Fall ausführlich dokumentiert und beschrieben, wie die geheime NSA-Software auf dem Laptop eines Nutzers als Schadsoftware erkannt und daraufhin zur Untersuchung ans Virus Lab nach Moskau übermittelt worden war.

Das Unternehmen erklärte damals, die NSA-Software sei nicht an «unbefugte Dritte» weitergegeben worden. Der Quelltext der Software sei in Absprache mit dem Firmenchef nach wenigen Tagen gelöscht worden. Dennoch unterschrieb US-Präsident Trump im Dezember 2017 ein Gesetz, das es US-Behörden untersagt, weiterhin Software des russischen Herstellers einzusetzen.

Distanz zum Kreml schaffen

Durch den Umzug will Kaspersky räumliche Distanz zum Kreml demonstrieren. Die gebrauchsfertige Software werde künftig in Zürich aus dem Quellcode erzeugt und digital signiert. Dieses Prozedere stelle sicher, dass die Software von einer unabhängigen Organisation überprüft werden könne. Auch diese Überprüfung soll in der Schweiz stattfinden.

Kaspersky will überdies die Kundendaten von Nutzern aus Europa, Nordamerika und weiteren Weltregionen in einem noch einzurichtenden Rechenzentrum in der Schweiz speichern. Gemäss NZZ ist indessen noch offen, ob Mitarbeiter aus Moskau nach Zürich umziehen werden.

Ob Kasperskys Befreiungsschlag aufgeht, bleibe abzuwarten, schreibt die Newsplattform «Engadget» in einer Einschätzung. Offensichtlich ist das Misstrauen inzwischen sehr tief. Gestern wurde bekannt, dass auch die niederländische Regierung wegen Sicherheitsbedenken keine Software des Moskauer Herstellers mehr einsetzt. Man befürchte Spionage und Sabotage, erklärte Justizminister Ferdinand Grapperhaus im niederländischen Radio. Das Unternehmen könne gezwungen werden, sich Staatsinteressen unterzuordnen, da es russischen Gesetzen unterworfen sei.

Umsätze gehen zurück

Letztes Jahr hat nebst den USA auch Grossbritannien von der Nutzung der Sicher heits soft ware abgeraten. Inzwischen schaltet Twitter keine Werbung mehr, und die US-Handelskette Best Buy hat die Software aus den Verkaufsregalen genommen. Laut Wired.de musste das Unternehmen in den USA im letzten Jahr einen Umsatzeinbruch von fünf bis acht Prozent verkraften. In Europa stagniert das Geschäft.

Jewgeni Kasperski ist offenbar nicht glücklich über den Umzug nach Zürich. «Er würde das Geld lieber anders ausgeben», zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen Firmeninsider. Doch der Schritt von Moskau nach Zürich sei nötig und keinesfalls eine PR-Übung: «Wir stellen unsere Forschung und Entwicklung neu auf», beteuert der Informant.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 16. Mai 2018

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