Facebook hat die Videoschlacht gewonnen

Twitter war Vorreiter beim Video. Doch der Vorsprung ist verspielt – für Livevideo ist heute Facebook die erste Adresse.

Matthias Schüssler

Gestern hip, heute weg vom Fenster. Wie schnell es vom gefeierten Internetstar zum Auslaufmodell geht, beweist dieser Tage Vine. Das Videoportal war 2013 gestartet und bald Kult: Kurzclips von sechs Sekunden in Endlosschlaufe, die auch Zeitraffer und Zeitsprünge möglich machten. Das Video als kreative Ausdrucksmöglichkeit, frohlockten Journalisten, zum Beispiel von Mashable.com. Twitter hatte die App 2012 noch vor dem offiziellen Start übernommen. Denn die Kurzvideos würden Twitters Kurznachrichten optimal ergänzen.

So schien es damals zumindest. Heute ist der Glanz weg und Vine demnächst auch. Wie letzte Woche bekannt wurde, soll die App eingestellt werden. Über die Gründe schweigt sich der Blogpost aus. Doch natürlich liegt es daran, dass Twitter Kosten und Personal reduziert und Vine trotz des Kultcharakters keine strategische Bedeutung für den Social-Media-Dienst erlangt hat. Twitter steckt nicht nur in einer Finanz-, sondern auch in einer Identitätskrise. Der Gründer von Vine, Rus Jussupow, hatte das Aus auf Twitter lakonisch kommentiert: «Verkauf bloss dein Unternehmen nicht.»

Kult gegen Masse

Der Grund: Es geht heute nicht um kultige 6-Sekunden-Videos, sondern darum, wer als Videoplattform der Zukunft den Tarif angibt. Welche Plattform kommt zum Zug, wenn bahnbrechende Politereignisse oder nichtssagende Privatanlässe in alle Welt übertragen werden sollen? Viele tippen nicht auf Twitter, sondern – natürlich – auf Facebook. «Das eine Unternehmen ist 340 Milliarden Dollar wert und dominiert die digitale Werbung. Das andere zählt 12 Milliarden Dollar und befindet sich in einem chaotischen Turnaround», brachte Fortune.com die Machtverhältnisse auf den Punkt.

Facebook ist für Livevideos heute die erste Wahl: Die Videos, die man dort sendet, werden automatisch gespeichert. Sie sind nachträglich nicht nur abrufbar, sondern können auch für Werbekampagnen genutzt werden. Der ausschlaggebende Grund ist aber, dass man via Facebook mit Abstand das grösste Publikum erreicht – auch wenn andere Streaming-Apps einen grösseren Funktionsumfang aufweisen.

«Nervig, aber es zahlt sich aus»

Twitter hat beim Video den Kampf gegen Facebook verloren. Und das, obwohl Twitter auch in Sachen Livestreaming früher dabei war als Facebook. Twitter hat seine Periscope-App im Januar 2015 noch vor dem offiziellen Start den Entwicklern abgekauft und Ende März 2015 auf den Markt gebracht. Bei Facebook ist das Streaming seit Januar dieses Jahres möglich, ohne dass es dafür eine separate App brauchte. «Nervig – aber es zahlt sich aus», konstatierte die «New York Times» nach dem Start.

Denn die Leute bleiben bei Livevideo länger dabei: Im Schnitt dreimal so lange wie bei voraufgezeichneten Clips. Videoposts sind erfolgreicher als solche mit Bildern – im Schnitt um 135 Prozent. Und dabei ist schon das herkömmliche Video auf Facebook enorm erfolgreich: 7,9 Millionen Clips wurden im September 2016 hochgeladen. 208 Milliarden Mal wurden sie angeschaut. Das sind fast schon Youtube-Dimensionen. (Allerdings zählt bei Facebook schon eine Betrachtungszeit von wenigen Sekunden als View, während das bei Youtube gemäss Marketingland.comerst nach 30 Sekunden der Fall ist.) Wenn es nach Mark Zuckerberg geht, dann wird Video noch viel wichtiger werden: 2019 werde das meiste bei Facebook Video sein, zitierte PCworld.comden Chef des sozialen Netzwerks.

Der Erste zu sein, zahlt sich nicht immer aus – auch in diesem Fall nicht. Die erste populäre Streaming-App war Meerkat. Mit dieser App konnte man schon ab Februar 2015, also einige Monate vor Periscope, Liveübertragungen abhalten. Am 4. Oktober haben die Entwickler ihren Dienst offiziell eingestellt.

Live auf Facebook

Tipps fürs Streaming

Liveübertragungen auf Facebook haben eine grosse Anziehungskraft: Sie können mit guten Einschaltquoten rechnen, wenn Sie zum richtigen Zeitpunkt senden – also dann, wenn viele Ihrer Freunde am Computer oder Smartphone sitzen und Sie Ihre Übertragung vorab ankündigen. Schalten Sie gelegentlich von der Front-auf die Rückkamera um, damit die Zuschauer sowohl die Umgebung als auch Sie selbst sehen können. Geben Sie sich als aktiven Kommentator des Geschehens und beachten Sie die Rückmeldungen des Publikums. Halten Sie das Smartphone so ruhig wie möglich, denn allzu verwackelte Bilder sind ermüdend. Und natürlich achten Sie auf die Urheberrechte – ein Konzert oder eine Sportveranstaltung zu übertragen, könnte Sie in Schwierigkeiten bringen. Am Ende kappen Sie nicht einfach den Stream, sondern verabschieden Sie sich und lassen Sie den Zuschauern Zeit, sich auszuklinken.

Falls Sie die Sache ernsthaft betreiben möchten, dann investieren Sie in ein externes Mikrofon und in ein Handystativ. (schü.)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 2. November 2016

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