Apples Fehlschuss in die Cloud

Matthias Schüssler

Die neue Fotos-App ist ganz auf die Cloud ausgerichtet und ein Ersatz für iPhoto und Aperture. Mit ihr handelt sich Apple ähnliche Probleme ein wie Microsoft mit Windows 8.

Im Sommer 2014 hat Apple eine Bereinigung der Bildbearbeitungsprogramme angekündigt: Sowohl iPhoto als auch die Profisoftware Aperture würden einem neuen Programm weichen müssen. Schon damals war klar, dass dieses Programm namens Fotos ganz auf die iCloud ausgerichtet sein und sich in der Bedienung an der gleichnamigen Fotos-App von iPhone und iPad orientieren würde. Nun kann Fotos zum ersten Mal öffentlich in Augenschein genommen werden, und in der Tat ist Fotos eine Adaption der von den Mobilgeräten bekannten App:

In der Hauptansicht der Betaversion (siehe Box) gibt es den chronologisch und nach Aufnahmeort gegliederten Foto-Strom. Eine simple Organisation ist nach Alben möglich. Bei den Bearbeitungsmöglichkeiten konzentriert sich das Programm auf die automatische Verbesserung, auf Effektfilter à la Instagram und Basisfunktionen wie Beschneiden, Helligkeits- und Farbkorrektur. Das Programm verwendet standardmässig die iCloud Photo Library: Bilder werden via Apples Server automatisch auf allen Geräten zur Verfügung gestellt. Das funktioniert nicht mehr nur von den Mobilgeräten auf den Computer, sondern auch umgekehrt: Aufnahmen, die man unter OS X in die Fotos-Anwendung importiert, tauchen umgehend auch auf dem iPhone und dem iPad auf.

Apple setzt mit Fotos die Harmonisierung zwischen den Apps für Computer und Mobilgeräte fort. Schon bei den Office-Apps Pages, Numbers und Keynote ging das nicht ohne Verluste ab. Da die mobilen Anwendungen überschaubar gehalten werden sollen, müssen die OS-X-Anwendungen Federn lassen. Bei Fotos ist der Einschnitt jetzt aber besonders tief.

Kein Ersatz für iPhoto und Aperture

Es besteht kein Zweifel, dass dieses neue Programm kein Ersatz für die ausgeklügelten Bearbeitungs- und Verwaltungsfunktionen von Aperture sein kann. Auch gegenüber iPhoto gibt es beträchtliche Abstriche zu verzeichnen. Es fehlt beispielsweise die Möglichkeit, Bilder mit Sternen zu versehen. Statt der fünf Gütestufen gibt es bei der Fotos-App nur die Möglichkeit, Bilder über das Herzsymbol als Favorit zu markieren. Nicht mehr vorhanden sind die «intelligenten Alben». In ihnen werden in iPhoto Bilder automatisch anhand komplexer Bedingungen, zum Beispiel basierend auf Stichwörtern, abgebildeten Personen oder Aufnahmeort, aufgeführt. Schliesslich – und das dürfte eingefleischte iPhoto-Nutzer wirklich schmerzen – sucht man auch die erweiterten Bearbeitungsfunktionen in der Rubrik «Anpassen» vergebens. Mit dieser kann man in iPhoto Farbtemperatur, Definition, Rauschreduzierung, Licht/Schatten modifizieren. Immerhin besteht die leise Hoffnung, dass einige dieser Funktionen doch noch Eingang in die finale Version finden werden.

Einige Dinge kann die Fotos-App mehr als die Mobilvariante: In der Rubrik «Projekte» finden sich Fotobücher, Karten, Kalender und Diaschauen; ausserdem gibt es die Möglichkeit, Abzüge auf Papier zu bestellen.

Die Idee ist bestechend, aber…

Hinter der neuen Fotos-App steckt eine bestechende Idee: Der Nutzer soll sich nicht mehr darum kümmern, wo seine Bilder gespeichert sind. Der iCloud sei Dank, stehen alle Aufnahmen jederzeit in allen Geräten abrufbereit – die mühselige Arbeit, Bilder manuell zu transferieren, entfällt.

In der Praxis funktioniert das aus mehreren Gründen nicht. Erstens bietet die iCloud standardmässig nur 5 GB Speicherplatz. Das ist selbst für eine überschaubare Bildersammlung viel zu wenig. Entsprechend wirkt die Fotos-App vor allem als eine Werbemassnahme, um die Kunden zum Kauf von Wolkenspeicher zu bewegen. (20 GB kosten 1 Franken, 200 GB 4 Franken, 500 GB 10 Franken und 1 TB 20 Franken pro Monat.)

Sollen wirklich alle Bilder ins Internet?

Zweitens wollen nicht alle Anwender ihre Bilder ins Internet auslagern – und in den wenigsten Fällen ist es sinnvoll, gleich die Sammlung als Ganzes in die Cloud zu verfrachten. Viele Leute machen beruflich routinemässig Screenshots oder verwenden Fotos zu Dokumentationszwecken. Diese Bilder möchte man separat von den Aufnahmen von Familien, Ferien, Freunden und Festen verwalten. Umgekehrt sollten es Datenschutzbedenken verbieten, allzu private Bilder automatisch ins Netz zu stellen. Diese sind dann nämlich automatisch auf den Mobilgeräten einsehbar – und gefährdet, bei einem Cloud-Datenleck in falsche Hände zu geraten.

