Feinschliff fürs Heimvideo

Hobbyfilmern bietet sich eine reiche Auswahl an verschiedenen Videoschnitt-Anwendungen. Und das Angebot wächst laufend.

Von Matthias Schüssler und Andreas Heer

Die aktuelle Generation der Windows- und Macintosh-Rechner besitzt genügend Leistung und Festplattenkapazität, um als digitales Schnittpult für Ferien- und Familienvideos zu dienen. Oftmals ist auch die FireWire-Schnittstelle vorhanden, um eine digitale Videokamera, meist als DV-Kamera bezeichnet, anzuschliessen. Und solche Aufnahmegeräte sind hier zu Lande ziemlich verbreitet. Bruno Wüst von John Lay Electronics, dem Generalimporteur für Panasonic, schätzt, dass etwa jeder fünfte Haushalt eine Filmkamera besitzt. Von den über 70 000 Geräten, die jährlich verkauft werden, machen DV-Kameras den weitaus grössten Teil aus. Doch längst nicht jeder Hobbyfilmer schneidet seine Filme in aufwändiger Kleinarbeit am Computer. Gemäss Wüst nutzen nur etwa fünf bis zehn Prozent diese Möglichkeit.

Erste Schnitte mit iMovie

An der verfügbaren Software kann dies nicht liegen. Das Angebot an Videoschnitt-Anwendungen für den Heim- und semiprofessionellen Bereich ist gross und wird laufend erweitert oder zumindest aktualisiert. Die Preise bewegen sich zwischen rund 100 und 500 Franken. Hinzu kommen kostenlose Anwendungen, die vom Betriebssystemhersteller mitgeliefert werden.

In diese Kategorie gehört auch iMovie von Apple. Die Videoschnittsoftware ist Bestandteil der so genannten «iApps», einer Software-Sammlung für den Umgang mit digitalen Bild- und Tondateien. iMovie selbst ist soeben in Version 3 erschienen und kann von der Apple-Website heruntergeladen werden. Die Anwendung setzt Mac OS X voraus und richtet sich an Laien, die ihre Aufnahmen schnell und einfach nachbearbeiten wollen, ohne sich in die Tiefen der Materie zu begeben. Dementsprechend beschränkt sich der Funktionsumfang von iMovie 3 auf das Wesentliche. Doch das reicht für die meisten Ferien- und Familienfilme, denn die Software bietet sowohl verschiedenste Effekte als auch einen Titelgenerator. Im Unterschied zur Vorversion bietet iMovie 3 nun zwei Tonspuren, so dass nebst Originalton auch Hintergrundmusik oder ein Kommentar einfliessen kann.

Bei der Nachbearbeitung zeigt sich die Verknüpfung mit den anderen iApps: Die Musikstücke, die mit iTunes verwaltet werden, stehen auch in iMovie zur Verfügung. Und die Kapitel für die Ausgabe auf DVD mittels iDVD 2 lassen sich ebenfalls direkt in der Schnittsoftware definieren.

Zweifellos stellt iMovie 3 eine gelungene Anwendung für Einsteiger dar. Die Software wartet unter der schlichten und verständlichen Benutzeroberfläche mit den wesentlichsten Funktionen auf, so dass auch Anwender ohne spezifisches Fachwissen zum Erfolg kommen. Doch der Appetit kommt mit dem Essen, und wer sich einmal ins Thema Videoschnitt eingearbeitet hat, wächst schnell über die Möglichkeiten von iMovie hinaus. Gleichzeitig heisst dies auch, das Gebiet der kostenlosen Software zu verlassen.

Mit Final Cut Express in die Tiefe

Die Auswahl an anspruchsvollerer Videoschnitt-Software für Mac OS X ist bescheiden. Die beiden einzigen namhaften Anbieter heissen Adobe mit Premiere 6.5 und Apple selbst. Bis vor kurzem bot der Macintosh-Hersteller in diesem Bereich nur gerade Final Cut Pro an. Diese Schnittsoftware erfreut sich zwar breiter Anerkennung, ist aber mit einem Preis von rund 1800 Franken für Heimbenutzer kaum erschwinglich.

Doch im Januar präsentierte Apple mit Final Cut Express gewissermassen den kleinen Bruder des Profiwerkzeugs. Dieser bietet alle wichtigen Funktionen, beschränkt sich aber auf Digital Video als Eingangsquelle – eine Einschränkung, mit welcher der ohnehin DV-Kamera-bewehrte Heimanwender problemlos leben kann. Dafür erhält er zu einem Preis von knapp 500 Franken ein Videoschnitt-Werkzeug mit fast professionellem Anstrich.

