Nokia sollte man nicht abschreiben

Ist der Mobile World Congress in Barcelona bloss eine Zombie-Show, wie böse Zungen sagen? Rafael Zeier ist unser Mann vor Ort und sagt, ob er echte Innovationen gesehen hat.

«Wer heute noch Handys mit Rand baut, wird bald alt aussehen», sagt Rafael Zeier, der für Tagesanzeiger.ch/Newsnet in Barcelona an der weltgrössten Handymesse ist. Bild: Simone Luchetta

Interview: Matthias Schüssler

Apple ist beim Mobile World Congress in Barcelona traditionell nicht dabei. Heuer hat aber auch Samsung kein neues Telefon, sondern nur ein Tablet gezeigt. Haben die kleineren Hersteller diese Chance genutzt?

Samsungs ärgster Konkurrent Huawei hat das auf jeden Fall genutzt. Der chinesische Hersteller hat inzwischen ein Handyangebot, das von preisgünstigen Honor-Geräten bis zu teuren Top-Geräten mit Leica-Kameras reicht. Ob auch Firmen wie Sony und LG davon profitieren, wird sich zeigen. Schliesslich kommt ja schon Ende März das neue Galaxy von Samsung. Da wird das eine oder andere Handy schneller vergessen sein, als manchem Marketingchef lieb sein dürfte.

Da geht eine Zombie-Show ab – mit der Auferstehung der totgeglaubten Unternehmen Nokia und Blackberry.

Das ist tatsächlich die lustigste Erscheinung am diesjährigen Kongress. Beide Handypioniere haben das Handygeschäft und ihren Namen verkauft. Und um beide hat sich ein Retro-Hype entwickelt. Am Nokia Stand zum Beispiel sind die neuen Handys nur in einer abgelegenen Ecke ausgestellt, aber da drängen sich die Massen.

Wie ist das Comeback von Nokia zu bewerten? Nur ein Strohfeuer – oder ein Anzeichen, dass sich die Finnen wieder zur alten Grösse aufschwingen?

Das neu aufgelegte 3310 wird auf jeden Fall nicht dazu beitragen. Das war einfach ein gelungener Marketing-Trick. Wenn die Retrogefühle mal abgeflaut sind und man sich überlegt, auf was man mit so einem Handy alles verzichten müsste, sieht das schnell wieder anders aus. Aber Nokia sollte man nicht abschreiben Rückwirkend muss man den Finnen fast gratulieren, dass sie es geschafft haben, das an die Wand gefahrene Handygeschäft an Microsoft zu verkaufen. Das wirkliche Comeback von Nokia abseits der Handymasten sind ja dann auch nicht die Handys, die eine andere Firma verantwortet, sondern die Fitnessuhren und WLAN-Waagen, die früher unter dem Namen Withings verkauft wurden.

Withings ist nun kein französisches Unternehmen mehr, sondern Teil eines finnischen. Aus Sicht der Konsumenten und Nutzer ist das ein Nullsummenspiel.

Im Moment ja. Aber mit Nokia im Rücken könnten da manche Projekte der Firma möglich werden, die zuvor noch zu gross waren. Im Moment sieht man davon noch nichts. Und sag jetzt nichts Böses zur WLAN-Haarbürste, die Withings im Januar vorgestellt hat …

Also gut, andere Frage: Gibt es einen einheitlichen Trend bei den neuen Handys?

Ich habe einige Modelle gesehen, bei denen der Bildschirm immer grösser und der Rand immer schmaler wird. Die grösseren Bildschirme in kleineren Geräten werden 2017 sicher kommen. LG hat mit dem G6 vorgelegt. Samsung wird da mit dem neuen Galaxy sicher noch mal zulegen. Erste Bilder, die durchs Internet geistern, sehen vielversprechend aus. Und auch Apple, so munkelt man, arbeite an einem neuen randlosen Design. Wer heute noch Handys mit viel Rand baut, könnte schon sehr bald sehr alt aussehen. Gerade Sony und Huawei könnten hier noch deutlich nachlegen. Erstaunlich finde ich in dem Zusammenhang auch, dass Huawei nun wieder einen Fingerabdrucksensor unten am Bildschirm platziert, wo Samsung und vermutlich auch Apple diesen auf die eine oder andere Art verschwinden lassen werden.

Konntest du so ein randloses Telefon ausprobieren? Ich nehme an, das wirkt futuristisch, aber in der Benutzung stelle ich es mir unpraktisch vor.

