Rohe Bildgewalt – nicht nur für Profis

Das Rohdatenformat erobert die Mobiltelefone. Damit geht einer der letzten Trümpfe der richtigen Kameras verloren.

Matthias Schüssler

Der Kameramarkt implodiert. Wurden 2011 weltweit noch 148 Millionen Stück verkauft, werden es 2016 gemäss Prognose noch 49 Millionen sein. Einziger Lichtblick: Der Umsatz ging von 33 auf 17 Milliarden Euro zurück und schrumpfte somit nicht so stark, weil die verbliebenen Käufer richtiger Kameras im Schnitt mehr Geld ausgeben.

Schuld an diesem Grounding ist natürlich das Smartphone. Es macht die Kompaktkamera für viele Leute überflüssig. Doch auch die teuren Spiegelreflexkameras spüren die Konkurrenz der Telefone immer mehr. Für viele Anwender ist die Qualität der Smartphones-Fotos gut genug, um nicht noch extra eine separate, meist nicht gerade leichtgewichtige Kamera mitzuschleppen. Auch das Hauptargument für die teuren Kameras – die grössere künstlerische Freiheit – wird heute untergraben.

Inzwischen beherrschen die Smartphones sogar das Rohdatenformat, das lange den digitalen Profi-Fotokameras vorbehalten war. Es wird in Englisch auch Raw genannt, weil es weitgehend rohe, unbearbeitete Sensordaten speichert. Da moderne Bildchips mehr Nuancen einfangen, als in den normalen Bilddateien im JPG-Format enthalten sind, erweitert das die Bearbeitungsmöglichkeiten deutlich: Überbelichtete Bildbereiche lassen sich oft retten. Die gefürchteten Farbsäume, zum Beispiel beim Nachthimmel, werden vermieden. Mit Raw sind subtilere Farbkorrekturen möglich. Und Puristen schätzen, dass die rohen Bilddaten neutraler ausfallen und weniger auf Effekt getrimmt sind als die normalen Aufnahmen.

4000-mal mehr Nuancen

Apple hat sich mit dem letzten Betriebssystem-Update auf iOS 10 dem Rohdatenformat geöffnet. Es steht ab dem iPhone 6S und beim 9,7-Zoll iPad Pro zur Verfügung. Das iPhone 7 fotografiert in Raw mit 12 Bit pro Farbkanal anstelle der bei JPG üblichen 8 Bit. Das klingt nicht nach einer wahnsinnig grossen Verbesserung. Doch da jedes zusätzliche Bit eine Verdoppelung der abbildbaren Nuancen ergibt, sind die Unterschiede enorm. Das normale JPG-Format kann 16,7 Millionen Farbtöne unterscheiden. Beim 12-Bit-Bild sind es sagenhafte 68,7 Milliarden Abstufungen.

Um das Raw-Format zu nutzen, benötigt man eine passende Kamera-App, zum Beispiel ProCam 4 (5 Franken), Obscura Camera oder ProCamera oder Manual (4 Franken). Wer in der Adobe-Welt verwurzelt ist und ein Abo für die Creative Cloud hat, ist mit Lightroom gut bedient (die App ist kostenlos).

Für Raw-Dateien verwenden die Apps das DNG-Format. Es steht für «Digital Negative» und wurde 2004 von Adobe vorgestellt. DNG ist ein Versuch, Ordnung in das Formatchaos zu bringen. Die Ausprägung des Rohdatenformats ist nicht normiert, sondern hängt ab von Kamera und Hersteller. Es braucht für die Bearbeitung spezielle Programme oder Apps, und für die Weiterverwendung im Internet, in sozialen Medien oder Fotobüchern muss ein JPG exportiert werden. Die manuelle Nachbearbeitung gehört dazu, damit sich der Qualitätsvorteil überhaupt bemerkbar macht. Raw-Dateien haben ausserdem den Nachteil, sehr viel grösser als normale Fotos zu sein. Beim iPhone ist ein JPG-Foto typischerweise 2 bis 3 Megabyte gross. Die Raw-Datei kommt auf über 10 MB.

Bei Android hängt es vom Modell ab, ob Raw genutzt werden kann. Die Unterstützung für das Rohdatenformat wurde bereits 2014 mit Android 5.0 eingeführt. Auch Android verwendet DNG zum Speichern der Fotos, und es braucht bei den meisten Modellen eine spezielle App wie Manual Camera, ProShot oder Adobe Lightroom.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 9. November 2016

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