Kommentar Ohne Spiegel und Verschluss geht Fotomagie verloren.

Wo bleibt die Lässigkeit?

Von Matthias Schüssler

Wer bei den Stichworten «Krieg» und «Fotografie» an James Nachtwey oder Robert Capa denkt, liegt für einmal falsch. Als «Die Welt» kürzlich zum martialischen Vokabular griff, ging es um den technologischen Wandel. Smartphones hätten den Markt für Kompaktkameras «pulverisiert», es herrsche ein «Kamerakrieg». Den würden nur Nikon, Canon und Sony überleben, urteilen die Analysten.

Der Technologiewandel hat schon jetzt viele Opfer gefordert: Contax und Minolta, Kodak ist aus dem Kamerageschäft ausgestiegen, und der Schweizer Fotopapierhersteller Ilford ist bankrott. Gefährdet ist auch der optische Sucher. Die spiegellosen Systemkameras sind der Fototrend des Jahres. Bis zur Photokina, der grossen Messe im Herbst, wird sich die Palette der neuen Modelle noch vergrössern.

Die Spiegellosen erlauben den Einsatz von Wechselobjektiven. Sie sind im Vergleich zur Spiegelreflexkamera leicht und kompakt. Statt des Pentaprismas und des Klappspiegels kommt ein elektronischer Sucher zum Einsatz. Manche Modelle verzichten selbst auf den. Dann dient, wie beim Smartphone, das Display als Kompositionshilfe. Die Stiftung Warentest hat kürzlich festgestellt, die elektronischen Sucher könnten mit den optischen längst mithalten. Und Hochzeitsfotograf Christian Rohweder merkt in seinem Blog an, er werde es sehr begrüssen, wenn kein Spiegelklappern mehr die Zeremonie störe.

Auch der Verschluss arbeitet immer häufiger elektronisch. Das bedauern Nostalgiker wie ich. Wenn die Mechanik aus der Kamera verschwindet, geht ein Stück Magie verloren. Was beim Druck auf den Auslöser passiert, ist mechanisches Ballett, das sich in Sekundenbruchteilen abspielt: Erst schnellt die Springblende zu, dann klappt der Spiegel hoch. Und der optische Sucher erlaubt einen echten Blick auf die Welt.

Stattdessen werden Fotos künftig anhand eines elektronischen Abbilds auf dem Display komponiert. Das bringt mehr Distanz, weniger Anteilnahme und eine viel analytischere Sicht. Verloren geht auch die lässige Geste, mit der der Fotograf die Kamera an sein Auge führt. Stattdessen wird mit ausgestreckten Armen geknipst. Was doch recht lächerlich ausschaut.

Mechanisches Ballett
Der Auslösevorgang in Zeitlupe
ausloeser.tagesanzeiger.ch

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 5. Mai 2014

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