Erlaubt ist alles, was Wirkung zeigt

Mit einer gekonnten Bildbearbeitung am Computer können aus guten Fotos beeindruckende Bilder entstehen.

Von Matthias Schüssler

Tausende Befehle, Effekte und Werkzeugpaletten haben Bildbearbeitungsprogramme zu bieten. Die allermeisten davon braucht man höchstens alle Jubeljahre einmal. Fürs Aufpolieren von Digitalfotos reicht eine Handvoll Funktionen.

Die Bildbearbeitung am Computer muss aus einer guten Aufnahme ein beeindruckendes Bild machen. Das lässt sich auf unterschiedliche Weise bewerkstelligen. Der erste Ansatz ist die Korrektur. Dabei verändert sich das Bild nur insofern, als kleinere Mängel sanft korrigiert werden, etwa eine falsche Belichtung oder ein ungünstiger Bildausschnitt. Der zweite Ansatz nimmt das Bild als Ausgangspunkt für eine künstlerische Interpretation, bei der es um eine bestimmte Bildwirkung oder eine besondere Anmutung geht. Bei dieser Disziplin ist alles erlaubt, was die Bildwirkung verstärkt: Arbeiten Sie mit Farbstichen, extremen Kontrasten, Vignettierung oder Korn.

Überlegen Sie sich, was die Botschaft Ihres Bildes sein soll, welche Emotionen es transportieren soll. Eine gewichtige Rolle spielt der Ausschnitt und das Seitenverhältnis Ihres Bildes. Die Digicams geben die Verhältnisse 2:3 oder 4:3 vor. Von der Norm abzuweichen, bringt Spannung: Probieren Sie bei architektonischen Motiven quadratischen Beschnitt. Porträts können Sie rund oder oval zuschneiden. Die passenden Rahmen sind zwar nicht gerade Massenware, lassen sich aber in Rahmengeschäften oder online auftreiben.

Das Kinofeeling für Digifotos

Das andere Extrem sind die Breitformate. Das 16:9-Format und das noch extremere Seitenverhältnis von 2:1 machen sich die vom Kino geprägten Sehgewohnheiten zunutze und lassen den Betrachter an actiongeladene Thriller in Cinemascope denken. Viele Kompaktkameras erlauben Ihnen, das 16:9-Format schon beim Fotografieren einzuschalten. Die Kamera macht auch nichts anderes, als das Bild auf das breite Format zu beschneiden, aber da Sie schon den endgültigen Ausschnitt am Display sehen, fällt das Framing leichter.

Das zweite wichtige Gestaltungsmittel sind Farben und die Kontraste. Auch hier ist Ihr einziger Massstab der Bildeindruck: Kontraste müssen nicht immer dezent oder ausgewogen sein; ebenso wenig die Helligkeitsbalance. Die Extreme bei der Belichtung heissen High Key und Low Key: Streng genommen sind das falsch belichtete Aufnahmen, die aber eine eigene Bildwirkung haben. High-Key-Bilder wirken fröhlich-leicht und eignen sich für stimmungsvolle Porträts oder Stillleben. Low-Key-Bilder werden von dunklen Tönen oder Schwarz dominiert und wirken düster und geheimnisvoll. Die Google-Bildersuche zeigt zu den beiden Stichworten sofort passende Aufnahmen zu Anschauungszwecken.

Natürlich lässt sich nicht jede Aufnahme in ein Low- oder High-Bild verwandeln. High-Key-Bilder werden oft im Studio mit den passenden Lichtquellen inszeniert. Als Gelegenheitsfotograf brauchen Sie für die Bearbeitung von hellen oder dunklen Aufnahmen entweder die Gradationskurve oder die Tonwertkorrektur. Diese beiden Werkzeuge existieren unter leicht variierenden Namen in jedem ernst zu nehmenden Bildbearbeitungsprogramm, namentlich in Photoshop Elements oder im kostenlosen Open-Source-Bildbearbeitungsprogramm Gimp.

Die Farbe macht Stimmung

Wichtig ist die Farbgestaltung, zum Beispiel die Farbsättigung. Sie bestimmt, wie kräftig oder blass Farben in Erscheinung treten. Ein billiger Trick ist, die Sättigung hochzuschrauben. Farben wirken knallig und intensiv. Das hilft spannungsgeladenen Szenen. Umgekehrt treten bei anderen Motiven, Landschaftsaufnahmen zum Beispiel, bei verminderter Farbsättigung Strukturen und Kontraste schöner zutage. Der Regler dafür heisst bei Photoshop Elements «Farbton/Sättigung».

