So wird das Fotoalbum richtig schön

Ferienfotos Die modernen Programme zur Fotoverwaltung und -bearbeitung sind auf Tempo ausgelegt und kommen auch mit riesigen Mengen an Bildern klar.

Matthias Schüssler

Das Wachstum ist schwindelerregend: 1970 wurden jährlich weltweit etwa 10 Milliarden Fotos geschossen. 2017 waren es, über den Daumen gepeilt, mehr als hundertmal so viele: etwa 1,2 Billionen Aufnahmen, schätzte Infotrends, ein Marktforscher für die grafische Industrie. Wie zutreffend die Zahl ist, weiss niemand: Seit Kameras keine Filme mehr benötigen und Fotos nicht mehr entwickelt werden müssen, sind Erhebungen nur noch indirekt möglich – zum Beispiel anhand der Wachstumsraten bei Foto-Plattformen im Netz.

Doch jeder Foto-Amateur wird bestätigen können, dass mit der digitalen Fotografie und den immer besseren Handykameras die Ausbeute in den letzten Jahren massiv gewachsen ist. Das verändert die Anforderungen für die Nachbearbeitung – denn die klassischen Bildbearbeitungsprogramme à la Photoshop sind nicht auf Masse ausgelegt.

Aus diesem Grund sind die RAW-Konverter entstanden. Diese Programme werden so genannt, weil sie die Umwandlung von Aufnahmen im Rohdatenformat beherrschen. Mit diesem Format speichert die Kamera weitgehend rohe, unbearbeitete Sensordaten. Es erweitert die Bearbeitungsmöglichkeiten beträchtlich. Doch RAW ist kameraspezifisch, und Bilder müssen ins Standardformat JPG übergeführt werden, damit sie frei verwendbar sind.

Die moderne Arbeitsweise

Der Name ist irreführend, denn RAW-Konverter lassen sich mit JPG genauso gut benutzen wie mit RAW. Die Programme arbeiten typischerweise nicht destruktiv. Das heisst, dass die Bilddaten bei der Bearbeitung nicht verändert werden. Sämtliche Korrekturen werden nur beschreibend vorgenommen. Das hat mehrere Vorteile: Jeder Bearbeitungsschritt kann nachträglich verändert oder zurückgenommen werden. Es ist nicht nötig, in der Dateiablage die Originale und die bearbeiteten Bilder zu verwalten oder Aufnahmen zu öffnen und nach getaner Arbeit zu speichern – Änderungen sichert die Software automatisch. Es ist auch möglich, virtuelle Kopien des gleichen Bildes anzulegen, ohne dass es mehrfach speichern zu müssen.

Die nicht destruktive Arbeitsweise hat jedoch einen gewichtigen Nachteil: Sie ist abhängig von den Algorithmen des Herstellers. Nur das fertig bearbeitete und exportierte Bild kann in ein anderes Programm übernommen werden – nicht das Originalfoto mit den hinterlegten Bildkorrekturen. Das macht einen Softwarewechsel umständlich. Man sollte seine Software deshalb sorgfältig wählen.

Adobe Lightroom ist der Primus bei den RAW-Entwicklern, an dem sich die Konkurrenz orientiert. Lightroom existiert seit 2007. Es hat das erklärte Ziel, dem Anwender zu helfen, Hunderte oder Tausende Bilder schnell zu sichten, auszusortieren und aufzupolieren. Zu dem Zweck stellt es separate Module bereit, die mit typischen Arbeitsschritten bei der Nachbearbeitung korrespondieren:

In der Bibliothek wird aussortiert: Gänzlich missratene Aufnahmen löscht man. Mit Sternchen unterscheidet man bessere und schlechtere Aufnahmen voneinander, und per Farbmarkierungen merkt man Bilder für besondere Behandlungen oder spezielle Zwecke vor. Wer sich die Mühe machen will, darf auch Bildlegenden und Stichworte erfassen und einen Aufnahmeort zuordnen, falls die Kamera den nicht via GPS registriert hat.

Mehr Regler als ein DJ-Pult

Im Modul Entwickeln wird das Foto aufgepeppt. Es gibt eine Menge von Reglern, die Belichtung, Kontraste, Farbe und Farbsättigung verändern. Wer mag, kann einzelne Farben intensivieren, verändern oder dämpfen oder gleich eine Umwandlung in Schwarzweiss vornehmen. Die meisten RAW-Konverter beseitigen auch Objektivfehler: Darunter fallen Verzerrungen, Farbsäume und abgeschattete Ränder (Vignettierungen). Zu den Standardfunktionen gehört das Nachschärfen, Beschneiden und Anpassen des Bildausschnitts und Drehen bzw. Geraderücken von schrägen Horizonten. Viele Programme bieten auch an, Bildrauschen oder atmosphärischer Dunst wegzurechnen und perspektivische Unschönheiten wie stürzende Linien zu korrigieren.