Lustigerweise ist das Gegenteil der Fall. Das LG G6 liegt sehr gut in der Hand und sieht ganz unaufgeregt aus. Auf der Software-Seite gibt es sicher noch Verbesserungsbedarf. Da müssen sich die App-Hersteller und Google mit Android erst noch daran gewöhnen. Aber der Trend ist nicht mehr aufzuhalten.

Bekommen die Apps dann einfach einen Rand, sodass man beim Halten des Geräts nicht ständig unbeabsichtigt Befehle auslöst?

Aus Versehen habe ich noch keine Befehle ausgelöst, aber ich hatte auch nicht viel Zeit mit dem Gerät. Aber wenn man es mal in der Hand hatte, sehen Handys mit mehr Rand ziemlich veraltet aus.

Täuscht eigentlich der Eindruck, dass der Mobile World Congress inzwischen eine reinrassige Android-Show ist? Vor Jahren gab es ja wenigstens ein paar kleine Konkurrenten, zum Beispiel das inzwischen tote Firefox OS.

Die kleinen sind tatsächlich noch kleiner geworden oder ganz verschwunden. Immerhin sieht man hin und wieder auch Windows-Tablets, etwa von Samsung oder Porsche Design. Aber klar, Android dominiert die Neuheiten. Fast überall steckt Google-Software drin. Trotzdem tauchen auch Amazons Sprachassistenz Alexa und Apples iPhone-Ökosystem immer mal wieder auf. Etwa wenn SAP zeigt, wie man mit Apple-Apps geschäften kann. Auch wenn Googles grösste Konkurrenten nur Nebenrollen spielen, sind sie doch allgegenwärtig. Und seien das nur die unzähligen Apple-Laptops, die die Besucher mit sich rumschleppen.

LG hat sich von seiner Idee des modularen Handys getrennt …

Das war eigentlich schon letztes Jahr absehbar. Die Idee klingt auf dem Papier gut, aber im Alltag ist es einfach mühsam, und kaufen tuts sowieso keiner. Das musste nun auch LG eingestehen. Auch wenn es in Kommentarspalten immer gefordert wird, austauschbare Akkus sind dann an der Ladenkasse doch nicht ausschlaggebend.

Genau, das war der Flop der letztjährigen Messe. Was wird der Flop dieses Jahr sein?

Schwer zu sagen. Es hat sich keiner der grossen Hersteller besonders weit aus dem Fenster gelehnt. Da du aber nicht locker lassen wirst, sage ich jetzt mal, das Nokia 3310 und das neue Blackberry werden Flops. Die Zeiten von Handys mit vielen Knöpfen sind endgültig vorbei. Daran werden auch die zwei nichts ändern. Retro-Hype hin oder her.

Was tut sich abseits der Telefone? Auch die anderen Hypes unserer Tage, also Virtual Reality und das Internet der Dinge, werden in Barcelona doch sicherlich bewirtschaftet werden?

In der Tat. Drohnen und Roboter nicht zu vergessen. Bei Hype-Themen sind die Hersteller immer gerne vorne mit dabei. Aber man merkt, dass das, was vor ein paar Jahren noch futuristisch und im Alltag unbrauchbar war, sehr langsam, aber doch sicher einen Platz im Leben vieler Menschen finden könnte. Absurde Konzepte und Ideen sind weniger geworden. Inzwischen wissen die Hersteller, was funktioniert, und vor allem, was sich auch verkauft.

Letztes Jahr hat man Zuckerberg an der Handymesse gesehen. Welchem Promi bist du dieses Jahr begegnet?

Ich habe heuer eine ganz schlechte Promi-Quote abseits der Showbühnen. Der eine Android-Chef ist mir auf einer Rolltreppe entgegengekommen und den Huawei-Handy-Chef habe ich am Eingang ihres Pavillons gesehen. Aber ich fürchte, alle klandestinen Treffen der Firmenchefs habe ich übersehen oder verpasst.

Und die gleiche Abschlussfrage wie jedes Jahr: Welches Gadget hast du gesehen, dass du nun unbedingt selbst haben willst?

Sony hat einen Miniprojektor. Der Xperia Touch sieht aus wie ein Toaster, beamt aber ein Android-Tablet inklusive Multi-Touch-Bedienung auf den Tisch oder an die Wand. Das ist alles noch Spielerei, aber ich finde die Idee eines projizierten Tablets lustig und vielversprechend. Auf jeden Fall braucht man dazu keine Brillen, und alle am Tisch können mitmachen. Ich habe damit auf der Messe sogar ein bisschen Klavier gespielt. Leider kostet das Ding 1500 Franken. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 28. Februar 2017

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