Der Farbton oder die Farbbalance steuert die Emotionen Ihres Bildes. Beim Fotografieren achtet man darauf, den Weissabgleich möglichst korrekt einzustellen, um neutrale Farben zu erhalten. In der Bearbeitung dürfen Sie mit gezielten Farbstichen Stimmung machen. Fernsehserien wie «CSI» exerzieren das vor, indem sie Szenerien in Blau oder Orange tauchen.

Nebst dem Befehl «Farbton/Sättigung» können Sie bei Picasa von Google unter «Feinabstimmung» die Farbtemperatur verändern. Profi-Programme wie Photoshop Lightroom gehen hier sehr viel weiter und steuern nicht nur einzelne Farbbereiche, sondern auch deren Sättigung und die Luminanz. Das ist, salopp gesagt, die Strahlkraft. Das Programm kann somit gezielt die Blautöne leuchtender, die roten Bildbereiche intensiver färben, Lichtern oder Tiefen, sprich den hellen oder dunklen Bereichen, eine Tonung geben. Letzteres geschieht über die Regler bei der Palette «Teiltonung».

Viele der Bildbearbeitungsmethoden haben ihre Wurzeln in der analogen Fotografie. Im Fotolabor waren sie arbeitsintensiv. Digital lassen sie sich sehr viel leichter erarbeiten. Anleitungen finden sich per Google zum Effektnamen und zur Bildbearbeitung. Ein Beispiel ist die Cross-Entwicklung. Bei ihr hat man im Labor Farbnegativfilme nach dem Verfahren für Diapositive entwickelt, oder umgekehrt. Das gibt intensive Farben mit einer Überbetonung der blau-grünen Farbnuancen. Dieser Effekt wird in Fotografie und Film eingesetzt, weil er eine unwirkliche Atmosphäre erzeugt.

Fotofehler als Stilmittel

Auch den Bleach-Bypass-Look stammt aus der analogen Filmentwicklung. Durch Auslassung des Bleichbades entstehen Bilder mit schwachen Farben und harten Kontrasten. Folgerichtig sieht man im Kino diesen Effekt vor allem in Kriegsfilmen, in Streifen wie «Der Soldat James Ryan» oder «Three Kings». Man kann ihn auch bestens bei Bildern anwenden, die beispielsweise die Elefanten des Zoos Zürich zeigen. Der Vintage-Effekt wiederum bezeichnet die künstliche Alterung von Bildern. Er bleicht Farben aus und lässt Aufnahmen leicht grün- oder blaustichig wirken.

Automatisch erstellen lassen sich diese Effekte mit Aktionen. Das sind aufgezeichnete Bildbearbeitungsschritte, die sich per Mausklick auf jedes Bild anwenden lassen. Aktionen finden Sie kostenlos im Internet zu allen denkbaren Themen, wenn Sie nach «Photoshop Action» suchen. Die Aktionen werden zwar für die teure Profi-Software Photoshop entwickelt, laufen aber meistens auch in Photoshop Elements, der günstigen Variante für Heimanwender. Die Aktionen erscheinen im «Assistent», wenn sie im richtigen Ordner abgelegt sind. Die Hilfe erklärt alles Weitere zum Stichwort «Installieren Sie die in Photoshop erstellten Aktionen».

Eine besondere Wirkung erhalten Bilder, wenn Sie technische Perfektion gezielt schmälern. Vielen Bildbearbeitern sind die digitalen Fotos zu makellos und zu scharf, sodass sie «Fehler» einbauen. Erweiterungen für Bildbearbeitungsprogramme simulieren das Korn von analogem Filmmaterial oder bauen Vignetten und chromatische Aberrationen ein. Beides sind Fehler, die Fotografen tunlichst vermeiden: Beim ersten handelt es sich um Abschattungen in den äusseren Bildbereichen, beim zweiten Effekt um Farbverschiebungen. Als Stilmittel eingesetzt, verleihen sie vielen Bildern das gewisse Etwas.

Ein Schnappschuss aus dem Zoo, der in Photoshop Lightroom mit dem Bleach-Bypass-Effekt entwickelt wurde. Foto: Matthias Schüssler

Ohne Nachbearbeitung: Die Farben sind echter, das Bild ist langweiliger.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 23. November 2009

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