Die Bilder werden normalerweise als Ganzes bearbeitet. Es ist bei vielen Programmen auch vorgesehen, nur Teilbereiche anzupassen. Dazu zieht man Verläufe oder Masken auf oder kann mit dem Pinselwerkzeug störende Elemente entfernen, respektive kaschieren. Im Vergleich zu einem klassischen Bildbearbeitungsprogramm wie Photoshop sind die Retuschemöglichkeiten jedoch eingeschränkt.

Die RAW-Konverter halten auch mehr oder weniger umfangreiche Exportmöglichkeiten bereit. Diese speichern fertig bearbeitete Bilder im JPG-Format und laden sie bei Bedarf auch gleich bei Foto-Plattformen wie Flickr, 500px, Google Fotos, Instagram oder Facebook hoch. Lightroom erstellt auch Diashows für die Präsentation am Bildschirm oder hilft bei der Kreation von Fotobüchern.

Kreativität statt Fleissarbeit

Um die Fleissarbeit der Bildnachbearbeitung zu beschleunigen, sehen es viele Programme vor, Bearbeitungsschritte von einem Bild auf andere zu übertragen: Es ist möglich, solche Vorgaben abzuspeichern und sie schon beim Bildimport anzuwenden: eine effiziente Methode, Fotos einheitlich zu bearbeiten oder ihnen einen bestimmten Look zu verpassen. Bei Lightroom heissen diese Bearbeitungen ab Stange Presets, in anderen Programmen Styles, und es gibt sie in grosser Zahl auch im Netz.

Das Motiv stimmt – aber bei der richtigen Aufbereitung wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Foto: Henrik Sorensen (Getty Images)

Da ist für jede Vorliebe etwas dabei: Sechs RAW-Konverter zur Wahl

Lightroom von Adobe ist ein weitverbreiteter RAW-Konverter, mit dem viele Profis und Amateure gerne arbeiten. Ein grosser Funktionsumfang und eine zügige Ausführungsgeschwindigkeit sind das grosse Plus. Lightroom arbeitet via Adobes Cloud-Plattform Creative Cloud mit mobilen Geräten zusammen und ermöglicht den Foto-Import, die Vorselektion und erste Bearbeitungen am Tablet. Viele stören sich daran, dass dieses Produkt nur im Abo (ab 11.85 Franken pro Monat), nicht aber als Kaufprogramm erhältlich ist.

ACD-See ist ein Software-Veteran, den es seit bald 25 Jahren gibt. Er besticht durch einen riesigen Funktionsumfang, wie einer praktischen chronologischen Ansicht aller Aufnahmen. Die Geschwindigkeit ist nicht ganz so gut wie bei Lightroom, die Oberfläche etwas weniger übersichtlich. Doch das Produkt ist bereits ab 32 Euro erhältlich und für ambitionierte Amateure eine gute Wahl.

Darktable nennt sich die Lightroom-Alternative aus der Open-Source-Welt, die dementsprechend gratis zu haben ist. Die Software hält alle nötigen Werkzeuge bereit und kann mit einigen Funktionen Lightroom sogar ausstechen. Die Stabilität und die Arbeitsgeschwindigkeit sind allerdings nicht ganz so gut. Dennoch: Wer keine maximale Leistung benötigt und nicht Hunderte, sondern nur Dutzende Bilder bearbeiten muss, sollte sich diese Software ansehen.

Capture One von Phase One stammt aus dem High-End-Bereich für digitale Mittelformatkameras, und das merkt man auch: Es stehen verwirrend viele Installationsoptionen zur Verfügung, und die Oberfläche ist nicht so einleuchtend organisiert wie bei der Konkurrenz. Dafür geht diese Software auch bei sehr vielen und riesigen Bildern blitzschnell ans Werk. Sie hat alle nötigen Werkzeuge an Bord, die präzise und subtile Korrekturen erlauben. Die Software kann gemietet oder gekauft werden. Der Kauf der aktuellen Version kostet 332 Franken. Ältere Versionen sind für erschwingliche Preise erhältlich.

ON1 Photo RAW kommt beim Funktionsumfang nicht an die Konkurrenz heran, auch die Arbeitsgeschwindigkeit und die Bildqualität überzeugten uns nicht so ganz. Die Stärken der Software zeigen sich bei der Panorama-Fotografie (mit integrierter Möglichkeit, Einzelbilder zusammenzurechnen) und bei HDR. Ab 80 US-Dollar.

DxO PhotoLab kümmert sich zur Hauptsache um die Entwicklung von Fotos und hat nur rudimentäre Funktionen für die Organisation von Fotobeständen. Die Stärke sind die Korrektur von Objektivfehlern und die vielfältigen Funktionen für die Korrektur von Teilbereichen. Das Werkzeugangebot ist bei den meisten anderen Programmen umfangreicher, und die Arbeitsgeschwindigkeit lässt etwas zu wünschen übrig. Ab 129 Euro.(schü.)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 15. August 2018

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