Analyse Will man tatsächlich sein ganzes fotografisches Leben bei Google abladen? Von Matthias Schüssler

Ein zu grosser Vertrauensvorschuss

«Irgendwo gibt es immer noch mehr Informationen», proklamiert Google in jenen zehn Grundsätzen, in denen die Unternehmenskultur umrissen wird. Nachrichtenarchive, Patente, wissenschaftliche Literatur, Millionen von Büchern sind nicht genug. «Das Forschungsteam von Google sucht weiter nach Möglichkeiten, wie alle weltweit verfügbaren Informationen Nutzern zugänglich gemacht werden können.»

Angetrieben von dieser Mission will sich Google nun auch die privaten Bildersammlungen einverleiben. Und zwar zur Gänze: Google Fotos soll ein privater, heiliger, sicherer Ort für alle Erinnerungen werden, zitiert «PC World» den stellvertretenden Chef der zuständigen Abteilung, der letzte Woche an der I/O-Entwicklerkonferenz das Produkt vorgestellt hat. Wer alle seine Bilder Google anvertraut, braucht sich keine Gedanken mehr um Speicherplatz, Bildorganisation oder Verschlagwortung zu machen. Die Fotos werden automatisch von den mobilen Geräten hochgeladen, zu Fotostorys arrangiert und über kluge Algorithmen erschlossen: Sie erkennen Sehenswürdigkeiten, Objekte und Tiere und in den USA sogar Gesichter. Das Auffinden der Fotos wird zum Kinderspiel. Ob man nach «Baby» oder «Zürich im Winter» sucht – die App liefert die passenden Fotos.

Beeindruckend. Und gruselig

Das ist beeindruckend. Und unheimlich. Google funktioniert nicht einfach als Datenspeicher im Netz, sondern seziert die Bildern nach allen Regeln der Kunst. Wenn man tatsächlich seine ganze Fotosammlung bei Google deponiert, dann lässt man Google auf sehr einschneidende Weise an seinem Leben teilhaben: Besuchte Orte, Freundschaftsbeziehungen, Freizeit­beschäftigungen, Ansichten aus dem Beruf und aus den privaten vier Wänden – wenn es fotografiert worden ist, dann weiss Google Bescheid.

Wie nutzt Google dieses Wissen über seine Nutzer? «Wir haben keine Pläne bezüglich Monetarisierung oder Werbung», sagt der Produktmanager von Google Fotos, Anil Sabharwal, laut «Business Insider». Rechtsanwalt Martin Steiger weist darauf hin, dass die Nutzungsbedingungen es erlauben, die Bilder zur Anzeige von personalisierter Werbung auszuwerten – so wie bei Gmail Werbung anhand des Kontexts der Nachrichten geschaltet wird.

Bei Gmail ist die Werbung akzeptiert – doch wie sieht es bei den unter Umständen noch persönlicheren Bildern aus? «Ich glaube nicht, dass Google-Benutzer Bedenken haben, es sei denn, man fragt sie gezielt danach», meint Martin Steiger. Leistungen gegen Daten und Werbung zu erhalten, sei im heutigen Internet eine klassische «Deal-Situation». «Man muss sich selbstverständlich fragen, ob jedem Benutzer klar ist, auf was für einen Deal er sich einlässt», sagt Steiger zu diesem Austauschgeschäft.

Das Problem mit Google Fotos ist, dass man genau das nicht weiss. Das ist typisch für Google. Bei Youtube hat sich das Geschäftsmodell erst nach und nach ergeben. Das wird auch bei Fotos so sein. Sundar Pichai, der Chef der Produktabteilung, sagte gegenüber «Fortune»: «Das Modell wird sich später herausbilden.» Es steht ausser Frage, dass es einträglich sein muss. Denn die Fotos der ganzen (Google-affinen) Menschheit zu horten, ist teuer – Datencenter haben ihren Preis.

Möglich, dass die zu erbringende Gegenleistung den Nutzern dereinst nicht gefallen wird. Doch eben: Wenn man alle seine Fotos hochgeladen und sich an die vielen innovativen Funktionen gewöhnt hat, wird die Ausstiegshürde so hoch sein, dass man manche Kröte schluckt. Und vielleicht fehlen dann auch die Alternativen, weil Google mit seinem allzu verlockenden Angebot die Konkurrenz plattgemacht hat. Man erinnert sich an Everpix.com. Dieser Dienst ist Anfang 2013 mit einem ähnlichen Versprechen angetreten – zu einem Preis von 5 Dollar pro Monat. Nach neun Monaten war Schluss.

Zu nah am privaten Leben

Mit dem Fotos-Dienst hat Google meine persönliche Schmerzgrenze überschritten. Ich halte es für nicht tolerabel, dass sich Google zu den künftigen Plänen mit dem Dienst nicht in die Karten blicken lassen will und einen riesigen Vertrauensvorschuss einfordert. So nah will ich dieses kalifornische Unternehmen nicht an mein privates Leben heranlassen. Trotz der Beteuerungen in den zehn ­Unternehmensgrundsätzen, dass der Nutzer an erster Stelle stehe.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 3. Juni 2015

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