Wir Sklaven der Technik

Smartes Heim, Glück allein?

DAB+, der digitale Radiostandard, trumpft nicht nur mit rauschfreier Tonqualität auf. Er bringt auch einen Komfortgewinn: Die Uhr am Gerät stellt sich von selbst, denn das Zeitsignal wird per Äther übermittelt. Das ist praktisch und ein Garant für sekundengenaues Radiowecken.

Oder auch nicht. Letzten Sonntag bescherte uns das DAB-Radio eine Stunde Extraschlaf, indem es sich weigerte, auf Sommerzeit umzuschalten. Nach längerem Fummeln am Gerät fanden wir in den Tiefen des Menüs die Möglichkeit, die Uhr manuell um eine Stunde vorzustellen. Wenig später stand sie wieder auf Normalzeit – das Radio hatte sich wiederum automatisch anhand des Radiosignals zurückgestellt. Eine Nachfrage bei SRF ergab, dass es tatsächlich Probleme bei «einigen DAB+-Empfängern» gab. Mediensprecher Daniel Steiner erklärt: «Nach umfangreichen Abklärungen und Tests wurde am Sonntagabend ein Multiplexer neu gestartet, worauf auch bei den restlichen DAB+-Empfängern in der Deutschschweiz die Umstellung auf die Sommerzeit geklappt hat.» Die Ursache des Problems werde weiter abgeklärt.

Der Fortschritt bringt uns kleine Annehmlichkeiten und grosse neue Möglichkeiten des Scheiterns. Apple hatte mit dem iPhone-Wecker mehrfach Probleme bei den Zeitumstellungen, und auch am Neujahr 2011 blieb der Wecker stumm. 2015 steht das Smart-Home vor der Tür, und es drängen sich bange Fragen auf: Was, wenn der intelligente Kühlschrank aufgrund eines Einheitenfehlers statt drei Liter Milch drei Hektoliter bestellt? Einheitenfehler passieren: Die Nasa-Sonde Climate Orbiter war 1999 im Marsschatten verloren gegangen, weil sie mit Pfund-Sekunden statt mit Newton-Sekunden gerechnet hatte.

Im technisch aufgerüsteten Haushalt könnte sich auch die Waschmaschine gegen die Bewohner verschwören. Oder der Saugroboter profiliert sich als Party-Crasher. Letzteres geschah an unserem Silvesterapéro, als der Roboter wild entschlossen war, zur vorprogrammierten Zeit seine Tour durch unsere Wohnung anzutreten. Er machte von sich aus keine Anstalten, sich von den Füssen unserer Gäste von seiner Bahn abbringen zu lassen.

Softwarefehler in moderner Steuerungselektronik könnte ein gemütliches Zuhause in ein Geisterhaus verwandeln. So unken selbst fortschrittsaffine Leute: Wenn Überwachungs­kameras ihre Daten unkontrolliert ins Web streamen, dann ist die Privatsphäre nachhaltig im Eimer. Ein Hacker könnte sich für einen Einbruch am digitalen Türschloss zu schaffen machen – oder einfach den Thermostat auf 40 Grad hochdrehen. Die Bewohner würden die Fenster öffnen, und der Weg für den Beutezug wäre frei …

Matthias Schüssler

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 1. April 2015

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