Drittens ist Apples Schritt, mit Fotos sowohl iPhoto als auch Aperture zu ersetzen, zu radikal – für ernsthafte Bildbearbeitung am Desktop-Computer ist die neue App nicht leistungsfähig genug. Apple läuft mit Fotos in ein ähnliches Problem hinein wie Microsoft mit Windows 8: Mobilgeräte haben andere Anforderungen an die Software als Laptops und Desktop-Computer. Der Versuch, diese beiden Welten mit Gewalt zu fusionieren, resultiert in Kompromissen, die niemanden richtig glücklich machen.

Immerhin: Auch mit dem Update auf Yosemite 10.10.3 und der Fotos-App bleiben Aperture und iPhoto auf dem Computer erhalten. Sie bleiben funktionsfähig und können wie bis anhin im Einsatz bleiben. Da Apple die beiden Programme nicht weiterentwickelt, müssen sich Anwender mittelfristig entweder mit Fotos anfreunden oder sich nach einem neuen Programm umsehen…

Fotos-Testversion

Die Fotos-App kann zusammen mit Yosemite 10.10.3 kostenlos getestet werden.

Apple stellt im Rahmen des öffentlichen Yosemite-Betaprogramms OS X 10.10.3 und die Fotos-App in Betaversionen zur Verfügung. Diese Software kann nun einem ersten Augenschein unterzogen werden. Sie wird mit OS X 10.10.3 offiziell erscheinen und die beiden Vorgänger ersetzen.

Die Installation der Betaversion ist unkompliziert: Nach der Anmeldung auf der Website mit der Apple-ID lädt man ein Programm namens Yosemite-Beta-Zugriffsprogramm herunter. Darauf ist die Version 10.10.3 in der App-Store-App unter «Updates» verfügbar und kann wie eine normale Aktualisierung installiert werden. (Allenfalls ist nach der Ausführung des Yosemite-Beta-Zugriffsprogramms ein Neustart nötig.) Zu der Betaversion gehört der Feedback-Assistent, über den sich Probleme mit Fotos oder OS X an Apple übermitteln lassen. Dort gibt es weitere Informationen zum Betaprogramm.

Wie immer gilt: Betaversionen können massive Fehler enthalten und die normale Arbeit erschweren oder verunmöglichen. Sie sollten daher nur auf Testsystemen, nicht auf produktiven Maschinen installiert werden.

Schmucklos Fotos zeigt nach dem Start die Bilder der Mediathek als chronologisch geordnetes Raster. Das Programm wirkt noch spartanisch. Apple dürfte für die fertige Version aber noch an der Optik feilen. (12 Bilder)

Organisationsmöglichkeiten Die (standardmässig ausgeblendete) Seitenleiste erschliesst den Fotobestand über weitere Kategorien. Hier finden sich auch die in iPhoto erstellten Ereignisse und die durch die Gesichtserkennung sortierten Bilder.

Ans iPhone angelehnt Die Bearbeitung orientiert sich an den vom iPhone und iPad bekannten Funktionen. Hier: Bilder gerade rücken und beschneiden

Einfacher als Aperture Aperture war auf professionelle Benutzer ausgerichtet und bot komplexe Bildanpassungsmöglichkeiten. Diese Möglichkeiten wurden zugunsten der einfachen Benutzung aufgegeben. Hier die Anpassung von Helligkeit, Farbsättigung und Schwarzweissentwicklung, die es analog auch bei iOS gibt.

Unkomplizierte Retusche Das Werkzeug «Retuschieren» entfernt unerwünschte Details aus dem Bild, indem sie durch einen benachbarten, neutralen Bildbereich überdeckt werden. Dieses Werkzeug gibt es bei iOS bislang nicht.

Effekte von der Stange Im Modul «Filter» stehen die acht Effekte zur Auswahl, die man auch vom iPhone und iPad kennt

Schlagwortmanager Die Metadaten eines Fotos lassen sich über «Fenster > Schlagwortmanager» einsehen. An dieser Stelle können Bildbeschreibung und Stichwörter erfasst werden.

Sozial angebunden Die Weitergabe via iCloud, Mail, Nachrichten, Twitter und Facebook ist ähnlich gelöst wie bei den Mobilgeräten.

Datenübernahme Beim ersten Start bietet Fotos an, vorhandene iPhoto- und Aperture-Mediatheken zu importieren. Der Import dauerte bei unserem Test ziemlich lange.

Alte Projekte weiternutzen Dieses Fotobuch wurde in iPhoto erstellt und steht nun auch in Fotos zur weiteren Verwendung zur Verfügung. Ganz reibungslos funktionierte der Transfer allerdings nicht, wie die roten Ausrufezeichen vermuten lassen.

Öffentlicher Betatest Die Fotos-Anwendung ist noch im Entwicklungsstadium begriffen. Sie wird mit OS X 10.10.3 ausgeliefert werden. Sie kann jetzt schon getestet werden, wenn man am öffentlichen Yosemite-Betaprogramm teilnimmt. Nach der Anmeldung per Apple-ID lädt man das Yosemite-Beta-Zugriffsprogramm, das den Computer für die Vorabversion von 10.10.3 vorbereitet.

Feedback-Assistent Über ein separates Programm namens Feedback-Assistent kann man Apple über Abstürze in Fotos und in Yosemite 10.10.3 informieren. Generell gilt: Betaversionen können grosse Probleme verursachen und sollten nur zu Testzwecken und nicht auf Arbeitsgeräten eingesetzt werden.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 3. März 2015

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