Optisch unterscheidet sich die Express-Variante kaum von seinem grossen Bruder. Und der gebotene Funktionsumfang sollte eigentlich alle Bedürfnisse eines passionierten Freizeitfilmers abdecken. Das betrifft nicht nur die in mehr als genügender Zahl vorhandenen Bild- und Tonspuren, sondern auch die Möglichkeiten zur Nachbearbeitung des Materials. Im Unterschied zu iMovie lassen sich Clips nicht nur mehrfach schneiden, sondern zusätzlich auch in der Länge anpassen. Mit der Farbkorrektur werden zu helle oder zu dunkle Aufnahmen wieder ins rechte Licht gerückt, während verschiedenste Audiofilter für den richtigen Ton sorgen. Titel können wahlweise auch im 3-D-Kleid erscheinen, und die rund 200 verschiedenen Effekte werden auf einem einigermassen schnellen Mac in Echtzeit angezeigt.

Auf Grund des Funktionsumfangs erfordert Final Cut Express ein gewisses Mass an Einarbeitungszeit und mehr als einen Blick ins 750 Seiten umfassende elektronische Handbuch.

Mit Final Cut Express ist Apple wohl ein kluger Schachzug gelungen – eine fast professionelle Software zu einem bezahlbaren Preis dürfte den einen oder anderen Hobbyfilmer dazu bewegen, beim Computerkauf mit einem Macintosh zu liebäugeln.

Windows: Die Qual der Wahl

Wer den bewegten Bildern mit einem Windows-PC zu Leibe rücken möchte, kann aus einer breiten Palette von Produkten wählen. Reich ist die Auswahl aber nur im Einsteigersegment – der semiprofessionelle Bereich ist fest in der Hand von Adobe Systems. Die «Digital Video Collection» der Kalifornier besteht zur Hauptsache aus Premiere und After Effects. Während Ersteres für die Montage des Filmmaterials zuständig und mit Final Cut und anderen Schnitttools vergleichbar ist, darf After Effects Einzigartigkeit für sich in Anspruch nehmen: Als Tool für Animation, die Gestaltung von 2-D- oder 3-D-Kompositionen und aufwändigen Spezialeffekten hat es keinen direkten Konkurrenten. Die Videocollection, der bislang eine Authoringsoftware für die DVD-Kreation fehlt, schlägt mit rund 2500 Franken zu Buch und sprengt das Budget eines Einsteigers.

Am anderen Ende der Preisskala stehen die Gratisprodukte. Windows XP ist von Haus aus mit dem Movie Maker ausgestattet, der auch in der kürzlich erschienenen zweiten Auflage in erster Linie den Spieltrieb bedient. Microsoft setzt für die Ausgabe auf das eigene Videoformat WMV, wodurch sich die Filmproduktionen nur mit dem Windows Media Player ansehen lassen. Bereits für weniger als 100 Franken gibts Alternativen ohne diese Beschränkung. Für 76 Franken bei Tradeup.ch erhältlich ist das Ulead Video Studio, das ein verständliches Bedienungskonzept und einen guten Funktionsumfang mitbringt. Von anderen Produkten dieser Preisklasse raten wir ab – die postulierte Einfachheit von muvee Videoproduzent (85 Franken) oder Data Beckers Easy Video Producer (81 Franken) liegt an der mageren Werkzeugpalette, mit der man schlicht nichts falsch machen kann.

Wenn die Software auch Authoring, also die Ausgabe der Filme auf DVD beherrschen soll, liegt die Schwelle bei 120 Franken. Zu diesem Preis ist die Variante des Ulead Video Studio mit (spartanischen) Brennfähigkeiten erhältlich. Deutlich luxuriöser werden die Filmscheiben, wenn sie mit dem brandneuen PowerDirector Pro 2.5 von CyberLink (ca. 155 Franken) erstellt werden. Auf Wunsch integriert der «Disc Wizard» eine Playersoftware, sodass bei der Wiedergabe am PC nichts mehr schief gehen kann. Das Schnittmodul von Director Pro leistete sich im Test diverse Abstürze, sodass als lachender Dritter sich das Pinnacle Studio 8 hervortut (149 Franken bei www.pinnacle.ch).

Mit dem Erscheinen von Final Cut Express und der zunehmenden Bedeutung des Einsteigersegments erhalten die Spekulationen über ein «Premiere Elements» Auftrieb. Adobe-CEO Bruce Chizen dachte in der Öffentlichkeit schon laut über eine Heimanwender-Version seines Video-Paradepferdes nach. Alexandre Salzmann, Geschäftsführer von Adobe Schweiz, sagt, man habe diesen Markt genau im Blick: «Wir treffen jedoch keine Aussagen zu Produktankündigungen.»

«Wir haben den Einsteigermarkt genau im Blick.»
ALEXANDRE SALZMANN, ADOBE SCHWEIZ

SCREENS TA

Final Cut Express bietet semiprofessionelle Leistung zu einem konsumentenfreundlichen Preis.

iMovie verhindert die Bauchlandung von Anfängern. (Rechts: PowerDirector Pro von CyberLink.)

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 17. Februar 2003

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