Die Apple Watch ist keine Uhr für das ganze Volk

Die grösste Leistung der Apple Watch ist, ein ­elitäres Gadget zu sein. Ein Erlebnisbericht.

Matthias Schüssler

Ich zähle mich zu den Smartwatch-Skeptikern. Mein Smartphone ist mir zu nah, als dass ich ein noch persönlicheres Gerät benötigen würde – Apples Slogan («Our most personal device yet») zielt bei mir ins Leere. Es ist sogar so, dass ich den Fluss der Benachrichtigungen in letzter Zeit oft als Ablenkung empfinde und versuche, ihn mir beim konzentrierten Arbeiten vom Leib zu halten. Das ist beim Smartphone schnell erledigt, indem ich es ausser Reichweite platziere. In solchen Fällen auch noch eine Uhr ruhig stellen zu müssen, scheint mir wenig erstrebenswert.

Als ich eine Apple Watch Sport für einen halben Tag zum Ausprobieren erhielt, war ich gespannt auf ein Aha-Erlebnis. Das Testexemplar ist eine ­Apple Watch Sport mit grünem Armband, das Apple als «Hochleistungs-Fluorelastomer» beschreibt. Es macht auf mich erst einmal einen etwas schlabberigen Eindruck und erfordert etwas Übung beim Befestigen der Uhr am Handgelenk. Die Uhr dürfte für mein eher dünnes Handgelenk noch etwas schmaler sein. Sie wirkt aber nicht so klobig wie befürchtet.

Nun will die Uhr mit dem iPhone gekoppelt werden. Dazu kommt die App zum Einsatz, die Apple mit dem letzten Update des iPhone-Betriebssystems iOS auf dem Telefon installiert hat. Diese App schaltet die Kamera des Smartphones ein, mit der man den Bildschirm der Uhr ins Visier nimmt. In einer wirbelsturmartigen Grafik erkennt die App daraufhin den Code der Uhr, mit dem die Koppelung stattfindet. Nun erfolgt die Konfiguration der Uhr, die recht umfangreich ausfällt. Zum Abschluss führt einem das iPhone ein Video vor, in dem die grundsätzlichen Bedienelemente erklärt werden.

Bedienung will gelernt sein

Das Video sollte man sich ansehen – denn von allein erschliesst sich einem die Bedienung nicht. Ich halte anfänglich die Seitentaste (das ist der längliche Knopf unterhalb der Krone) für das Gegenstück des wohlvertrauten iPhone-Home-Buttons. Das ist ein Fehlschluss: Die Seitentaste bringt eine Übersicht meiner wichtigsten Kontakte zum Vorschein, die ich dann anrufen oder mit einer Nachricht bedienen kann. Um auf den wabenförmigen Home-Screen zu gelangen, drückt man auf die Krone. Durch Drehen an dieser Krone zoomt man Wabenraster heran oder weg, und durch Antippen auf dem Touch-Bildschirm startet man eine App.

Per Kronen-Drehrädchen navigiert man durch Listen, die man über das Touch-Display nur schwer bedienen kann, weil man sie mit dem Finger verdeckt. Wichtig sind die vertikalen Wischgesten: Von oben herab bringt man die Benachrichtigungen zum Vorschein. Von unten erscheinen die «Checks»: Sie zeigen weitergehende Informationen an. In der Uhr-App gelangt man via Wischgeste von unten zur Weltuhr, zu den Börsenkursen, dem Wetter, Fitnessdaten und Pulsmesser.

Zum Zweiten muss man den «Force Touch» kennen: Drückt man etwas ­fester aufs Display, erscheinen andere Befehle als beim normalen Antippen – ähnlich wie beim Rechtsklick mit der Maus. In der Uhr-App wählt man nach einem Force Touch das Ziffernblatt (das sogenannte Watch Face) aus.

Neben den eingebauten Apps erscheinen auf der Uhr auch die auf meinem iPhone installierten Anwendungen, die eine Uhr-Komponente anbieten. Das sind bereits eine Menge: vom Fotodienst Instagram über die Schweizer Einkaufs-App Bring bis hin zu Skype, Shazam, Trip Advisor, Tune In Radio und Wemlin. Die App von Local.ch zeigt die in der iPhone-App angelegten Favoriten auch auf der Uhr an und ermöglicht, sich zu Restaurants, Geldautomaten, Taxiständen oder anderen Orten navigieren zu lassen. Auch ein Telefonat über die Uhr funktioniert einwandfrei – wobei es gewöhnungsbedürftig ist, im Freisprechmodus mit seinem Handgelenk zu kommunizieren.

Als Fazit erlebte ich die Bedienung der Uhr als durchdacht, aber nicht als intuitiv. Apple ist es nicht gelungen, die Limitationen des sehr kleinen Bildschirmchens durch einen Geniestreich zu überwinden. Die wenigen Quadratzentimeter Displayfläche schränken einerseits die vermittelbaren Informationen stark ein. Andererseits sind auch bei der Steuerung Kompromisse unumgänglich. Die digitale Krone ist, gemessen an der Eleganz der Mehrfingerbedienung, ein Rückschritt.

Für mich ist nach einigen Stunden des Ausprobierens das Aha-Erlebnis ausgeblieben. Es hat sich keine Anwendung aufgedrängt, die mein digitales Leben markant vereinfachen oder verbessern würde. (Es ist nicht auszuschliessen, dass sich bei einer längeren Benutzungsdauer eine solche ergeben würde.)

Die markanteste Eigenschaft der ­Apple Watch ist ihr Image als Statussymbol. Die Uhr zieht Blicke auf sich und gibt ihren Trägern das Recht, sich als Teil der digitalen Avantgarde zu fühlen. Daraus ergibt sich zwingend, dass die Apple Watch so teuer sein muss, um Impulskäufe wirksam zu verhindern. Als Smartwatch für das ganze Volk hätte sie ihre Daseinsberechtigung verspielt.

Die Uhr als Erkennungsmerkmal der digitalen Avantgarde. Foto: Keystone

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 6. Mai 2015

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